Analyse

Abtreibung: Alte Kämpfe, neue Gräben

Schwangerschaftsabbrüche könnten künftig in Deutschland legal werden. Das zumindest empfiehlt eine Expertenkommission. Wie wahrscheinlich ist das? Und wo verlaufen die Frontlinien in diesem neu aufflammenden Kampf?
Von Anna Lutz

Am Montag kam der Paukenschlag: Eine Kommission der Ampel-Regierung stellte der Öffentlichkeit ihre Bestandsaufnahme zum Thema Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland vor. Demnach sei die derzeitige rechtliche Lage, also das grundsätzliche Verbot von Abtreibungen, nicht haltbar. Mindestens in der Frühschwangerschaft sollen Abbrüche legal werden und nicht wie derzeit nur unter bestimmten Bedingungen straffrei sein. Auch eine Legalisierung bis zur 22. Woche sei denkbar. Danach, also in der Spätschwangerschaft, empfiehlt die Kommission am Verbot, festzuhalten. 

Die Politik ist nun aufgerufen, zu handeln. Schon im Koalitionsvertrag hatte die Ampelregierung festgehalten, „Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches“ prüfen zu wollen. Also: Den entsprechenden Paragrafen 218 abzuschaffen oder mindestens zu ändern. Der „Spiegel“ mutmaßte dennoch bereits in der vergangenen Woche, die Ampel könne nun Angst vor der eigenen Courage bekommen. Denn immerhin ruft eine solche Gesetzesänderung auch Widerspruch hervor, in der Opposition und nicht zuletzt sogar in den eigenen Reihen.

„Dammbruch unseres Werteverständnisses“

Die Vizefraktionsvorsitzende der Union, Dorothee Bär (CSU), sprach am Dienstag von einem „Dammbruch unseres Werteverständnisses“, und weiter: „Die Ampel bohrt den längst befriedeten Kulturkampf ohne Not wieder auf und riskiert damit eine gefährliche Spaltung.“

Die Spaltung, von der Bär spricht, könnte bei genauerer Betrachtung sogar die Ampel selbst ereilen. Die rechtspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Katrin Helling-Plahr, erklärte am Dienstag gegenüber dem Evangelischen Pressedienst: „Den etablierten Kompromiss wieder aufzukündigen, lehnen wir aus diesen Gründen nach wie vor klar ab.“ Gemeint ist die derzeitige Regelung im Strafgesetzbuch, die laut Helling-Plahr den Schutz des ungeborenen Lebens und das Selbstbestimmungsrecht der Frau „angemessen in Ausgleich“ bringt.

SPD und Grüne stehen dem Vernehmen nach breit hinter dem nun angestoßenen Prozess. Das klang auch bei der Pressekonferenz an, die Justiz-, Frauen- und Gesundheitsministerien am Montag gaben und bei der die Ergebnisse der Kommission vorgestellt wurden. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) bekräftigte ihren Wunsch nach einer Gesetzesänderung im Sinne der Liberalisierung der jetzigen Regelung. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bezeichnete es als Aufgabe der Bundesregierung, mit den Kommissionsergebnissen umzugehen, auch im Parlament. Er sprach davon, dass dieser Prozess jetzt „beschleunigt“ vonstattengehen soll. 

Wie stimmt der Bundestag ab?

Sollten SPD und Grüne ihr Anliegen, also die Abschaffung oder Änderung des Paragrafen 218, wirklich durchsetzen wollen, dann tut diese Beschleunigung Not. Denn bis zu den nächsten Bundestagswahlen sind es noch knapp anderthalb Jahre – nicht viel Zeit für eine solch grundlegende Änderung bei einem derart umkämpften Thema. Ob es tatsächlich zu einer Gesetzesänderung in dieser Legislatur kommen könnte, dafür spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. 

Zunächst einmal müssten sich – nach allen Vorgesprächen und Auslotungen – die Fraktionsführer im Bundestag darüber abstimmen, ob die Frage der Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen wie üblich fraktionsgebunden abgestimmt wird. Oder ob die Fraktionsdisziplin ausgesetzt wird und alle Abgeordneten zur freien Abstimmung aufgerufen sind. 

Zwar sind Politiker des Deutschen Bundestages grundsätzlich in letzter Instanz ihrem Gewissen verpflichtet. Dennoch gilt in der Regel ein sogenannter informeller Fraktionszwang, der bedeutet: Die Abgeordneten stimmen gemeinsam im Sinne des Koalitionsvertrages oder der Parteilinie ab. Bei bestimmten Fragen wird diese Regelung aufgehoben, zuletzt etwa bei der Neuregelung des assistierten Suizids. Das kann dann wie in vorgenanntem Fall auch dazu führen, dass Gesetzesvorschläge fraktionsgemischt erarbeitet werden. 

Es könnte knapp werden

Ob etwa eine Abschaffung des Paragrafen 218 Chancen hat, hängt wesentlich von dieser Bedingung ab. Denn sollte die Ampel geschlossen die Abschaffung wollen, dann hätte ein entsprechendes Gesetz eine Mehrheit im Parlament, zudem mit weiteren Stimmen aus der Linken-Gruppe. Wenn der Fraktionszwang aufgehoben sein sollte, ist davon auszugehen, dass größere Teile der FDP gegen eine Liberalisierung stimmen würden, ebenso wie große Mehrheiten in der Union und der AfD. Das Ergebnis könnte denkbar knapp ausfallen. Nur um ein Rechenbeispiel zu nennen: Stimmten die Abgeordneten der FDP, der Union und der AfD gegen eine Gesetzesänderung, aber SPD, Grüne, Linke und BSW dafür, landete man bei einem Ergebnis von 363 zu 364 Stimmen. 

Kommt also die Liberalisierung, vor der nicht nur Lebensrechtler spätestens seit der Abschaffung des sogenannten Werbeverbots für Abtreibungen im Sommer 2022 warnen? Möglich. Dennoch hängt der Fortgang des Prozesses von vielen weiteren Faktoren ab. Wie schnell gelingt es, Gesetzesentwürfe zu entwickeln? Haben diese in den Fachausschüssen des Bundestages Bestand? Es wird kaum leicht fallen, einen derart ausgeklügelten Kompromiss, wie den derzeit durch das Strafgesetzbuch geregelten, zu ersetzen. 

Und das Bundesverfassungsgericht?

Und selbst wenn eine Gesetzesänderung kommt, also valide Entwürfe präsentiert werden und mehrheitlich von den Abgeordneten für einen solchen gestimmt wird, bleibt die Frage, wie das Bundesverfassungsgericht sich dazu stellt. Kläger gegen eine Gesetzesänderung wird es geben. Die Union hat bereits angekündigt, nach Karlsruhe zu ziehen, sollte 218 fallen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Geschichte mehrfach im Sinne des vorgeburtlichen Lebensschutzes geurteilt. Fiele die Entscheidung heute in ähnlicher Weise? Das ist schwer zu sagen. 

Fest steht, dass der neu aufgebrochene Streit um das Abtreibungsverbot tiefe Gräben reißen wird. Davor warnten die Minister am Montag einhellig, laut und deutlich. Ein einst befriedeter Kampf beginnt nun von neuem. In einer Zeit, die eigentlich kaum noch mehr gesellschaftliche Spaltung gebrauchen kann. 

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