Was hält? Was trägt? Wenn etwas, vielleicht alles, zusammenbricht. Wenn die eigene Kraft an Grenzen kommt und kaum mehr vermag, als einen Hilferuf zu adressieren: an einen Not-Helfer, einen Beistand, an Gott. Und dann kann passieren, dass da Flügel sind, stark genug, um zu tragen, zu halten. Dass ruhig und still die aufgewühlte Seele wird, der Blick sich weitet, die Perspektive eine andere wird. Für diese Erfahrung hat Günter Hänssler, Verleger in dritter Generation, Worte gefunden und eine Melodie. Es ist seine Erfahrung. Das Lied „Trägst du mich“ hat er in jener Nacht zu schreiben begonnen, als tags zuvor, am 11. März 2002, der traditionsreiche Verlag pleite ging. Eine traumatische Situation, ein tiefes Dunkel. Er habe 15 Jahre gebraucht, um den dritten Vers dieses Textes zu schreiben, eine Antwort auf das Suchen und Fragen. „Ich habe in meinem Leben entdeckt, dass mein Glaube mich auch in schweren Zeiten trägt“, unterstreicht er im Gespräch mit PRO. „Gottes Führung ist der rote Faden.“
Geboren wurde Günter Hänssler am 4. Dezember 1959 in Stuttgart. Er wuchs mit fünf Geschwistern in der baden-württembergischen Landeshauptstadt auf und arbeitete schon in seinen jungen, „rebellischen“ Jahren im von Großvater Friedrich 1919 gegründeten Verlag mit. Dort zählten neben geistlichen Liedern immer auch klassische Werke zum Portfolio, auch jene des jüdischstämmigen Felix Mendelssohn Bartholdy. Im nationalsozialistischen Deutschland war das unerwünscht; 1941 wurde der Verlag verboten.
Vier Jahre später der Neuanfang. Die Aussichten sind gut. „Hänssler“ wächst, auch weil Friedrich Hänssler jr. (1927–2019) kluge verlegerische Entscheidungen trifft. Legende ist die Erzählung von dessen Spaziergang mit Helmuth Rilling, bei dem die beiden Männer verabreden, bis zum Jahr 1985 Bachs komplettes geistliches Kantatenwerk gemeinsam herauszubringen. Ein Mammutprojekt, das zum Riesenerfolg wird. In dessen Folge kann der Verlag 1989 einen Exklusivvertrag mit dem Stuttgarter Bach-Pionier abschließen. Dieser Coup trägt die Handschrift Günter Hänsslers. „Ich war damals 29 und sehr ehrgeizig.“ Nach Abitur, Ausbildung und Studienjahren ist er im Unternehmen angekommen.
Es läuft. So wie im „Ländle“ beim Daimler die Autos vom Band gehen, produziert man bei „Hänssler“ Platten, Liederbücher, Literatur – und zwar immer „auf beiden Feldern“, wie Günter Hänssler sagt. Er sei „im klassischen Bereich supergut vernetzt und auch im evangelikalen Bereich“. Zwei Welten, die Berührungspunkte haben, mitunter aber auch himmelweit auseinanderliegen können. Der Verleger weiß sich auf diesem ausgedehnten Parkett zu bewegen. Er pflegt Kontakte, ist unterwegs mit wachem Gespür für Menschen und Markt, wirkt bodenständig und eloquent zugleich. Mit seiner Frau Cornelie lebt er in Neu-Ulm. Das Paar hat sechs Kinder.
Mit den Größen der klassischen Musik am Tisch
„Das ist mein Büro“, sagt er auf die Frage hin, ob beim Video-Interview die Szenerie im Hintergrund authentisch sei. Und ja, auf dem Tischchen stünden tatsächlich wertvolle Trophäen. Praktisch seien die Preise, taugten als Türstopper. Das nennt man wohl gut schwäbisches Understatement! Die 2007 mit einem „Echo Klassik“ für die „Editorische Leistung des Jahres“ ausgezeichnete „Edition Staatskapelle Dresden“ gilt in der Branche als sehr besonders. Für diese CD-Serie kooperiert die Sächsische Staatskapelle Dresden seit 2005 mit dem MDR und mit Günter Hänssler, in dessen Terminkalender es deshalb durchaus auch mal einen Eintrag wie „Mittagessen mit Christian Thielemann“, einem der führenden deutschen Dirigenten, geben kann.
Nach dem zwischenzeitigen Zerbruch hat der Verleger und Produzent neue Wege gefunden. Ein Jahr, nachdem die Stiftung Christliche Medien (SCM) den „Hänssler“-Verlag übernahm, gründete er die Profil Medien GmbH. 2015 konnte er das Label „Hänssler Classic“, 1975 unter dem Namen „Laudate“ entstanden, zurückerwerben.
Die Liste „seiner“ Künstlerinnen und Künstler liest sich wie ein Who’s Who. Ein prominenter Vertreter ist der Dirigent und Alte-Musik-Experte Reinhard Goebel. Dieser würdigt Günter Hänssler auf die Bitte um eine Einschätzung hin als einen „Label-Gestalter“ und „kritischen Mit-Denker“. Mit Bezug auf seine Aufnahmen mit den „Berliner Barock Solisten“ sei er „von der enzyklopädischen Idee und stringenten Dramaturgie der Peripherie Johann Sebastian Bachs zu begeistern gewesen“. Hänsslers fachliche und persönliche Wertschätzung sei für ihn selbst inspirierend. „Ich arbeite ausgesprochen gern für ihn.“
Vermutlich ist Hänsslers Ruf, zuverlässig zu sein, ein Schlüssel auch zu Langzeitprojekten. Aktuelles Beispiel: „Vision.Bach“, bei dem die Internationale Bachakademie Stuttgart mit der „Gaechinger Cantorey“ und deren Leiter Hans-Christoph Rademann nun schon den dritten Leipziger Kantatenjahrgang von Johann Sebastian Bach einspielt. Am Ende sollen auf jeden Fall die ersten drei Leipziger Jahrgänge 1723/24, 1724/25 und 1726/27 zu hören sein. Das Unterfangen trägt Früchte: 2024 gab es für „Johann Sebastian Bach: The First Cantata Year“ (Vol. 1) den „Opus Klassik“ als „Chorwerkeinspielung des Jahres“. Die zahlreichen CD-Produktionen täuschen aber nicht darüber hinweg, dass Hänsslers Hauptkundschaft inzwischen Streamingportale wie Spotify und Co. bilden.
Stolz ist Günter Hänssler darauf, dass auf seinem Label eine Vielzahl jüdischer Künstlerinnen und Künstler veröffentlicht. Respekt vor dem Judentum und Solidarität mit Israel hält er für essenziell. Allerdings sei er „kein Freund der einfachen Antworten“, wenn es um die Situation im Nahen Osten geht. Hilfreich finde er Projekte, bei denen es um Verständigung gehe, wo ein Dialog möglich sei, zwischen Juden, Christen und Muslimen – auf Augenhöhe, das ist ihm wichtig.
Dieser Artikel erschien zuerst in Ausgabe 6/2025 des Christlichen Medienmagazins PRO. Sie können das Magazin hier kostenlos abonnieren.