Meinung

Die orthodoxe Kirche und der Krieg

Bereits zwei Jahre dauert die russische Invasion in der Ukraine an. Doch längst findet der Krieg nicht nur auf dem Schlachtfeld statt. Denn eine besondere Rolle kommt der orthodoxen Kirche zu.
Von Martin Schlorke
Cover_Kreuz-und-Schwert

Vor genau zwei Jahren überfiel Russland die Ukraine. Noch immer dauert der Verteidigungskrieg der Ukraine an. In den 730 Tagen ist viel geschehen – auch fernab der militärischen Schlachtfelder im Süden und Osten des Landes. Längst findet auch eine Auseinandersetzung auf religiöser Ebene statt. Da ist der estnisch-orthodoxe Metropolit, der den baltischen Staat verlassen muss, die Ukraine verlegt das Weihnachtsfest, russischen Geistlichen droht der Ausschluss aus der Kirche und Russland wirbt in Afrika griechisch-orthodoxe Priester ab.

Diese Ereignisse haben einen gemeinsamen Nenner: Die russisch-orthodoxe Kirche, die von Putin für dessen Interessen eingespannt wird und ihn willig unterstützt. Warum das so ist, hat der Kulturwissenschaftler Gerhard Schweizer untersucht. In seinem Buch: „Kreuz und Schwert. Geschichte, Glaube und Politik der orthodoxen Kirchen“ untersucht er die Entstehung der orthodoxen Kirchen, deren Entwicklungen im Laufe der Geschichte, bis hin zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dass dabei das orthodoxe Christentum eine zentrale Rolle spielt, stellt für Schweizer eine „verstörende Überraschung“ dar, die „nur als eine tiefe Krise der Religion verstanden werden kann“. Im Mittelpunkt des Buches steht aber vor allem die politische Entwicklung der Orthodoxie, und weniger der russische Angriffskrieg.

Im Buch beschreibt Schweizer zu Beginn die „konfliktreiche Entwicklung seit der Antike“. Dabei geht er auch Frage auf den Grund, was das Christentum so erfolgreich gemacht hat und warum das Christentum eine Anhängerzahl erreichen konnte, die jene von anderen bis heute übertrifft. Eine Antwort liegt für Schweizer in der Person Jesus Christus. Jesus habe nicht nur Freiheit verkündet. Vielmehr habe er den „sozial Benachteiligten und Verachteten eine bis dahin unbekannte Würde gegeben.“

Theologische Entwicklung spielt kaum eine Rolle

Auf den folgenden Seiten beschreibt der Kulturwissenschaftler die Spaltung der Kirche, die Rivalität von Papst und Patriarch und die Entstehung der russischen Orthodoxie. Oder er thematisiert die Rolle der Orthodoxie im Kontext des Zerfalls Jugoslawiens.

All das hilft, sich ein historisch fundiertes Wissen anzueignen – auch um aktuelle Entwicklungen besser verstehen zu können. Wer sich allerdings ein tieferes theologisches Verständnis der Orthodoxie erhofft, wird mit dem Buch nicht glücklich, denn der Schwerpunkt liegt klar auf politischen Ereignissen – und lässt dabei keine Entwicklung offen. Wenngleich man sicherlich Schweizer nicht vorwerfen kann, gleichermaßen ein Experte für die Theologie der Orthodoxen Kirche zu sein, erstaunt es doch, dass er das eine oder andere Mal bei theologischen Fragen auf Wikipedia als Quelle verweist.

Besonders erfreulich ist das abschließende Kapitel. Darin wagt Schweizer einen Ausblick auf die „Zukunft des orthodoxen Christentums“. Zwar kämpfe die Orthodoxie mit ähnlichen Herausforderungen wie die evangelische oder katholische Kirche, allerdings seien die Voraussetzungen andere. Denn gerade in Russland habe die Orthodoxie lange „brutale Unterdrückung“ durch das kommunistische Regime erfahren und nun, nach dessen Sturz, sei es zur Diktatur eines politisch-religiösen Herrschaftssystems gekommen. Damit sich die Kirche aus dieser Verflechtung befreien könne, müsse die Macht der Diktatur „zerbröseln“, schreibt Schweizer.

Gerhard Schweizer: „Kreuz und Schwert. Geschichte, Glaube und Politik der orthodoxen Kirchen“, Herder, 240 Seiten, ISBN: 978-3-451-39562-8

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