Facebook muss Künast Auskunft über Hetzer geben

Die Grünen-Politikerin Renate Künast wurde auf Facebook massiv beleidigt und reichte Klage ein. Berliner Richter entschieden auf Meinungsfreiheit, das Bundesverfassungsgericht hat nun anders geurteilt.
Von Johannes Blöcher-Weil
Die Grünen-Politikerin Renate Künast

Die Grünen-Politikerin Renate Künast kann von Facebook in vollem Umfang Auskunft über Nutzer verlangen, die herabsetzende Kommentare über sie veröffentlichten. Politikerinnen und Politiker müssten sich auch in einer öffentlichen Debatte eine auf die Person abzielende öffentliche Verächtlichmachung oder Hetze nicht gefallen lassen, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss.

Damit gaben die Richter der Verfassungsbeschwerde von Künast statt. Zuvor hatten Berliner Gerichte nur in einem Teil der von der Politikerin monierten Fälle strafrechtlich relevante Beleidigungen gesehen. Künast äußerte sich erfreut über das Votum der Verfassungsrichter. Hintergrund des Rechtsstreits war eine Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus 1986, die der rechtsextreme Netz-Aktivist Sven Liebich Jahre später auf seiner Facebook-Seite aufgegriffen und den Kopf von Künast in sprechender Pose um ein Zitat ergänzt hat.

Unter dem Beitrag gab es zahlreiche herabsetzende Kommentare über die Politikerin. Künast verlangte daraufhin von Facebook die Profildaten der Beleidiger. Der Konzern lehnte unter Verweis auf die Meinungsfreiheit ab. Das Landgericht Berlin wertete 2019 zunächst ebenfalls alle Kommentare als Meinungsfreiheit. Erst in zwei weiteren Verfahren befanden Land- und Kammergericht, dass zwölf von 22 beanstandeten Posts als strafbare Beleidigung anzusehen seien.

„Ein Stück Rechtsgeschichte im digitalen Zeitalter“

Das Bundesverfassungsgericht entschied nun, dass auch die übrigen Kommentare Künasts Persönlichkeitsrecht verletzten. Zwar müssten Politiker scharfe Kritik durchaus hinnehmen, aber nicht jede „ins Persönliche gehende Beschimpfung“. Wer sich gesellschaftlich engagiere, für den müsse auch ein hinreichender Schutz der Persönlichkeitsrechte gewährleistet sein, hieß es in der Begründung.

Künast bezeichnete das Urteil als „guten Tag für die Demokratie“. Mit dem Urteil seien die Fachgerichte künftig verpflichtet, konkrete Abwägungen im Einzelfall vorzunehmen. Künast erklärte, sie rechne nach dem Votum aus Karlsruhe generell mit mehr Zurückhaltung auf Facebook, Twitter und anderen Kanälen: „Das ist ein Stück Rechtsgeschichte im digitalen Zeitalter“, sagte sie. Finanziert hatte das Verfahren die Beratungsstelle HateAid. Auch die Organisation sprach von einem „historischen Beschluss“. An die deutschen Gerichte sei dies ein Signal, dass sie es sich bei der Beurteilung von Beleidigungen im Netz „nicht zu einfach machen“ dürften.

Die Grünen-Politikerin Künast hatte immer wieder betont, dass in gezielten Hasskampagnen im Internet eine Gefahr für die Demokratie liege. Betroffene ermutigte sie, im persönlichen Umfeld offen über das Erlebte zu sprechen. Noch bevor die Angegriffenen sich an die Polizei wendeten, sollten sie die Öffentlichkeit suchen. Jeder Netznutzer sei dazu aufgerufen, Zivilcourage zu zeigen.

Sie selbst hat ihre Erfahrungen in dem Buch „Hass ist keine Meinung. Was die Wut in unserem Land anrichtet“ veröffentlicht. Darin beschreibt sie auch, wie sie diejenigen Menschen, die sie aufs Übelste beleidigt und angepöbelt haben, besucht. Bei den Besuchen konfrontiert sie diese auch mit der Frage, warum Menschen so etwas tun. Gegenüber PRO verdeutlichte die Politikerin auch, wie sehr sich der Ton in der Corona-Pandemie verschärft habe.

„Szene, die mit Begeisterung hatet“

Die Angreifer seien nicht die Entrechteten, mit denen man Mitleid haben müsse. Im Interview mit PRO spricht sie von einer ganzen „Szene, die mit Begeisterung hatet“. Früher seien vor allem Frauen, Homosexuelle oder die Angehörigen religiöser Gruppen in deren Fokus gewesen – nun komme die Gruppe derjenigen dazu, die wegen ihrer Äußerungen zu Corona in den Schlagzeilen stünden.

Im Zuge der Pandemie hätten sich Hassausdrücke im Netz immer mehr manifestiert, seien sozusagen salonfähig geworden – auch jenseits rechtsextremer Zirkel. Künast spricht von vielen „Mitläufern“, doch es gebe auch einige, die gezielt Hass säten, etwa um Politiker zum Rückzug zu bewegen. „Deren Ziel ist Zersetzung“, sagt die Bundestagsabgeordnete und warnt: „Der alltägliche Hass schafft eine Umgebung, in der es auch zu Taten kommen kann. Es gibt eine bewaffnete Gefahr.“

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3 Antworten

  1. Schon praktisch. Man verbietet einfach „Hass“ und „Hetze“ (wie auch immer das juristisch definiert ist) und und schon haben sich alle lieb und die Spaltung in der Gesellschaft ist überwunden.
    Bürger, die eine von der Regierung abweichende Meinung haben, müssen sich aber immer noch als „Covidioten“, „Corona-Leugner“, „Demokratiefeinde“, „Sozialschädlinge“ oder „Schwurbler“ bezeichnen lassen, denn anders herum gilt die Hass-Regelung natürlich nicht.

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    1. Vermutlich kennen weder die einen noch die anderen die Bergpredigt:

      „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist (2. Mose 20,13; 21,12):
      »Du sollst nicht töten«;
      wer aber tötet, der soll des Gerichts schuldig sein.

      Ich aber sage euch:
      Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig;
      wer aber zu seinem Bruder sagt: Du Nichtsnutz!, der ist des Hohen Rats schuldig;
      wer aber sagt: Du Narr!, der ist des höllischen Feuers schuldig.“

      Wir erleben in der zunehmenden Spaltung und Verrohung die erschreckenden Auswirkungen von Gottlosigkeit in unserer Gesellschaft.

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  2. Interessanterweise sieht Künast selbst auch die andere Seite, nämlich die Möglichkeit des Missbrauchs des „Netzdurchwirkungsgesetzes“ zur Unterdrückung der Meinungsfreiheit, insbesondere in einem verschärfenden Entwurf der damaligen SPD-Justizministerien Lambrecht 2019:
    „Die Opposition übt Kritik. Die grüne Bundestagsabgeordnete Renate Künast schrieb auf Twitter, dass die grosse Koalition Mittel gegen den Rechtsextremismus wähle, die bedenklich tief in die Bürgerrechte eingreifen würden.“
    https://www.nzz.ch/meinung/der-andere-blick/kampf-gegen-hass-bedrohung-fuer-grundrechte-ld.1528817

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