Musik im Gottesdienst: Singen mit Sinn

Musik und Glaube gehören zusammen. Das gemeinsame Singen verbindet, Lieder bringen Gotteslob und Klage zum Ausdruck und Glaubensinhalte auf den Punkt. Um diesen Schatz zu heben, ist es wichtig, sich bewusst zu machen, was man gerade singt.
Von Jonathan Steinert
Band, Kirche, singen, Musik, Gottesdienst

Aus wessen Feder stammen die meisten Lieder im Evangelischen Gesangbuch? Nein, nicht von dem Pfarrer und Dichter Paul Gerhardt, der während der Zeit des Dreißigjährigen Krieges lebte und wirkte. Der landet mit 26 Liedtexten auf Platz zwei.

Der Reformator Martin Luther selbst ist es, der die meisten Texte und auch einige Melodien zum derzeitigen Gesangbuch beisteuert – er bringt es auf mehr als 30. Der Theologe war selbst sehr musikalisch und maß der Musik einen hohen Wert bei: Sie sei „eine Gabe und ein Geschenk Gottes; sie vertreibt den Teufel und macht die Menschen fröhlich“, sagte er.

Lieder, die mehrere hundert Jahre alt sind und seit Generationen gesungen werden – das ist ein großer Schatz. Viele sind zu Klassikern geworden und aus dem Repertoire des Gemeindegesangs nicht wegzudenken. Luthers „Ein’ feste Burg ist unser Gott“ zum Beispiel oder „Befiehl du deine Wege“ von Gerhardt und zahlreiche andere.

Aber manche wirken dann doch etwas aus der Zeit gefallen, mit wenig eingängigen, etwas herben Melodien und einer Sprache, die selbst geübten Kirchgängern nicht umstandslos über die Lippen kommt.

Neues Gesangbuch ist in Arbeit

Die jetzige Fassung des Evangelischen Gesangbuches wurde 1994 veröffentlicht. Eine neue ist in Arbeit. Ziel ist es, in diesem Jahrzehnt ein neues Liederbuch für die Gemeinden zu haben, dazu eine Datenbank, in der auch Lieder enthalten sind, die es nicht ins Buch geschafft haben. In der Liederbuch-App Cantico sollen die Lieder ebenfalls enthalten sein.

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat dazu 2019 eine Gesangbuchkommission berufen. 72 Vertreter der Landeskirchen, von Fachverbänden sowie andere Experten beraten in verschiedenen Ausschüssen zur Liedauswahl, zum Design, zu Rechten und Finanzen, zur digitalen Umsetzung und zu begleitenden Texten und Publikationen.

Der studierte Kirchenmusiker Martin Tuchscherer vertritt den Gnadauer Verband in der Kommission. Der 33-Jährige ist als Dozent für Liedbegleitung und Musikdidaktik an der Universität Halle und freiberuflich im Gemeinschaftsverband Sachsen-Anhalt als Musikreferent tätig. Dort engagiert er sich auch im Vorstand. In der Kommission arbeitet er im „Herzstück“ mit – dem Ausschuss, der die Lieder auswählt.

Eine umfangreiche Aufgabe: Rund 10.000 Lieder sichten und bewerten die Ausschussmitglieder: Wie bekannt sind sie, wie sind sie musikalisch gestaltet, lassen sie sich gut singen, welche Theologie kommt dort zum Ausdruck, welche inhaltliche Perspektive nimmt ein Lied ein, welches Thema behandelt es? Im Buch wird am Ende Platz für ungefähr 500 Lieder sein.

Den Liedern auf den Grund gehen

Etwa alle zwei Wochen trifft sich der ehrenamtliche Ausschuss für zwei bis vier Stunden. Den Austausch über die Lieder findet Tuchscherer bereichernd: zu erfahren, warum anderen ein Lied wichtig ist, was es ihnen bedeutet. „Dadurch entdecke ich den Schatz alter Lieder“, sagt er.

Doch mit neuerem Liedgut sei es genauso: Der Zugang zu einem Lied wird leichter, wenn jemand versteht, was dahinter steckt, was es aussagt, wie es entstanden ist. Deshalb plädiert Tuchscherer auch in den Gemeinden dafür, den Liedern auf den Grund zu gehen, die im Gottesdienst gesungen werden. Auf diese Weise lasse sich die Gemeinde auch an neue und unbekannte Lieder heranführen.

„Wenn sich die Gemeinde inhaltlich mit einem Lied auseinandersetzt, kann sie es besser behalten“, sagt Tuchscherer. Den Musikverantwortlichen in einer Gemeinde rät er, Lieder nach ihrem Inhalt auszuwählen und danach, welche Funktion sie im Gottesdienst erfüllen sollen. Soll es ein Lied sein, das Gott persönlich anspricht? Oder eines, das von Gott oder über den Glauben spricht? Die Stichwort- oder Bibelstellenregister in vielen Liederbüchern könnten dabei eine gute Hilfe sein.

„Wenn ich Lieder im Gottesdienst gezielt aussuche und erkläre, warum ein Lied an einer bestimmten Stelle wichtig und passend ist, kann das auch den Streit über Stilfragen und Alter des Liedes abmildern. Denn dann steht der Inhalt im Vordergrund.“

Es braucht Tiefe und Vielfalt bei den Liedern

Auch der Lobpreis-Altmeister Albert Frey macht sich dafür stark, dass Musik zielgerichtet im Gottesdienst vorkommt. Wenn Lieder in erster Linie dazu dienten, die verschiedenen Wortbeiträge eines Gottesdienstes zu unterbrechen und Abwechslung zu schaffen, sei das eine oberflächliche Art, Musik einzusetzen.

Die Bedeutung von Musik sei in den vergangenen Jahren gewachsen, „weil vielleicht moderne oder jüngere Menschen nicht mehr so eine hohe Aufmerksamkeitsspanne haben, sich eine einstündige Predigt anzuhören oder tief in Inhalte einzusteigen“, sagte er im PRO-Interview. „Ein Lied kann eine Sache gut auf den Punkt bringen. Umso größer ist natürlich die Verantwortung, dass das der richtige Punkt ist und die Lieder zur Predigt und zu anderen Teilen des Gottesdienstes passen.“

Dafür sei auch eine inhaltliche Tiefe und Vielfalt wichtig: Neben dem Lobpreis brauche es das „Herr, erbarme dich“ oder das Glaubensbekenntnis. „Wir brauchen Lieder, die Gott beschreiben, ebenso wie solche, die Inhalte unseres Glaubens beschreiben.“

Das bewusste Auseinandersetzen mit Liedern findet Musikreferent Tuchscherer auch deshalb wichtig, weil über musikalische Aktivitäten – über die Band, den Chor oder die Bläsergruppe – oft neue Besucher in die Gemeinden kommen. Musik ist in seinen Augen eine Chance für Evangelisation. „Es bleibt etwas vom Inhalt hängen“, davon ist Tuchscherer überzeugt.

Der Beitrag ist in der Ausgabe 2/2023 des Christlichen Medienmagazins PRO erschienen. Hier können Sie das Heft kostenlos bestellen oder digital anschauen.

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