AfD, Jamaika und Türkei: Steinmeier begeht Einjähriges

Mit Frank-Walter Steinmeier ist vor einem Jahr ein bekennender Protestant zum Bundespräsidenten gewählt worden. Das Erstarken der AfD, eine schwierige Regierungsbildung und die Auseinandersetzung mit der Türkei haben seine ersten Monate als Staatsoberhaupt geprägt.
Von Anna Lutz
Frank-Walter Steinmeier ist seit einem Jahr Bundespräsident - er hat seinen Platz gefunden

Am Montag vor einem Jahr ist Frank-Walter Steinmeier zum Bundespräsidenten gewählt worden. Am Mittwoch sitzt der Journalist Deniz Yücel seit einem Jahr in türkischer Haft. Es kommt also nicht von ungefähr, dass die Auseinandersetzung mit der Türkei die Amtszeit Steinmeiers geprägt hat. Immer wieder hat das Staatsoberhaupt in den vergangenen zwölf Monaten an den Reporter erinnert, hat die Umstände seiner Inhaftierung einen Skandal genannt und schon in seiner ersten Rede im Amt scharfe Kritik am Präsidenten Recep Tayyip Erdogan geübt: „Präsident Erdogan, Sie gefährden all das, was Sie mit anderen aufgebaut haben. Glaubwürdige Signale der Entspannung sind willkommen. Aber: Beenden Sie die unsäglichen Nazi-Vergleiche.“ Zuvor hatte Erdogan Kanzlerin Angela Merkel Nazimethoden vorgeworfen.

Genau genommen sind es drei politische Ereignisse, die die Amtszeit Steinmeiers bis dato prägen: Yücels Inhaftierung, der Einzug der AfD in den Bundestag und die Probleme bei der Regierungsbildung. Noch vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten hatte er deutliche Worte für Weidel, Gauland und Co. gefunden: „Ich mache mir Sorgen, dass die rechten Hetzer wieder Land gewinnen“, zitiert ihn etwa die Schweriner Volkszeitung mit Bezug zur AfD bei einem Wahlkampfauftritt im Jahr 2016, damals noch als Außenminister. Die kritische Haltung des SPD-Politikers gegenüber rechtskonservativen Tendenzen ist bekannt – dennoch hielt er sich, seinem neuen Amt entsprechend, in den vergangenen Monaten mit Kritik zurück, lud die AfD-Spitze nach der Bundestagswahl sogar zu einem kurzen Gespräch ein. Auch zum traditionellen Neujahrsempfang im Schloss Bellevue waren AfD-Vertreter willkommen – allerdings sagten sie aus terminlichen Gründen geschlossen ab.

Regierungsbildung wäre auch sein Verdienst

Seinen Einsatz für die Regierungsbildung nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen haben viele gewürdigt. Es gelang dem reformierten Christ, SPD-Chef Martin Schulz von einem klaren Nein zu einer neuen Großen Koalition abzubringen. Seit Mittwoch der vergangenen Woche ist klar: Eine Kooperation von Union und SPD ist möglich, sollte die Basis der Sozialdemokraten zustimmen.

Doch es ist nicht nur das große politische Schachspiel, bei dem Steinmeier sich bis heute bewiesen hat. Unbemerkt von vielen hat er sein Amt bereits dazu genutzt, um auf das Leid verfolgter Christen weltweit aufmerksam zu machen: „Die Freiheit des Glaubens ist unveräußerliches Menschenrecht“, sagte er im Juni beim Eröffnungsgottesdienst der Weltgemeinschaft reformierter Kirchen in der Leipziger Nikolaikirche. Verfolgung treffe Menschen vieler Konfessionen, „aber es trifft mit neuer Härte gerade auch Christen im Nahen und Mittleren Osten“, erklärte er. Gewalt müsse klar als Unrecht benannt werden, auch wenn Aufmerksamkeit allein Unrecht nicht aufhalten könne.

Reformationsjubiläum: Ein Heimspiel

In Steinmeiers Amtszeit fiel zudem ein deutsches Kirchenereignis, dass man sich umfangreicher zelebriert kaum vorstellen konnte: Das Reformationsjubiläum. Bei der Eröffnung der Weltausstellung Reformation in Wittenberg erklärte Steinmeier, Luther habe Kultur und Leben in Europa nachhaltig beeinflusst. „Diese Kraft ist nicht erschöpft, sie ist hochaktuell und geht uns an.“ Das Nachdenken über Freiheit von Zwang und Unterdrückung sei „Teil der ungeheuren Wirkungsgeschichte, die die Reformatoren ausgelöst haben“.

Dazu gehöre auch der Respekt vor Andersgläubigen. Steinmeier sprach von einer „Leuchtkraft, die bis in die entferntesten Winkel unserer Welt hineingestrahlt hat“. Reformation heiße auch, in der Zukunft Verantwortung zu übernehmen. „Es scheint für einige wieder attraktiv zu sein, Tore zu schließen, anstatt Tore zu öffnen“, sagte er mit Verweis auf politische Entwicklungen im Ausland. Deshalb sei die Botschaft der Reformation „von Vielfalt, Freiheit und Gerechtigkeit“ auch heute aktuell. Beim ebenfalls im Zeichen des Reformators stehenden Deutschen Evangelischen Kirchentag fand er kritische Worte für die weltweite Digitalisierung: Die Informationsflut, der „Dauerregen“ an Nachrichten im Netz, trügen wenig zum Erkenntnisgewinn oder gar zur Weisheit bei. Das Gegenteil sei der Fall: An „Hass und Häme in Onlinekommentaren“ werde „unsere Gesellschaft nicht spurlos vorbeigehen“.

Vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten galt Steinmeier als verlässlich und gelegentlich etwas sperrig. Was er sagte, war erwartbar, der ehemalige Minister und Fraktionsvorsitzende ging bei öffentlichen Äußerungen auf Nummer sicher. Manch einer mag das als langweilig kritisieren. Bei der Mehrheit der Deutschen machte es ihn beliebt. In seinem Amt als Bundespräsident sind es mehr denn je diese Eigenschaften, die ihm einen sicheren Stand verschaffen, ihn Deutschland zielgenau vertreten lassen und die dafür sorgen, dass seine Kritik an aus- und inländischen Entwicklungen wohldosiert und überlegt ist. Steinmeier hat seinen Platz gefunden.

Von: Anna Lutz

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