Bild-Chef muss gehen, Spiegel macht Details öffentlich

Gut ein halbes Jahr nach dem überstandenen Compliance-Verfahren muss Bild-Chef Reichelt doch seinen Posten räumen. Grund ist die Erkenntnis des Springer-Vorstands, dass Reichelt Privates und Berufliches weiterhin nicht klar getrennt hat. Am Montagabend veröffentlichte der Spiegel Details einer Recherche zu den Vorfällen.

Der Verlag Axel Springer hat Bild-Chefredakteur Julian Reichelt mit sofortiger Wirkung von dessen Aufgaben entbunden. Nachdem Reichelt im Frühjahr bereits für einige Zeit freigestellt und nach einer Compliance-Untersuchung auf seinen Posten zurückkehrt war, teilte der Konzern am Montag in Berlin mit, als Folge von Medienrecherchen in den vergangenen Tagen neue Erkenntnisse über das aktuelle Verhalten Reichelts gewonnen zu haben. Als der Vorstand dem nachgegangen sei, habe er erfahren, „dass Julian Reichelt auch nach Abschluss des Compliance-Verfahrens im Frühjahr 2021 Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt hat“.

„Deshalb hält der Vorstand jetzt eine Beendigung der Tätigkeit für unvermeidbar“, hieß es. Neuer Vorsitzender der dreiköpfigen Bild-Chefredaktion wird Johannes Boie, derzeit Chefredakteur der Welt am Sonntag. Bevor der 37-Jährige 2017 zu Axel Springer kam, hatte Boie bei der Süddeutschen Zeitung gearbeitet. Alexandra Würzbach bleibt Chefredakteurin der Bild am Sonntag und verantwortlich für Personal- und Redaktionsmanagement. Claus Strunz ist als Chefredakteur für das Bewegtbildangebot verantwortlich.

Vorwürfe des Machtmissbrauchs

Springer-Chef Mathias Döpfner sagte, Reichelt habe Bild journalistisch hervorragend entwickelt. „Wir hätten den mit der Redaktion und dem Verlag eingeschlagenen Weg der kulturellen Erneuerung bei Bild gemeinsam mit Julian Reichelt gerne fortgesetzt. Dies ist nun nicht mehr möglich“, erläutert Döpfner. Reichelt hatte seit 2017 die redaktionelle Gesamtverantwortung für Bild.

Vorwürfe des Machtmissbrauchs gegen den 41 Jahre alten Reichelt standen seit Anfang März im Raum. Damals hatte der Spiegel berichtet, dass rund ein halbes Dutzend Mitarbeiterinnen dem Medienhaus Vorfälle aus den vergangenen Jahren angezeigt hätte. Nach der Veröffentlichung der Anschuldigungen wurde Reichelt auf eigenen Wunsch freigestellt, das Unternehmen leitete eine Compliance-Untersuchung zur Prüfung der Vorwürfe ein.

Ende März kehrte Reichelt an seinen Arbeitsplatz zurück. Zur Begründung hieß es, der Vorstand des Medienkonzerns sehe es trotz bei der Untersuchung festgestellter Fehler in der Amts- und Personalführung als nicht gerechtfertigt an, Reichelt von seinem Posten abzuberufen.

Am Montagabend wies der Springer-Konzern darauf hin, dass es im Rahmen des Compliance-Verfahrens gegen Reichelt nie den Vorwurf sexueller Belästigung oder sexueller Übergriffe gegeben habe. „Es gab aber den Vorwurf einvernehmlicher Liebesbeziehungen zu Bild-Mitarbeiterinnen und Hinweise auf Machtmissbrauch in diesem Zusammenhang“, hieß es. Bewiesen und eingeräumt worden sei eine frühere Beziehung zu einer Mitarbeiterin von Bild. Umstritten sei geblieben, ob dieser Mitarbeiterin dadurch berufliche Vorteile gewährt worden seien.

Spiegel veröffentlicht Teile der Ippen-Recherche

Am Montag war bekanntgeworden, dass die Spitze der Verlagsgruppe Ippen eine für Sonntag geplante Berichterstattung zu vermeintlichem Machtmissbrauch in der Verlagsgruppe Axel Springer gestoppt hatte. Das Ippen-Investigativteam protestierte dagegen. Ein Verlagssprecher erklärte dazu, das Unternehmen müsse als Mediengruppe im direkten Wettbewerb mit der Bild „sehr genau darauf achten, dass nicht der Eindruck entsteht, wir wollten einem Wettbewerber wirtschaftlich schaden“. Die Entscheidung sei weder leicht noch schnell gefallen. „Am Ende ist es aber klar das Recht eines Verlegers, Richtlinien für seine Medien vorzugeben“, sagte er. Eine Beeinflussung durch Springer habe es nicht gegeben.

Am Montagabend veröffentlichte dann der Spiegel Teile der zuvor zurückgehaltenen Recherche des Ippen-Investigativteams. Der Fokus des veröffentlichten Artikels liegt auf dem Umgang des ehemaligen Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt mit ihm unterstellten Frauen.

In der Recherche heißt es, Reichelt habe sich „häufig nach demselben Muster“ jungen Frauen in seiner Redaktion angenähert. So habe er sie für ihre Arbeit gelobt, ihnen verantwortungsvolle Aufgaben anvertraut oder in Positionen eingesetzt, für die sie nicht geeignet waren. Diese Bevorteilung sei allerdings oft mit einem sexuellen Verhältnis zu den Frauen verbunden gewesen. Eine der Frauen litt der Recherche nach so unter dem Druck einer ihr übertragenen Position und den Kommentaren im Kollegium, sie habe den Job nur wegen ihrer Beziehung zum Chef bekommen, dass sie sich in psychiatrische Behandlung begab.

Zudem zitierte der Spiegel eine Nachricht des Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner an den Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre. An dem Tag der Nachricht habe Reichelt einen Kommentar verfasst, in dem er die Corona-Maßnahmen als Beleg für einen willkürlichen Staat bezeichnete. Döpfner habe daraufhin geschrieben, Reichelt sei „halt wirklich der letzte und einzige Journalist in Deutschland, der noch mutig gegen den neuen DDR Obrigkeits-Staat aufbegehrt“. Die meisten anderen Journalisten seien zu Propaganda-Assistenten geworden. Stuckrad-Barre soll die Freundschaft zu Döpfner wegen des Umgangs mit dem Fall Reichelt beendet haben.

epd
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6 Antworten

  1. Es ist gut, dass er weg ist, Machos wie ihn gibt und gab es immer genug. Auch seine Art der Berichterstattung war sehr gewöhnungsbedürftig!

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  2. In der Berichterstattung der WELT zum Thema steht bemerkenswerterweise:
    Fast alle damaligen Hinweisgeber bestanden auf Anonymität. Deshalb konnten die konkreten Vorwürfe und Protokolle der durch die Kanzlei Freshfields durchgeführten Befragungen dem Beschuldigten gegenüber nicht offengelegt werden. Julian Reichelt hat sich deshalb kaum gegen konkrete, sondern lediglich gegen abstrahierte Vorwürfe verteidigen können. Auch Axel Springer kannte maßgebliche Befragungsprotokolle auf Bitten von Zeugen nicht. Und diese liegen dem Unternehmen bis zum heutigen Tage nicht vor. Medien wurden diese Dokumente jedoch in Teilen oder vollständig von dritter Seite rechtswidrig zugespielt. — Meine Anmerkung: die entschuldigt zwar keine Fehlverhalten untergräbt aber das Recht auf eine angemessene Möglichkeit zur Stellungnahme des Beschuldigten und hinterlässt einen faden Beigeschmack.

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    1. Danke für diesen Hinweis auf den Pressekodex. Reichelt sollte weg, da suchte man nach einen genehmen Grund. Habe mich eh schon länger gefragt, wann der unbequeme Reichelt weggemacht wird. Boris Reitschuster hat Reichelt übrigens auf seiner Seite schon journalistisches Asyl angeboten. Der deutsche Journalismus ordnet sich neu. Ob die Bild ohne Reichelt jetzt handzahm und langweilig wird?

      Ich bin noch unsicher, ob Reichelts vermeintliches Verhalten gegenüber Mitarbeiter*innen*innen (Moment, es waren nur Frauen! Blöde Gender-Sprache!) wirklich ein so schwerwiegender Verstoß war. Soweit ich weiß, hatte Kennedy sehr viele Frauen und Affairen. ich weiß nicht, wer noch. Von der Bibel her ist es Unzucht und von Gott als Sünde zu verurteilt. Vom weltlichen Standpunkt: Ist es so ein schwerer Verfehlung? Es heißt, die Beziehungen seien „einvernehmlich“ gewesen, es habe keine sexuelle Belästigungen oder gar Missbrauch gegeben. Ja, wenn die Vorwürfe stimmen, kann man sagen, Reichelt habe seine Machtposition auch gebraucht, um Frauen zu umgarnen. Ein attraktiver, mächtiger und selbstbewusster Mann im mittleren Alter. Da werden viele Frauen schwach.
      Jedenfalls finde ich den Skandal übertrieben. Gibt es vielleicht Chefredakteure oder mächtige Politiker, die insgeheim ins Bordell gehen? Ich heiße das alles nicht gut. Aber es ist sonderbar, dass die Vorwürfe in der Corona-Zeit ausgerechnet gegen einen regierungskritischen Chefredakteur der mächtigen BILD-Zeitung aufgeworfen werden.
      Wie gesagt: Reitschuster.de bietet Reichelt journalistisches Asyl an. Das wäre mal sehr spannend. Auch der konservative Publizist Klaus Kelle, der Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera und andere veröffentlichen bereits im Westfernsehen. So viele Menschen lesen jetzt reitschuster.de. Eine Frage der Zeit, bis linksextreme Hacker von „Anonymous“ auch Reitschuster attackieren. Ich bin sehr froh, dass es diese freien Medien gibt, die unabhängig von den etablierten Presse berichten und noch eine andere Sicht publizieren.

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  3. Auch für Reichelt gilt zuerst die Unschuldsvermutung und die Infos müssen zuerst einmal belastbar sein. Es ist seltsam, dass Konservative gerade so im Fokus stehen und dann gerade bei Reichelt, der eine sehr klare Linie einnimmt. Deshalb: zuerst warten, bis die Fakten klar auf dem Tisch liegen

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  4. Was würde Jesus zu dem Fall sagen? Zu mindest steht im Neuen Testament eine tolle Reaktion zu einem ähnlichen „Vergehen“ s.a. Johannes 8:1-12 „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“. Mich tröstet immer bei solchen Entlassungen, dass es sich früher oder später zeigen wird, wer mehr zu lernen hat.

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