Meinung

Da ist keine Hoffnung, nirgends

Der Film „Zum Tod meiner Mutter“ zeigt das lange selbstbestimmte Sterben einer schwerkranken Frau. Ein Martyrium für Protagonisten und Zuschauer und ein finsterer Beitrag zur aktuellen Sterbehilfe-Debatte.
Von Anna Lutz

„Sie will niemanden zu ihrem Mörder machen“, erklärt Tochter Juliane (Birte Schnöink) im Film, warum ihre Mutter Kerstin (Elsie de Brauw) sich auf ihren nicht enden wollenden Leidensweg begibt. Der Tod soll sie aus ihrem gelähmten Körper befreien, den Krämpfen ein Ende bereiten und der fortschreitenden unbenannten Krankheit, die sie befallen hat, Einhalt gebieten. Es ist ihr letzter Ausweg. Doch niemand soll ihr einen Becher mit todbringenden Medikamenten reichen. Sie will es alleine tun. Es bleibt nur eine Möglichkeit: Kerstin hört auf zu essen und zu trinken.

Auf ihrem wochenlangen Weg in den Tod begleitet sie neben der Tochter und einigen Pflegekräften ein Palliativmediziner, der wenig mehr tun kann oder will, als Morphiumpflaster auf den Rücken der Schwerkranken zu kleben. Am Leid der Sterbenden ändert das augenscheinlich wenig. Sie weint, sie heult auf vor Schmerzen, sie vegetiert vor sich hin, nur getragen von den Vorleseritualen mit ihrer Tochter, die ihr unablässig die Liebesbriefe von Helene Weigel und Bertolt Brecht vorträgt.

Nur noch ein „lebender Leichnam“

Dabei sieht Mutter Kerstin ab und an im wahrsten Sinne das Licht, dann nämlich, wenn Juliane sie mit nach draußen nimmt. Oder wenn eine besonders hingegebene Pflegerin sich um sie kümmert. Doch der Weg nach draußen wird mit der Zeit zu beschwerlich, der Rollstuhl schiebt sich kaum noch durch Pfützen und über Stock und Stein, die Schmerzen der Mutter bei Bewegung sind groß. Und die geschätzte Pflegekraft tritt ihren Jahresurlaub an.

Schon bald verlagert sich alles in das kleine Zimmer im Pflegeheim mit seinen roten Wänden und einer Malerei an der Wand. Mit dem hoch- und runterfahrbaren Bett und dem tristen Nachttisch, den neben einer hässlichen Lampe nur einige Familienfotos zieren, die Kerstin ohnehin nicht mehr ansehen kann, da auch ihr Augenlicht angegriffen ist. „Die Welt ist geschrumpft auf das Ausmaß dieses elenden Zimmers“, stellt Juliane irgendwann fest. Ihre Mutter sei noch wenig mehr als ein „lebender Leichnam“.

Nahezu alles an Kerstins letztem Weg ist trist oder finster. Das Zimmer in dem sie liegt, die Freunde, die sie ein letztes Mal besuchen und sprachlos neben ihr sitzen. Die Tochter, die sie zwar unablässig begleitet, aber dabei mehr Alkohol trinkt, als gut für sie ist, und das Lachen einstellt. Die Pfleger, die immer wieder fragen, ob Kerstin nicht doch etwas trinken will. Der Palliativarzt, der mit Augenringen im Gesicht ratlos dreinschaut, wenn sich Kerstins Zustand zwar verschlechtert, aber nicht ausreichend, als dass sie sich ihrem ersehnten eigenen Tod endlich nähern würde.

Keine Gottes-Perspektive

Die Perspektive von Regisseurin Jessica Krummacher ist hoffnungslos. Sie ist bestimmt vom Schmerz des Abschieds. Selbst das, was wir ein Lichtschimmer wirkt, entpuppt sich als Schatten, etwa wenn Kerstins beste Freundin ihr durch Erinnerungen an gemeinsame Reisen ein ersticktes Lachen entlockt, nur um kurze Zeit später gemeinsam mit ihr in Tränen zu versinken. Und selbst als der Tod sich dann nach zwei Wochen des Leidens zu nähern beginnt, überkommt die Sterbende plötzlichen eine zuvor nicht dagewesene Angst vor dem, was nach dem letzten Atemzug kommen könnte: Nichts.

Krummacher hat nichts für eine über das Jetzt hinausschauende Sicht übrig. Metaphysisches blendet sie aus, lediglich einmal kommt Gott zur Sprache und da nur in Gestalt einer radikalen Pflegekraft, die der Kranken mit Gewalt Wasser einzuflößen versucht, denn „man stirbt nicht einfach so“. Über Leben und Tod entscheide der „liebe Gott“.

Die große Ratlosigkeit

„Zum Tod meiner Mutter“ ist deshalb eigentlich nicht wirklich ein Beitrag zur Debatte um Suizidbeihilfe. Und er ist es doch. Anders als bei anderen Werken zum Thema, etwa dem französischen aktuellen Film „Alles ist gut gegangen“, beschäftigen sich die Figuren hier kaum mit der Frage, wie sie einem Leidenden zum Tod verhelfen könnten. Es geht auch nicht um rechtliche Auseinandersetzungen, also etwa: Darf ein Arzt Suizidbeihilfe leisten? Oder ein Angehöriger? Der Film schließt diesen Diskurs von Anfang an aus, denn Kerstin will sich selbst zu Tode hungern.

Stattdessen zeigt er die große Ratlosigkeit aller Beteiligten im Angesicht des Todes, man will sagen, im Angesicht dessen, was man heute selbstbestimmtes Sterben nennt. Pfleger, Angehörige, Ärzte – ein jedem scheinen in diesem Film die Worte zu fehlen, wenn es um den letzten Weg geht. Und Kerstin selbst kann durch ihre Krankheit kaum noch ausdrücken, was sie fühlt. So macht Krummacher ganz unfreiwillig klar, wie wichtig nicht Sterbehilfe, aber kompetente Sterbebegleitung ist – und bringt so am Ende doch die Kirchen ins Spiel, auch wenn die Regisseurin das sicherlich nicht beabsichtigt hat.

„Zum Tod meiner Mutter“, Deutschland, 135 Minuten, ab 9. Juni im Kino

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2 Antworten

  1. Wie trostlos das doch ist: Vorleserituale mit Liebesbriefen von Helene Weigel und Bertolt Brecht.
    Getröstet kann derjenige gehen, der mit Liebesbriefen von Jesus Christus sterben darf. Es gibt doch so viele Verse in der Bibel, die diese Liebe bezeugen und vom ewigen Leben sprechen.

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  2. Die Beschreibung des Inhalts, kenne ich aus meiner Arbeit. Fast alles habe ich erlebt inklusive einer radikalen christlichen Pflegekraft. Diese Geschichte könnte in jedem Krankenhaus oder Pflegeheim spielen.

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