Meinung

Freikirche: Frei von Angst

Immer wieder steigen Menschen aus Freikirchen aus. Sie verlassen die Gemeinde und ihre gewohnte Umgebung. Doch so weit sollte es nicht kommen müssen, wenn sich Menschen in ihrer Kirche angenommen fühlen, wie es Johannes Schwarz erlebt.
Von Johannes Schwarz
Menschen singen in einem Gottesdienst

Der Hessische Rundfunk sendete am Donnerstagabend eine Dokumentation über eine Freikirchen-Aussteigerin. Mir als Freikirchler ging die Sendung nahe. Die Studentin Debby ist in einer, wie sie sagt, fundamentalistischen evangelikalen Freikirche aufgewachsen. Um welche Gemeinde es sich handelt, wird nicht erwähnt.

Debby wird damit groß, dass die Evolutionstheorie falsch sei, dass sie nicht werden dürfe wie weltliche Menschen, und dass sie keine Sünden begehen dürfe, sonst lande sie in der Hölle. Sie berichtet, wie ihr als Kind im Namen Gottes Angst gemacht wurde, und wie sie innerlichen Druck erlebte, sodass sie ihre Persönlichkeit verleugnete. Kurz: Sie erlebte spirituellen Missbrauch, so wird es in der Dokumentation beschrieben.

Als Kind entwickelt sie durch die Verbote, Gebote und fundamentalistische Dogmen eine große Angst vor der Strafe Gottes. Immer wieder zweifelt sie und wird von Glaubensgeschwistern zum Glauben ermahnt. Zum Studium zieht sie von zu Hause aus, nach Darmstadt. Dort kommt es zum Umbruch: Sie löst sich vom Glauben und „befreit“ sich von der Angst. Heute leitet sie eine Selbsthilfegruppe für Betroffene von spirituellem Missbrauch.

Soweit die Geschichte von Debby. Ihre Geschichte geht Freikirchler und alle anderen Christen etwas an. Ich selbst bin Mitglied in einer Freikirche und höre immer wieder Geschichten wie die von Debby. Das macht traurig und muss aufrütteln. Denn ich erlebe Gemeinde ganz anders – und das wünsche ich auch Menschen wie ihr.

Ich erlebe in meiner Freikirche Begegnung auf Augenhöhe, ich spüre Hoffnung, ich sehe, wie Menschen sich gegenseitig in ihren Fehlern und auch im Können annehmen. Gemeinsam teilen wir unseren Glauben und leben ihn zusammen.

Engstirnige Dogmen und strenge Denkweisen, bei der die Gnade nicht im Mittelpunkt steht, begegnen mir selten. In meinem freikirchlichem Horizont empfinde ich Freude am Glauben, am Miteinander und daran, weit zu denken und groß zu lieben.

Frei von Zwängen

Christen sollten wachsam sein, wenn schiefe Dogmen Ängste schüren und das Glaubensleben verengen. Befreiender Glaube kann nicht mit einengenden Glaubensinhalten oder Zwängen einhergehen. Demnach haben Christen – Freikirchler ebenso wie alle anderen – den Auftrag und die Verantwortung, den Glauben mit echter Nächstenliebe zu leben, die nicht an Bedingungen geknüpft ist.

Damit meine ich nicht, dass die Theologie frei, beliebig und lose ist. Nein, es braucht eine klare und deutliche Theologie. Doch es braucht ebenso eine Freiheit zum Glauben und nicht eine Geschlossenheit im Glauben.

Zweifel müssen willkommen sein. Denn ohne Zweifel und das Hinterfragen des christlichen Glaubens kann Glaube naiv und wirkungslos sein. Gerade die Auseinandersetzung mit dem Wort Gottes und das Vorleben von christlichen Werten in der pluralen Gesellschaft macht den Glauben an den dreieinigen Gott persönlich und besonders.

Mich fasziniert seit jeher der freie Zugang zum und im Glauben. Christen sollten nicht wie im Leben von Debby Menschen in zwei Gruppen einteilen: Die erretteten und die bösen weltlichen Menschen. Alle Menschen sind geliebte Geschöpfe Gottes. Ich denke: Glaube braucht die Verbindung in die Gesellschaft hinein, um strahlen zu können. Das kann er nicht verschlossen und eingeengt hinter Vorschriften.

Gnade im Vordergrund

Unsere Gemeinden sollten ein Ort der Freude und der Hoffnung sein, nicht der Angst und der Beklemmung, wie es Debby erlebte. Wenn die Gnade Gottes und nicht die Strafe im Vordergrund steht, können echte Gefühle und Gedanken gelebt werden. Ein Klima der Gnade und der Annahme bieten geistlichem Missbrauch weniger Angriffsfläche.

Freikirchen, sind, wie jede andere Kirche, menschliche Institutionen. Menschliche Fehler, somit auch Missbrauch, wird es leider immer wieder geben. Den Verfehlungen muss sich jede Kirche stellen. Auch Freikirchen sind da gefordert, Schutzräume zu schaffen, Missbrauch nachhaltig entgegenzuwirken.

Aussteiger-Geschichten, wie die von Debby, machen traurig, doch sie sollten als Aufschrei verstanden werden und als Anfrage: Wie können wir unseren Glauben überzeugt und überzeugend leben und vermitteln, ohne Menschen damit einzuengen?

Der Glaube an Gott, die Beziehung zu Jesus Christus, kann Menschen frei machen von Ängsten und Zwängen. Das glauben auch freikirchliche Christen. Wie schön wäre es, wenn auch das in der Öffentlichkeit wahrnehmbarer wäre und der Hessische Rundfunk über befreit glaubende und begeisterte Freikirchler berichten würde. Denn davon gibt es viele.

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen