Meinung

RTL holt den Tod aus der Schmuddelecke

In einer aktuellen Show sollen Steffen Hallaschka und Olivia Jones das Sterben lernen. Das Format ist alles: berührend, klamaukig, plumpe Schönfärberei – und ein kleines Stückchen TV-Geschichte.
Von Anna Lutz

„Sterben für Anfänger“ ist Wahnwitz und Mahnmal zugleich. Ernstzunehmende Doku und Esoterik-Firlefanz. Kneipentheke und Sterbebett. Alles auf einmal. Eine Sendung wie ein Autounfall: Unmöglich abzuschalten, aber nur unter Qualen zu ertragen. Sollte man sie also anschauen? Auf jeden Fall!

Olivia Jones und Steffen Hallaschka auf Geisterjagd

Doch beginnen wir vorne: Das Format, derzeit auf RTL+ zu streamen, ist schon in seiner Orchestrierung schwer begreifbar. Der Sender schickt Travestie-Königin Olivia Jones und das Stern-TV-Aushängeschild Steffen Hallaschka auf die Suche nach dem Tod. Die Moderatoren stellen fest: Mit nun jeweils über 50 Jahren haben sie sich noch nie mit dem Sterben auseinandergesetzt. Es wird Zeit. So begeben sie sich auf eine sechsteilige Reise, die alles, aber auch wirklich alles beinhaltet, was irgendwie mit dem Thema zu tun hat.

Olivia Jones seziert einen sich zersetzenden Waschbär und kann dabei nur geradeso ihren Mageninhalt bei sich behalten. Steffen Hallaschka begutachtet eine Kremation und stellt fest: Künstliche Hüftteile aus Metall wandern auch mit in die Urne. Jones versucht erfolglos per obskurem männlichem Medium ihren toten Vater zu sprechen. Hallaschka baut seinen eigenen Sarg.

Beide gehen in einer heruntergekommenen alten Irrenanstalt mithilfe grüner Murmeln und soundverstärkender Geräte auf Geisterjagd. Hallaschka fragt Jones: „Glaubst du an ein Leben nach dem Tod?“ Jones antwortet: „Ach, das kann ich mir nun wirklich nicht vorstellen … und überhaupt, wichtig ist doch, dass man vor dem Tod lebt.“

So weit, so RTL.

Steffen Hallaschka bei der Besichtigung eines Krematoriums

Doch dabei bleibt es nicht. Und je mehr TV-Minuten ins Land gehen, umso mehr stellt sich ein Gefühl ein, das der Zuschauer eher nicht erwartet hat: Was Jones und Hallaschka hier machen, ist irgendwie auch ein Stück TV-Geschichte. Denn neben den weichen Themen, hochtoupiert wie die Haare der Moderatorin, stehen leise und wahre Geschichten. So unfassbar wie der Tod selbst.

Suizid vor laufender Kamera

Da ist etwa das Pärchen, dem ein halbes Jahr nach der Hochzeit die Bauschspeicheldrüsenkrebsdiagnose ins Haus flattert. Wieviel Zeit noch bleibt? Vielleicht ein halbes Jahr. Aber weil das Leben trotzdem wertvoll ist, gehen die Verliebten mit Morphinpumpe ausgestattet auf der Reeperbahn feiern.

Da ist die Mutter dreier kleiner Kinder, die an unheilbarem und aggressivem Brustkrebs leidet. Läuft es gut, erlebt sie noch die Einschulung der Kleinsten mit. Aber vielleicht auch nicht. Ganz selbstverständlich lädt sie sich eine Bestatterin nach Hause ein, um mit ihr das Wichtigste für den letzten Weg durchzusprechen. Der Ehemann schmiert in der Küche die Pausenbrote.

Und da ist jene Frau, die sich in der Schweiz ärztlich assistiert das Leben nimmt, weil sie an Zungenkrebs leidet. Geplant war ein einziges Interview, einen Tag vor dem Suizid. Schon das ist bemerkenswert, so abgeklärt und selbstverständlich sprechen sie und ihr Ehemann von dem, was kommt. Keine Minute sei für sie in ihrem Zustand noch lebenswert, sagt sie. Auf die Frage, was das Paar am letzten gemeinsamen Abend tue, brechen beide in Gelächter aus. Na, nichts Besonderes. Es ist sei schließlich ein ganz normaler Abend.

Am Tag des Todes bittet die Frau das TV-Team, dabei zu sein. Bis zum Schluss. Es wirkt wie ihr letzter Wunsch. Und so sitzen Hallaschka und sein Kamerateam daneben, als die Frau ihren letzten Kinderriegel isst. Als sie sich von ihrem Mann verabschiedet, indem sie seinen Kopf an ihren Oberkörper drückt und sein Haar streichelt. Als sie ihm sagt: „Atme!“ Als sie die Kanüle mit dem todbringenden Medikament öffnet und einschläft. Als ihre Nasenspitze weiß wird und die begleitende Ärztin sagt: „Ich glaube, sie ist schon unterwegs.“ Hallaschka weint.

Darf man bei sowas draufhalten mit der Kamera? Muss man nicht Abstand halten, selbst dann, wenn die Sterbende sich anderes wünscht? Darüber ist zu diskutieren, aber bei allen Fragezeichen, die bleiben, ist es doch ein Verdienst dieses Formats, dass es sich wagt, sich dem Tod zu nähern. Denn obwohl er jeden ereilt, leben wir heute in einer Gesellschaft, die so tut, als gäbe es ihn nicht. Leid, Schmerz und Sterben sind ausgelagert. In Krankenhäuser, zu Bestattern, in Hospize. Deshalb kommt der Tod immer überraschend und deshalb sind viele von uns so schlecht auf ihn vorbereitet.

Sterben darfst du, aber sei stark!

Es wäre leicht, RTL Voyeurismus zu unterstellen und auszuschalten. Aber „Sterben für Anfänger“ reitet nicht auf den Schicksalen seiner Hauptpersonen herum. Es geht hier um ihren Umgang mit dem Tod. Wollte man den TV-Machern etwas vorwerfen, dann am ehesten, was sich aus dieser Herangehensweise ergibt. Nämlich, dass ihre Protagonisten mitnichten ein Abbild der Gesellschaft sind, sondern alle unfassbar gut ausgewählte, starke Persönlichkeiten. So füttert der Sender doch irgendwie ein Tabu: Sterben darfst du, aber sei stark dabei, ist die Storyline. Und: So schrecklich ist das eigentlich nicht.

Nicht nur Christen wissen, dass der Tod schrecklich sein kann. Kurz vor Ostern haben sie Jesu Leid am Kreuz vor Augen. Sterben kann einsam, schmerzhaft und auf vielerlei Weise qualvoll sein. Das macht das Leben nicht weniger lebenswert. Davon erzählt RTL nicht. Vielleicht tut es irgendwann ein anderes, nachdenklicheres Format. Dann aber vermutlich ohne Olivia Jones als Moderatorin.

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