Seine Lieder haben fast 400 Jahre lang bis heute Menschen tief in ihrer christlichen Frömmigkeit beeinflusst. 100 Jahre nach dem Tod von Martin Luther verband Gerhardt evangelische Theologie mit barocker Dichtkunst. Seine Lieder sind geprägt von Leiderfahrungen durch Krieg, Krankheit und Tod. Er selbst lebte inmitten des Dreißigjährigen Krieges, er verlor seine Eltern als Kind, und von seinen eigenen fünf Kindern starben vier nach sehr kurzer Zeit.
Dennoch holte Gerhardt „den Tod ins Leben“, wie es die ehemalige Ratsvorsitzende der EKD Margot Käßmann einmal ausdrückte. Etwa in einem seiner berühmtesten Lieder „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“. Hier geht es zunächst um die Schönheit von Gottes Schöpfung: „Ich selber kann und mag nicht ruhn / des großen Gottes großes Tun / erweckt mir alle Sinnen; / ich singe mit, wenn alles singt, / und lasse, was dem Höchsten klingt, / aus meinem Herzen rinnen.“ Dann aber auch um die Heimkehr zu Gott am Ende des Lebens: „Erwähle mich zum Paradeis / und lass mich bis zur letzten Reis / an Leib und Seele grünen.“
Gerhardts Lied „O Haupt voll Blut und Wunden“ beschreibt eindrücklich, wie Jesus bei der Kreuzigung dem Spott ausgesetzt war, aber zugleich in seinem Leid für die Gläubigen die Erlösung bringt – für die Gläubigen ein Grund zur Freude. Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff schrieb 2018 in einem Essay: „Gerhardts Lieder gehören zum Schönsten der religiösen Dichtung in deutscher Sprache.“
Geburtsstadt wurde völlig zerstört
Im Evangelischen Gesangbuch (EG) von 1993 sind 26 Lieder Gerhardts enthalten. Ebenso finden sich im Stammteil des Katholischen Gebet- und Gesangbuchs Gotteslob (2013) sieben davon. Adventslieder wie „Wie soll ich dich empfangen“, Weihnachtslieder wie „Fröhlich soll mein Herze springen“ und „Ich steh an deiner Krippen hier“ sind ebenso fest im Kirchenliedgut verankert wie das Passionslied „O Haupt voll Blut und Wunden“.
Paul Gerhardts Werke – 139 deutsche sowie 15 lateinische sind überliefert – spendeten seinen Mitmenschen Trost und tun es auch 400 Jahre später noch. Sie wurden ins Niederländische, Französische, Englische, Spanische und in afrikanische Sprachen übersetzt. Wenige Jahrzehnte nach Gerhardts Tod verarbeitete Johann Sebastian Bach zahlreiche von dessen Chorälen in seinen Kantaten und Oratorien.
Gerhardt selbst führte ein schlichtes Leben, das sehr von persönlichem Leid geprägt war. Geboren wurde er am 22. März 1607 in Gräfenhainichen als zweites von vier Kindern. Als der Dreißigjährige Krieg, der Europa ruinierte, ausbrach, war Gerhardt elf Jahre alt. Sein Vater starb ein Jahr, seine Mutter zwei Jahre später. Sein Vater Christian Gerhardt, der ein eigenes Grundstück bewirtschaftete, engagierte sich im Rat der Stadt und wurde zu einem der drei Bürgermeister gewählt. Paul sang in der Schule im Chor. Seine Geburtsstadt wurde am 11. April 1637 von schwedischen Soldaten vollständig zerstört.
Pfarrer und Seelsorger
Gerhardt besuchte wie schon sein Bruder die Fürstenschule St. Augustin in Grimma. Die Einrichtung war seit ihrer Gründung 1550 fast 400 Jahre lang eine wichtige Säule der Reformation – viele ihrer Absolventen wurden evangelische Pfarrer und Gelehrte. Nach dem Schulabschluss studierte Gerhardt ab 1628 in Wittenberg Theologie und verdiente sich sein Geld als Hauslehrer. Hier lernte er auch das Werk des Poeten August Buchner kennen, der in Wittenberg dozierte, sowie weitere Personen, die seine spätere Verbindung von Frömmigkeit und Dichtkunst prägten. Am 26. April 1642 verfasste Gerhardt in Wittenberg sein erstes nachweisbares Gedicht; Anlass war die Feier zum bestandenen Magisterexamen des Sohnes eines Hamburger Professors.
Im Jahr 1643 ging Gerhardt nach Berlin und arbeitete zunächst weiter als Hauslehrer. Von 1657 bis 1667 war er als Pfarrer an der Berliner Nikolaikirche tätig. Die Bevölkerung der Stadt war durch den Krieg und durch Pest, Pocken und die Ruhr um mehr als die Hälfte auf 5.000 reduziert. Die Kriegserlebnisse verarbeitete Gerhardt in weiteren Liedtexten, in die er auch theologische Themen einfließen ließ.
In Berlin befreundete er sich mit Johann Crüger, der Kantor seiner Gemeinde war. Für ihn dichtete er mehrere Lieder; als Crüger 1647 eine Neuauflage seines Gesangbuch herausbrachte, enthielt es bereits 18 Lieder Gerhardts; bei der fünften Auflage waren es 82 Lieder.
1651 wurde Gerhardt Pfarrer in der St.-Moritz-Kirche in Mittenwalde im heutigen Bundesland Brandenburg. In dieser Zeit verfasste er unter anderem das bekannte Passionslied „O Haupt voll Blut und Wunden“. Bekannt wurde es vor allem als Teil der Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach. Es ist die Übersetzung des lateinischen „Salve caput cruentatum“ des Zisterziensermönches Arnulf von Löwen (1200-1250). Die Melodie stammt vom Komponisten Hans Leo Haßler (1564-1612).
Entlassung im Berliner Kirchenstreit
Am 11. Februar 1655 heiratete Paul Gerhardt Anna Maria. Im Jahr darauf bekam das Paar eine Tochter, die bereits ein halbes Jahr später starb. Von weiteren vier geborenen Kindern verstarben drei früh. Als einziger überlebte der Sohn Paul Friedrich seine Eltern.
Als der brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm das Berliner Religionsgespräch einberief, um das reformierte und das lutherische Bekenntnis miteinander zu versöhnen, nahm Gerhardt als ein lutherischer Vertreter daran teil. Der reformierte Kurfürst verordnete 1664 ein Toleranzedikt, das der Lehre der Reformierten Vorschub leistete und das auch die Lutheraner unterzeichnen sollten. Gerhardt verweigerte seine Unterschrift, was dazu führte, dass er als Pfarrer entlassen wurde. Nach Protesten einiger Bürger und märkischer Landstände setzte der Kurfürst Gerhardt zwar wieder ein, doch der lehnte eine Rückkehr ins Amt aus Glaubens- und Gewissensgründen ab.
Ab 1668 übernahm der Dichter und Theologe in der Kirchengemeinde in Lübben im Spreewald geistlich-seelsorgerliche sowie organisatorische Arbeiten. Hier lebte er bis zu seinem Tod acht Jahre später. Paul Gerhardt starb am 6. Juni 1676 in Lübben, er wurde im Chorraum nahe dem Altar seiner letzten Wirkungsstätte beigesetzt. Seit 1930 ist die Kirche in Lübben nach dem Dichter benannt, im Innern hängt ein Gedenkgemälde, das von einem unbekannten Maler um 1700 geschaffen wurde.
Moderne Interpretationen seiner Lieder
Auch Hunderte Jahre später beeinflussen Gerhardts fromme Dichtungen noch moderne Musiker. Der christliche Popmusiker und Komponist Dieter Falk veröffentlichte 2006 das Soloalbum „A Tribute to Paul Gerhardt“ mit Gastmusikern wie Till Brönner. Die christlichen Liedermacher Albert Frey und Lothar Kosse produzierten 2021 mit „Paul Gerhardt – Das Liederschatz-Projekt“ zwölf Lieder in popmusikalischen Arrangements.
Der 350. Todestag von Paul Gerhardt gibt das ganze Jahr 2026 über Anlass für viele Veranstaltungen und Aktionen. Im Januar 2026 erschein beispielsweise mit „50 Blicke auf Paul Gerhardt“ von der Historikerin Claudia Wasow-Kania ein Buch über Gerhardt und sein Werk. Vom 18. bis zum 20. Juni 2026 wird es in Erlangen eine Jahrestagung mit dem Thema „Paul Gerhardt als Lyriker“ geben. Die Vereinigte Evangelisch-lutherische Kirche in Deutschland (VELKD) lobte 2025 einen Paul-Gerhardt-Preis für einen Melodienwettbewerb zu Paul-Gerhardt-Liedern aus. Die Preisverleihung wird am 350. Todestag Paul Gerhardts in der Berliner St. Nikolaikirche stattfinden.