Meinung

Ein Dorf voller Antisemiten

Der rumänische Film „Holy Week“ will auf der Berlinale zeigen, wie harmlos daherkommende antisemitische Stereotype zu Hass, Mord und Totschlag führen können. Aktueller könnte ein Film nicht sein – dennoch wirft er Fragen auf.
Von Anna Lutz

Ein Dorf in Rumänien, Anfang des 19. Jahrhunderts. Männer sitzen am Tisch einer Gaststätte und sprechen über Evolution. Ganz klar, einen Dieb, den könne man an der Physis erkennen. Man müsse nur wissen, worauf zu achten sei. Da sind sie sich einig. Der jüdische Gastgeber serviert den diskutierenden Gästen Wein. Die Stimmung ist gelöst. Noch. Auch im Zuschauerraum des Kinos, in dem der Berlinale-Film „Holy Week“ gerade seinen Anfang nimmt, wird noch gelacht. Dabei hat der Mord an Millionen Juden einst den Anfang genommen in solch scheinbar harmlosen Vorurteilen und Theorien.

Im Film wird der jüdische Gasthof-Besitzer kurze Zeit später einen christlichen Angestellten feuern, weil dieser ihm und seiner Familie mutmaßlich unkoschere Speisen serviert hat. Es ist die Woche vor Ostern. Der Christ will nicht arbeitslos und arm das höchste seiner Feste begehen. Der Jude fühlt sich betrogen und fürchtet um das Seelenheil der Familie. Es ist ein kaum zu versöhnender Konflikt, der hier aufbricht. Heiliges steht gegen Heiliges. Es ist ein Kampf, den die Zuschauer auch aus der neueren Geschichte, vielleicht sogar aus ihrem eigenen Leben kennen. 

„Die glauben, wir trinken Kinderblut“

Und wie so oft im echten Leben, spitzt sich auch im Film alles dramatisch zu. Der Christ droht dem Juden, andere pflichten ihm bei, der Jude fühlt sich verfolgt, eingesperrt im eigenen Haus, weil er um sich herum lauernde Angreifer wähnt. Er wirft etwa die blutbeschmierte Schüssel weg, in der er eigentlich nur Hühnchen zubereitet hat. Denn was sollten die Leute im Dorf denken, wenn sie sie bei ihm fänden. „Die glauben doch, wir trinken das Blut von Kindern“, sagt er zu seiner schwangeren Frau. 

Als letztere dann in medizinische Not gerät, „platzt die Bombe“, wie es in der Filmbeschreibung heißt. Ausgerechnet in der Osternacht beschließt der jüdische Wirt, die Gegenwehr zu ergreifen – dabei ist er bis dato nicht einmal selbst körperlich angegriffen worden. 

Es ist ein verwirrender Film, den Andrei Cohn mit „Holy Week“ zur Kategorie „Forum“, der Berlinale beigesteuert hat. Einer, der zeigen will: Ein Funke reicht, um in einem religiösen Konflikt ein Feuer zu entzünden. Ein Film, der aufmerksam machen will auf Antisemitismus und sensibel machen, auch im Blick auf den Nahostkonflikt. Denn wer könnte „Holy Week“ sehen, ohne an den Krieg in Gaza zu denken, an die Eskalation von Gewalt, ausgelöst durch die Hamas. 

Gute Absicht, dennoch bleiben Fragen

Dennoch macht Cohn mit seinem Film auch ein Stück weit ratlos. Denn wüsste man es nicht besser, man könnte dem Regisseur glatt unterstellen, er wolle ausgerechnet seinen jüdischen Protagonisten als von Verfolgungswahn getriebenen Attentäter darstellen. Denn die Eskalation, die in unterlassener Hilfeleistung und sogar in einem Doppelmord endet, erlebt der Zuschauer fast ausschließlich aus dessen Blickwinkel mit. 

Die christlichen Antisemiten, die noch am Anfang laut tönend unter den Augen und Ohren des Dorfes ihr Gift versprühen, kommen am Ende kaum noch vor. Sie sind, so will man fast denken, eher Opfer als Täter, wäre da nicht noch eine kurze Schlussszene, die den Sohn des Wirts als Leidtragenden der ganzen Geschichte zeigt. Und offenbar klarmachen will: Gewalt, die einmal gesät ist, bleibt über Generationen bestehen. 

Die Berlinale hat sich in ihrer Eröffnungsveranstaltung am Donnerstag deutlich gegen Antisemitismus positioniert. Das muss man wissen, um „Holy Week“ richtig einzuordnen. Dennoch: Man wünscht sich, der Regisseur hätte sich etwas mehr mit der antisemitischen Seite der Geschichte und etwas weniger mit den Ängsten und der irrationalen Eskalation auf jener seines Protagonisten beschäftigt.

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