Die Unabhängigkeit kam, aber die Gewalt blieb

Vor einem Jahrzehnt hat der christlich geprägte Südsudan seine Unabhängigkeit vom muslimisch geprägten Sudan erklärt. Gewalttätige Auseinandersetzungen plagen das Land im Osten Afrikas, das heute als eine der am wenigsten entwickelten Regionen der Welt gilt.
Von Norbert Schäfer
Rinderherde im Südsudan

Am 9. Juli 2011 wurde der Südsudan als Republik unabhängig. Dem Ereignis war ein jahrelanger Unabhängigkeitskrieg des christlich geprägten Südens mit dem muslimisch-arabisch geprägten Norden des Landes, dem heutigen Sudan, vorausgegangen. Bei einem Unabhängigkeitsreferendum 2011 hatten sich 99 Prozent der abstimmenden Südsudanesen für die Unabhängigkeit vom islamisch geprägten Sudan ausgesprochen.

Nach Einschätzung von Pater Gregor Schmidt gibt es zehn Jahre nach der Unabhängigkeit allerdings wenig Grund zum Feiern. Denn von 2013 bis 2018 erschütterte ein blutiger Bürgerkrieg den jungen Staat. Ursache waren Interessenkonflikte zwischen den verschiedenen Ethnien und Clans des Landes. Die Volksgruppen der Dinka und der Nuer streiten bis heute um die Vorherrschaft. Bei den Kämpfen verloren mehr als 400.000 Menschen ihr Leben, vier Millionen flohen vor dem Krieg. Nach dem Bürgerkrieg verschärften Dürren und Heuschreckenplagen in Ostafrika und dem Horn von Afrika auch die Not im Südsudan. Noch immer herrschen Gewalt, Hunger und Vertreibung in dem Land mit seinen geschätzt rund elf Millionen Einwohnern.

Südsudan gilt heute als eine der ärmsten Regionen der Welt und als gescheiterter Staat. Bei den Vereinten Nationen (UN) rangiert das Land auf der Rangliste der menschlichen Entwicklung aktuell auf Rang 185 von 189 Ländern. Dazu kommen erschwerend latente Gewalt und Korruption.

Pater Schmidt lebt seit 2009 als Comboni-Missionar im Südsudan bei dem Hirtenvolk der Nuer in der Region Fangak. „Das weitläufige Sumpfgebiet, das regelmäßig vom Nil überschwemmt wird, wurde wegen seiner Unwegsamkeit weitgehend vom Bürgerkrieg verschont“, erklärt der Pater, der oft tagelang zu Fuß zu seinen Gemeinden in der Diözese in dem unwegsamen Gelände unterwegs ist. Der Gründer seines Ordens, der Italiener Daniel Comboni (1831–1881), gilt als einer der bedeutendsten Wegbereiter der Katholischen Kirche in Afrika. Combonis Leitmotiv als Missionar und später als Bischof von Khartum war: „Afrika durch Afrika retten.“ Heute gehören rund 1.500 Comboni-Missionare und 1.200 Comboni-Missionsschwestern dem Orden an, der geprägt ist von tiefem Respekt und Wertschätzung der Werte und Überzeugungen der Völker und der vorwiegend in Afrika aktiv ist.

Pater Schmidt und Helfer Foto: Gregor Schmidt
Für Pater Gregor Schmidt (3. von links) und Helfer führt der Weg in die Gemeinden häufig durch Sumpfgebiete

50 Rinder für eine Braut

Schmidt kennt Gründe für die anhaltende Gewalt in dem Land. Einmal sei da die Gesetzlosigkeit, weil der Staat vielerorts de facto nicht existent sei und Banden das Land beherrschten. Sich im Land zu bewegen, sei sehr gefährlich. Dazu komme, dass in der ohnehin korrupten Verwaltung des Landes die Verantwortlichen ausschließlich auf das Wohl der eigenen Sippe bedacht seien.

Die Menschen lebten in einer archaischen Gesellschaft als Hirten. „Der Viehdiebstahl ist ein ständiger Antreiber von Gewalt“, sagt der Pater. Seit tausenden Jahren raubten sich Familien und Sippen gegenseitig Rinder. Die seien bei der Heirat der Brautpreis für eine Frau. Bei den Nuer muss die Familie 50 Rinder für eine Frau zahlen, bei den Dinka 200. Die Vielehe macht das Leben teuer: Denn als Mann viele Frauen haben zu wollen, bedeute, viele Rinder für den Brautpreis besitzen zu müssen. Das wiederum führe oft dazu, dass Vieh bei benachbarten Völkern gestohlen würde – was wiederum Brutalität, Mord und Blutrache zur Folge habe.

Seit biblischen Zeiten ist die Vielehe als das übliche Modell des Zusammenlebens von Mann und Frau in der Kultur verankert. Die Vorstellung, in einer monogamen Ehe zu leben, sei selbst für Christen eine seltsame Vorstellung, konstatiert Schmidt. „Die erste Stufe für Christen im Land muss sein, die Monogamie schätzen zu lernen“, sagt er. Das sei aber noch ein weiter Weg. Auch die Ausbildung von Männern aus den Volksgruppen zum Priester und der damit verbundene Zölibat sei daher eine echte Herausforderung. Die große Mehrheit der Christen, egal ob Katholiken oder Protestanten, blieben polygam. Ausnahmen bildeten vereinzelt Gemeindeleiter, Pastoren oder Katecheten.

77 Prozent der Bevölkerung sind Christen

In zehn Jahren der Unabhängigkeit konnte in dem Land kein Bewusstsein für einen gemeinsamen Nationalstaat geschaffen werden. Innerhalb des Landes besteht nach Einschätzung von Pater Schmidt in den insgesamt 64 verschiedenen Volksgruppen zwar ein hohes Zugehörigkeits- und Solidaritätsgefühl mit der eigenen Sippe, nicht aber mit dem Staat. „Die Menschen empfinden sich nicht als eine Nation“, erklärt der Missionar. Die Volksgruppen freuten sich vielmehr über die Unabhängigkeit von den Arabern im Norden, die die schwarze Bevölkerung unterdrückt und versklavt habe. Eine nationale Identität fehle aber. Das liege auch daran, dass es außer dem Arabisch keine gemeinsame Sprache in dem Land gebe. Zu allem Übel funktioniere auch das Schulsystem nicht. „Dreiviertel der Südsudanesen sind Analphabeten“, schätzt Schmidt. Er sieht zwar den Wert westlicher Entwicklungshilfeprojekte in dem Land, übt aber auch Kritik. „Wir haben im Gegensatz zu staatlichen Entwicklungshilfeprojekten als Kirche keine Zielvorgaben, was wir nächstes Jahr erreichen müssen. Wir gehen mit den Menschen in ihrem Tempo.“ Für das Verinnerlichen von Kultur und Sprache fehle Entwicklungshelfern meist die Zeit. Technisches Wissen allein, davon ist Schmidt überzeugt, könne das nicht ausgleichen.

Schulunterricht unter Bäumen Foto: Gregor Schmidt
Unterricht findet unter einfachsten Bedingungen im Freien und meist ohne Tische und Stühle für die Schüler statt

Heute sind rund 77 Prozent der Bevölkerung Südsudans Christen, mehrheitlich Katholiken. Viele sind aber auch Presbyterianer, Anglikaner oder gehören Pfingstkirchen an, die alle ebenfalls sehr stark missionarisch und diakonisch aktiv sind. Nur zwei Prozent der Bevölkerung im Südsudan sind Muslime. Anders verhält es sich im nördlichen Nachbarland Sudan. Dort bilden sunnitische Muslime die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, nur fünf Prozent sind Christen. Im Norden des Sudan gab es jedoch schon ab dem 5. Jahrhundert eine einheimische christliche Kirche unter den Nubiern. Die nubischen christlichen Reiche entwickelten eine reiche Kultur und hatten auch eine eigene Bibelübersetzung, wie der Afrikanist und Sudankenner Roland Werner betont. Nach deren Zusammenbruch im 15. Jahrhundert wurden die Nubier muslimisch, wobei Spuren ihres früheren Glaubens bis heute erkennbar sind.

Der katholische Missionar Daniel Comboni gehört zu den christlichen Pionieren im Sudan, wobei ab dem 20. Jahrhundert evangelische Missionsbemühungen vor allem in den Nubabergen, aber auch im Südsudan Erfolg hatten. Die ersten katholischen Diözesen im heutigen Südsudan bestehen seit ungefähr 100 Jahren. Die Bekehrung zum Christentum als Massenbewegung hat das Land nach Schmidts Einschätzung erst nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt im Zuge der aufkeimenden Unabhängigkeitsbewegung vom muslimischen Norden. So ist die Diözese Malakal, wo Pater Schmidt arbeitet, erst in den 1970er Jahren errichtet worden.

„Afrikaner, selbst wenn sie nicht Christen sind oder Moslems, wissen um den einen Schöpfergott.“ Die von Protestanten wie Katholiken verwendete Bibel in Nuer, übersetzt von der Bibelgesellschaft in Khartum, verwendet für Gott den Begriff des Schöpfergottes aus der Nuer-Kultur. In dem Sinne sieht Schmidt seine Arbeit als Missionar. „Gott, an den die Nuer als Schöpfergott bereits geglaubt haben, der ist in Jesus Mensch geworden um seine Liebe den Menschen zu zeigen. Diesen Gott und Erlöser möchte ich bekannt machen.“

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