Dem Tod ganz nah

Eine Ausstellung zeigt den Tod. Und zwar hautnah. Das ist sicher nichts für jeden, aber eine faszinierende Erfahrung.
Von Anna Lutz

Am Ende sind viele bunte Lichter. Ein letztes großes Feuerwerk. Sie schwirren vor den Augen, blau, rosa, lila, gelb. Ein Cocktail aus Noradrenalin, Serotonin, Dopamin. Dann plötzlich Stille. Es wird dunkel. So ist es, wenn man stirbt, sagt die Wissenschaft.

Die Tür öffnet sich und es geht raus ins Licht. Nicht in das Himmlische, versteht sich. Sondern einfach in den nächsten Raum. Einen weißen Flur.

So erleben das derzeit Besucher der Ausstellung „un_endlich. Leben mit dem Tod“ im Berliner Humboldt-Forum. Noch bis Mitte November können sie hier, im Herzen der Hauptstadt, nicht nur den eigenen Tod erleben, sondern auch sonst allerhand faszinierendes über das Ende sehen, lesen, hören, reflektieren.

Religion im Blick

So beginnt der Rundgang mit einem Blick in die Weltreligionen. In verschiedenen Zelten erzählen Muslime, Christen, Hindus oder auch Agnostiker wie der Kriminalbiologe Mark Benecke akustisch aufgezeichnet von dem Leben nach dem Tod, wie sie es sich vorstellen. Oder eben auch nicht vorstellen. Für Jasmin El-Manhy, Gemeindepfarrerin an der Samariterkirche in Berlin-Friedrichshain steckt Trost und Gehaltensein im Abschied nehmen. Und die Hoffnung auf Wiederauferstehung, wie sie sich in der biblischen Geschichte von Ostern findet.

Ein Raum, weiß und von halbdurchsichtigen Tüchern gesäumt, lädt zum Rasten auf Wellnessliegen ein. Mithilfe von Headsets setzen sich die Liegenden dann mit Fragen rund um Leben und Tod auseinander: Hast du schon einmal über deine eigene Beerdigung nachgedacht? Glaubst du an ein Leben nach dem Tod? Gibt es einen guten Tod? Die Antworten, Ja oder Nein, werden gesammelt, evaluiert und sind im weiteren Verlauf der Ausstellung prozentual ausgewertet sichtbar.

Foto: RFK Architects_Tom Piper_Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss_Alexander Schippel
„Gibt es ein Leben nach dem Tod?“ Auf Fragen wie diese dürfen Besucher der Ausstellung antworten.

Eine zusammengeschnittene Videokonferenz, die „Konferenz des Sterbens“, gibt Aufschluss über den Sterbeprozess. Sie zeigt Menschen aus der ganzen Welt, die in ihrer Funktion mit dem Thema zu tun haben. Eine Hospizkrankenpflegerin, eine Sterbebegleiterin oder ein Mönch erzählen, etwa davon, dass sich der Körper eines Menschen, der bald stirb, anders anfühlt als der eines Gesunden. Was die letzten Wünsche Sterbender sind. Und wie sich letzte Atemzüge anhören.

Bestattung nach Din-Norm

Das Herz der „Leichenhalle“ ist ein Obduktionstisch, zu einer Art Fernseher umfunktioniert. Auf seiner Oberfläche läuft ein Film. Zum einen zeigt er eine rituelle islamische Leichenwaschung, zum anderen eine Leichenversorgung nach DIN-Norm, wie sie von säkularen Bestattern durchgeführt wird. Den Toten selbst bekommt allerdings niemand zu Gesicht, die Tücher und Waschungen deuten nur an, dass da eine Leiche liegen könnte. Sie zu zeigen wäre dann wohl sogar für eine Ausstellung, die sich ganz und gar dem Ende des Lebens verschrieben hat, zu viel des Guten.

Foto: RFK Architects_Tom Piper_Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss_Alexander Schippel
„Die Leichenhalle“ zeigt, wie eine rituelle Waschung vollzogen wird

Doch die Ausstellung bleibt nicht bei der Vergänglichkeit des Einzelnen stehen. Grafiken und Übersichtskarten geben Auskunft über die weltweit häufigsten Todesursachen, durchschnittliche Sterbealter und nicht zuletzt über das Artensterben weltweit.

Und so wirkt einer der letzten Räume in dieser durch und durch dem Tod geweihten Show wie eine Sektion im Naturkundemuseum. Zylinder mit Konservierungsflüssigkeit zeigen ausgestorbene und vom Aussterben bedrohte Tierarten, etwa den Rauchgrauen Flughund oder das Javanische Schuppentier. Die zahlreichen leeren Behälter sind als Mahnung zu verstehen: Sie werden sich schon bald füllen, wenn wir unsere Lebensweise nicht ändern.

Foto: RFK Architects_Tom Piper_Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss_Alexander Schippel
Auch das Thema Artensterben gehört zur Ausstellung „un_endlich“ in Berlin

„Un_endlich“ ist eine beeindruckende, ans Theater erinnernde Ausstellung. Wie in verschiedene Akte unterteilt nähert sich der Besucher erst dem eigenen Tod, um dann wieder einen Schritt zurückzutreten und die Welt zu betrachten. Das Ablaufen der Räume gleicht einem meditativen Erlebnis, das für Christen besonders zur Kar- und Osterzeit, der Zeit des Lebens, Sterbens und Auferstehens, besondere Relevanz hat.

Die Kunst entdeckt den Tod neu

Der Tod als Thema künstlerischer und medialer Auseinandersetzung ist en vogue. Das mag an der Art und Weise liegen, wie jeder von uns derzeit herausgefordert ist, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Durch Krieg und Pandemie ist er uns im Westen so nah gekommen wie lange nicht. Und die Bundespolitik muss sich seit Monaten mit der Frage plagen, wie eine neue Sterbehilferegelung gefunden werden kann.

Offenbar gibt es eine Sehnsucht nach Wissen, eine Sehnsucht danach, ein Gefühl für das Unausweichliche zu entwickeln. RTL machte jüngst Schlagzeilen mit einer so noch nie dagewesenen Doku namens „Sterben für Anfänger“, um nur ein Beispiel zu nennen. Nun folgt die Ausstellung im Humboldt Forum. Sie wird nicht die letzte ihrer Art sein.

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