Meinung

Die Oboe als Tür in eine bessere Welt

Albrecht Mayer ist weltbekannter Oboist. Seine Schüchternheit und sogar sein Stottern hat er durch die Musik und den Erfolg damit überwunden, schreibt er in seiner Autobiografie. Und er schildert, was seine spirituelle Saite zum Klingen bringt.
Von Jörn Schumacher
Oboe, Albrecht Mayer Buch

Albrecht Mayer gehört zu den international gefragtesten Oboisten der Gegenwart. Der Erfolg mit diesem Instrument ermöglichte ihm nicht nur ein Leben voller Anerkennung und auch ein wenig Luxus, sondern erlöste ihn auch vom lästigen Stottern. In seinem Buch „Klangwunder: Wie die Kraft der Musik mich geheilt hat“, das vor Kurzem im adeo-Verlag erschienen ist, beschreibt Mayer seinen steilen Weg hinauf von einem schüchternen, etwas andersartigen Jungen aus der bayerischen Provinz hin zu einem Weltstar. Darin beschreibt er auch, wie ihm besonders die Musik von Johann Sebastian Bach eine spirituelle Saite in ihm anklingen lässt.

Auf zweierlei Weise nimmt Mayers Vater eine entscheidende Rolle in seinem Leben ein. Zum einen war dieser autoritäre Arzt mit seiner fordernden Art einschüchternd genug, dass der junge Albrecht sich schon früh eher unzureichend fühlte. „Immer hatte ich das Gefühl, alles falsch zu machen“, schreibt Mayer. Zudem schien sein Bruder irgendwie beliebter und talentierter zu sein. Mayer selbst stotterte und wurde sogar von seinen Lehrern deswegen bloßgestellt.

Auch zur Oboe kam Mayer durch eine unmissverständliche Aufforderung seines Vaters. Als Mayer zehn Jahre alt war, legte sein Vater eine Oboe auf den Mittagstisch und verkündete seinen beiden Söhnen: „Ihr werdet ab sofort Oboe lernen!“ Zum einen sollte Albrecht durch das kontrollierte Atmen sein Stottern verlieren, zum anderen brauchte das Jugendorchester des Ortes nun einmal einen Oboisten.

Mayer übte, wurde verzaubert vom Instrument und beherrschte es schon nach ein paar Jahren besser als jeder andere. Es folgte eine steile Karriere, vom Solo-Oboisten beim Bayerischen Landesjugendorchester, zu den Bamberger Symphonikern und schließlich den Berliner Philharmonikern. Und das bereits im Alter von 26 Jahren. „Die Oboe ist das Beste, was mir in meinem Leben hätte passieren können, was mein Vater je hätte für mich tun können“, schreibt Mayer. Und ja, das sei in gewisser Weise ironisch, denn: „Der Mensch, der sicherlich nicht ganz unschuldig daran war, dass ich stotterte, gab mir gleichzeitig das Werkzeug an die Hand, mit dem ich letztendlich meine Behinderung nicht nur überwand, sondern mich zu Höhenflügen aufschwang.“

„Der höheren Macht dankbar, die mich gelenkt hat“

Die Oboe stieß Mayer die Tür in eine „besser Welt“ auf, er hatte nicht nur Erfolg bei den Mädchen und später bei den Frauen, sie ermöglichte ihm ein Leben in Ruhm und Reichtum. „Ich bin der höheren Macht, die mich gelenkt hat, dafür unendlich dankbar.“ Sein erstes bezahltes Konzert nennt er „eine „Erweckung“. „Ich wurde plötzlich überall gebraucht. (…) Nach jedem Konzert, nach jedem Applaus, fühlte ich mich freier und glücklicher.“ Und dieses Selbstbewusstsein nahm ihm auch das Stottern.

Im Sinne von „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“ sei er „fest davon überzeugt, dass wir unser Leben zu einem großen Teil selbst beeinflussen können.“ Gott ist für Mayer jene „übergeordnete Kraft, von der wir uns leiten lassen können, auch ohne weltliche Institution“. Der Kirche stehe er eher „kritisch gegenüber“, schreibt der Autor, aber: „In den schwierigsten Momenten des Lebens kann die Religion auch den Menschen helfen, ihnen Halt geben. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. In den intimsten Momenten des Lebens, wenn es wirklich darauf ankommt, muss jeder sich mit seinem Gott, seiner höchsten Kraft, eins zu eins alleine auseinandersetzen.“

Für den katholisch erzogenen Mayer, der gerne einmal „mit einer großzügigen Spende in den Opferstock einer Kreuzberger Kirche das himmlische Wohlwollen“ beeinflusste, um Erfolg bei einem Vorstellungsgespräch zu haben, sei es eine besondere Ehre gewesen, vor dem ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, und Papst Benedikt XVI. zu spielen.

Die Musik sei für ihn eine Möglichkeit Gottes, zu Menschen zu sprechen, ist Mayer überzeugt. Bach, Mozart und Beethoven „führen uns in eine Sphäre, die dem Höchsten gewidmet ist, egal welchen Namen er trägt. Sie wurden von Gott mit Sicherheit als Werkzeug ausgewählt, um eine Verbindung zu ihm herzustellen.“ Besonders die Musik Bachs sei der Schlüssel zu seiner Spiritualität. Durch sie ahne er etwas von dem Göttlichen, schreibt Mayer, ohne das weiter auszuführen. Über jenen sogenannten „fünften Evangelisten“, aus dessen Werk biblische Wahrheiten geradezu herausquellen, schreibt Mayer zwar: „Ohne Bach könnte ich wahrscheinlich schlichtweg keine Musik machen“, bleibt aber in Glaubensdingen auch sonst eher vage. Er sei überzeugt, dass Menschen „eine übergeordnete Instanz brauchen, die nicht von dieser Welt ist“.

Die Oboe – seine Erlösung

Mayer schwankt in seiner Biografie zwischen dem Stolz auf sein erkämpftes Leben in Anerkennung und Luxus, den ihm die Oboe ermöglicht hat, einerseits, und dem erkennbaren Wunsch nach Demut und Bescheidenheit andererseits. Da erwähnt er die Porsches, Maseratis und Lamborghinis, die er auf seinen Reisen immer wieder fahren durfte – „zu Hause fahre ich trotzdem einen kleinen Peugeot“.

Er erwähnt das „gute, beziehungsweise hochwertige, manchmal gar luxuriöse“ Essen, das ihm wichtig ist („Ich empfinde den Genuss von Kaviar und Trüffel als eine überaus große Bereicherung für meinen Gaumen“), sowie die Top-Weine der Welt, die er in seinem Lebens einmal probiert haben möchte, ebenso wie seine Sammelleidenschaft für Armbanduhren („Ich besitze mittlerweile an die 100 Stück.“), ja sogar seine Lieblings-Uhrenmanufaktur in der Schweiz erwähnt er. Gleichzeitig ist ihm klar, dass nur sein Fleiß dahin gebracht hat, wo er heute steht. „Mir war mein Erfolg nicht in den Schoß gefallen.“

Die Oboe, das wird im Buch klar, war Mayers Erlösung, nicht nur vom Stottern. Immer wieder stellt er fest, dass er sich zum Beispiel selbst äußerlich eher wenig attraktiv fand und findet. Wäre da nicht die Oboe, was wäre aus diesem Mann wohl sonst geworden? Und so drängt sich zwischen all die Bewunderung für diesen steilen Karriereweg immer wieder auch ein wenig Nachdenklichkeit in die Lektüre. Was ist eigentlich mit all jenen Menschen, die an einem Handicap leiden, aber kein Instrument bis zur Perfektion gelernt haben und auch kein Leben voller Ruhm leben? Vielleicht sind sie ja trotzdem wertvoll, und durch die Musik bekommen sie – wenigstens für ein paar Stunden – einen Draht zu jener „höheren Macht“, der Mayer für die Lenkung seines Lebens an einer Stelle dankt.

Albrecht Mayer, Heidi Friedrich: „Klangwunder: Wie die Kraft der Musik mich geheilt hat“, adeo, 224 Seiten, 22 Euro

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