„Das ‚C‘ ist für mich nicht verhandelbar“

Daniel Günther ist Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Im PRO-Interview plädiert er für ein hartes Vorgehen gegen Antisemitismus, eine scharfe Abgrenzung zur AfD – und verrät, was ihm das Gebet als Politiker bedeutet.
Von Martin Schlorke
Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU)

PRO: Herr Günther, Sie fordern, dass Antisemitismus in Deutschland mit allen Mitteln des Rechtsstaates bekämpft werden muss. Reichen die vorhandenen Mittel aus?

Daniel Günther: Es ist notwendig, dass wir unsere klaren und stringenten Gesetze gegen Antisemitismus konsequent anwenden. Für sehr viel wichtiger halte ich es, dass wir uns als Staat und Gesellschaft noch stärker gegen Antisemitismus einsetzen.

Auch gegen Antisemitismus unter Migranten?

Gegen jede Form von Judenfeindlichkeit – ob von rechts, von links oder islamistisch motiviert. Wir müssen uns aber in der Tat auch damit auseinandersetzen, wie wir gegen sogenannten importierten Antisemitismus vorgehen. Wir dulden in unserem Land keinen Judenhass, weder von Menschen, die hier leben, noch von Menschen, die herkommen. Und für Letztere gilt, dass das ein Grund sein kann, dass sie Deutschland schlicht wieder verlassen müssen, wenn sie keine deutsche Staatsbürgerschaft haben.

Und diejenigen mit deutschem Pass?

Um die müssen wir uns natürlich kümmern. Wir brauchen eine deutliche Ansprache. Nach dem Massaker der Hamas hat das Bildungsministerium in Schleswig-Holstein sofort gehandelt und den Schulen Hilfen an die Hand gegeben, zum Beispiel Unterrichtsmaterial zum Thema Antisemitismus. Wissensvermittlung und politische Bildung sind ein ganz wichtiger Schlüssel. Junge Menschen müssen lernen, was in Deutschland während des Holocaust geschehen ist, was in Israel gerade passiert und welche Verantwortung wir gegenüber Menschen jüdischen Glaubens haben. Es muss schon in der Schule vermittelt werden, dass Antisemitismus keinen Platz in Deutschland hat.

Aufgrund des israelischen Vorgehens gegen die Hamas sind zehntausende Menschen auf der Flucht. Sollte Deutschland Flüchtlinge aus dem Gazastreifen aufnehmen?

Ich würde es für falsch halten, solche Si‌g­nale auszusenden. Wir nehmen bereits sehr viele Menschen aus Kriegsgebieten auf und kommen an unsere Belastungsgrenzen, teilweise sind sie schon überschritten. Vielmehr bräuchte es eine Solidarität in der Region, also von arabischen Staaten. Ich will dabei betonen: Die israelische Armee versucht, zivile Opfer zu vermeiden. Die Hamas macht das Gegenteil.

Auch die Kommunen warnen vor Überforderung durch Migration. Nimmt die Bundespolitik solche Warnungen ernst genug?

Die Bundesregierung hat das Thema jedenfalls nicht vorangetrieben. Die Warnungen sind ja nicht neu, sie wurden bereits im Frühjahr von den Ländern geäußert. Übrigens auch die Forderungen nach Maßnahmen.

Warum hat die Bundesregierung so spät reagiert?

Die Koalition tut sich bei vielen Themen schwer, eine gemeinsame Linie zu finden – das galt bis zum Bund-Länder-Gipfel am 6. November auch für Migrationspolitik.

Bei Wahlen hat die AfD in jüngster Zeit deutlich zugelegt. Warum?

Es ist bitter, dass es so weit kommen musste. Verantwortungsbewusste Politik wartet nicht auf schlechte Ergeb­nisse, sondern agiert so, dass das Vertrauen der Menschen in die Lösungsfähigkeit staatlicher Organisationen gar nicht erst schwindet. Das hat die Bundesregierung in den letzten Monaten vernachlässigt.

In Ihrer Partei, der CDU, gibt es seit geraumer Zeit Debatten über das ‚C‘ im Parteinamen. Ist das Christliche in einer immer säkularer werdenden Gesellschaft noch zeitgemäß?

Es ist für mich zeitgemäß und auch nicht verhandelbar. Ich bin sehr froh, dass wir das ‚C‘ im Namen haben. Und zwar nicht als Abgrenzung gegenüber anderen Religionen, sondern als klares Bekenntnis zu unseren christlichen Grundwerten und einer Politik, die davon geleitet ist. Diese Werte haben unser Land geprägt.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Nächstenliebe. Dazu gehört auch eine Offenheit gegenüber anderen Menschen. Oder die Frage, wie wir in Debatten miteinander umgehen und wie wir mit anderen Menschen sprechen.

Was bedeutet das konkret? Die CDU scheint gerade zu versuchen, ihr konservatives Profil zu schärfen, Stichwort Lebensschutz oder Prostitution.

Die CDU hat den Anspruch, eine Volkspartei zu sein. Das ist allerdings nur möglich, wenn man sich breit aufstellt. Dazu gehören auch der christlich-konservative Bereich und klare Positionierungen. Insofern begrüße ich das.

Die AfD besetzt ähnliche Themen. Wie will sich die CDU von ihr abgrenzen?

Es ist ein Wesenskern einer christlich-demokratischen Union, sich – auch aufgrund ihrer Geschichte – klar von Totalitarismus und Rechtsextremismus abzugrenzen. Und auch jetzt darf die CDU keinen Zweifel daran lassen, dass diese Trennung gegeben ist. Die CDU ist in der Mitte der Gesellschaft verortet und steht klar gegen radikale, extremistische oder menschenverachtende Tendenzen, die Menschen auseinandertreiben. Das ist der fundamentale Unterschied zu einer Partei wie der AfD. Dennoch müssen wir Themen ansprechen, die den Menschen unter den Nägeln brennen. Das dürfen wir nicht einfach der AfD überlassen. Übrigens sehe ich die anderen Parteien da genauso in der Verantwortung. Wir müssen die Probleme der Menschen ernst nehmen und Lösungen und konkrete Maßnahmen präsentieren – anders als die AfD. 

Für Sie kommt also eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht infrage?

Nein, diese Grenze dürfen wir niemals überschreiten. Das sollten wir auch ganz klar gegenüber unseren Wählerinnen und Wählern kommunizieren. So eine Abgrenzung hat uns in der Vergangenheit stark gemacht. Als ich zu den Zeiten Helmut Kohls in die CDU eingetreten bin, hieß es immer, es dürfe sich rechts der CDU keine Partei gründen, die länger im Parlament vertreten ist. Das ist mit der AfD geschehen.  Wichtig ist, dass wir als Union eine klare Haltung ihr gegenüber zeigen.

Was bedeutet das ‚C‘ für Sie als Politiker?

Christliche Werte sind mir wichtig und prägen mein Sein als Politiker. Ich habe Politik immer so gemacht, dass ich alle Entscheidungen, die ich treffe, da­rauf prüfe, ob ich sie auch als gläubiger Mensch vertreten kann.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Das ist bei jeder Entscheidung so. Viele Themen haben ja eine ethische und moralische Tragweite. Und da muss ich mich fragen, ob ich sie vor meinen christlichen Glauben verantworten kann. Ich bin allerdings kein Mensch, der den christlichen Glauben wie eine Monstranz vor sich hält und jedes Mal betont, dass man eine bestimmte Entscheidung als Christ trifft. Ich bete regelmäßig. Und in meine Gebete schließe ich die politische Situation und die aktuelle Weltlage mit ein.

Vielen Dank für das Gespräch.

Daniel Günther, Jahrgang 1973, ist in Kiel geboren. Nach dem Abitur hat Günther Politikwissenschaften, Volkswirtschaftslehre und Psychologie studiert. Seit 2019 ist er Mitglied des Landtages in Schleswig-Holstein und seit 2017 Ministerpräsident des nördlichsten Bundeslandes. Günther ist römisch-katholisch, verheiratet und Vater zweier Töchter.

Der Artikel ist erstmals in der Ausgabe 6/2023 des Christlichen Medienmagazins PRO erschienen. Das Heft können Sie hier kostenlos bestellen.

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