Film über Golda Meir feiert Premiere: Eine Frau, eine Zigarette, ein Krieg

Auf der Berlinale hat am Montag ein Film über Golda Meir Premiere gefeiert. „Golda“ mit Weltstar Helen Mirren in der Hauptrolle zeigt die erste israelische Premierministerin unerwartet nahbar und emotional.
Von Anna Lutz

Es wäre leicht gewesen, Golda Meir (1898–1978) als feministische Ikone zu inszenieren. Als Frau, die die Männer im Politikgeschäft das Fürchten lehrt. Immerhin war sie die erste weibliche Premierministerin des Staates Israel, in ihre Amtszeit fiel unter anderem der Jom-Kippur-Krieg. Zum Glück hat sich der israelische Regisseur Guy Nattiv das einseitige Motiv verkniffen und stattdessen einen Film gedreht, der Meir berührend nah kommt. Auch dank Oscarpreisträgerin Helen Mirren.

Nattiv zeigt Meir einerseits als starke Frau, die US-Außenminister Henry Kissinger ebenso als Spielball benutzt wie den ägyptischen Präsidenten Anwar al-Sadat. Die aber auch Kuchen für ihr Kabinett backt, um gefallene Soldaten weint und von schwerer Krankheit gezeichnet im Badezimmer Blut spuckt. Nattiv ist so ein beeindruckendes Porträt gelungen, auch wenn er nur die 19 dramatischen Tage des Jom-Kippur-Kriegs in den Blick nimmt.

Es liegt etwas in der Luft

Alles beginnt mit einer Warnung: Am 5. Oktober 1973 erreicht Meir die Nachricht eines Geheimdienstmitarbeiters. Ein Krieg stehe bevor. Ägypter und Syrer planten einen gemeinsamen Schlag gegen Israel. Meir muss entscheiden, ob sie trotz des anstehenden Feiertages mobilmachen lässt. Ihr Bauch rät ihr: Es liegt etwas in der Luft.

Doch die tatsächlichen Informationen sind vage. So kommt es zur Katastrophe. Meir beruft statt der Mobilmachung nur Reservisten ein. Das ist zu wenig, um der kommenden Offensive standzuhalten. Mehr als 2.600 israelische Soldaten fallen im Verlauf des kurzen Krieges, 7.500 werden verwundet und 300 geraten in Gefangenschaft. 

Antikriegsfilm ohne Kriegsbilder

Bei der Pressekonferenz zur Weltpremiere am Montag erklärten die Macher, ihr Film sei eindeutig ein Antikriegsfilm. Und das, obwohl er keinen einzigen Kampf zeigt. Stattdessen steigt der Zuschauer zusammen mit Meir immer wieder hinab ins Untergrund-Strategiezentrum, in dem Verteidigungsminister und Militärs das Kriegsgeschehen planen und verfolgen.

Die Grauen des Krieges sind hier rein akustisch. Die Schreie der sterbenden Soldaten. Die Bombeneinschläge. Die Maschinengewehrsalven. Meir ballt die Fäuste so fest, dass ihre Hände bluten. Ein anderes Mal weint sie um den getöteten Sohn einer ihrer Stenografinnen. Meir als Mutter der Nation – das ist das Bild, das Nattiv hier zeichnet.

„Sie war eine unglaubliche Frau, es war faszinierend, sich auf sie einzulassen“, erklärte Hauptdarstellerin Mirren am Montag. „Sie war unglaublich mutig“, und weiter: „Ihr Engagement für Israel war allumfassend.“ Entsprechend stellt sich „Golda“ eindeutig an die Seite der in ihrer Heimat durchaus umstrittenen Politikerin. Der Film will sie verteidigen. Nattiv erklärt: „Sie war keine Soldatin, sie war Staatsfrau.“ Als ihre Ratgeber sich in den Wirren des Überraschungskrieges verloren und falsche strategische Entscheidungen getroffen hätten, sei auch sie verloren gewesen.

Dafür steht im Film unter anderem der allgegenwärtige Zigarettenrauch. Er umgibt Meir zeitweise wie ein Schutzschild, an anderer Stelle aber ist er als Nebel zu verstehen, der ihr die Sicht raubt. Nicht nur wegen dieser Bilder ist Nattivs Inszenierung bemerkenswert. Teilweise mutet „Golda“ wie ein Hitchcock-Film an, schrille Töne hämmern durch die Boxen im Kinosaal, die Leinwand ist in finstere Schattenspiele getaucht, als der Krieg eskaliert und Meir Alpträume bereitet.

Der Gang durch die Leichenhalle

Geradezu nebenbei zeigt der Film Meirs schwere Erkrankung an Lymphdrüsenkrebs, dem sie fünf Jahre nach Kriegsende erliegt. Die eindeutig größeren Schmerzen verursachen ihr aber die Verluste des Krieges. Niemand soll von ihrer Schwäche erfahren und so findet die Behandlung im Geheimen statt. Meir schleicht zur Bestrahlung in verborgene Räume eines Krankenhauses. Dazu muss sie immer wieder durch die Leichenhalle der Einrichtung gehen. Mit Verlauf des Krieges und wachsenden Verlusten, so scheint es, fällt ihr dieser Gang, vorbei an den nackten Füßen der Toten, schwerer und schwerer.

Geradezu selig erscheint sie hingegen in den letzten Einstellungen des Filmes, auf dem Sterbebett, in der einen Hand eine Zigarette, in der anderen eine Sauerstoffmaske, während im Fernsehen Aufnahmen laufen, die sie im unbeschwerten Dialog mit Sadat zeigen. Denn am Ende des Jom-Kippur-Kriegs standen massive Verluste, aber eben auch die verbale Anerkennung Israels durch den ägyptischen Staatschef.

Wer würde Jesus spielen?

Es ist schon fast verstörend, dass die Premiere von „Golda“ nun durch eine Debatte über kulturelle Aneignung überschattet wird. Kurz vor Erscheinen wurden Stimmen laut, die erklärten, Mirren als Nichtjüdin sei nicht geeignet, eine Jüdin zu spielen. Dabei ist der Regisseur Nattiv selbst Jude.

Auf der Pressekonferenz reagierte die Crew darauf: „Wenn wir einen Film über Jesus Christus drehen würden, wer würde ihn spielen?“, fragte Drehbuchautor Nicholas Martin, und weiter: „Ein Jude oder ein Nichtjude?“ Mirren nutzte die Vorlage: „Na ich auf jeden Fall nicht.“ Und hatte damit die Lacher auf ihrer Seite und zugleich so etwas wie ihren persönlichen Golda-Meir-Moment.

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