„Wie soll ich dich empfangen?“

Jürgen Mette würdigt heute einen Musiker, der seit Generationen die Hitlisten der Lieder anführt, die Menschen nachhaltig verändert haben.
Von PRO
Würdigt den großen Liederdichter Paul Gerhardt: Jürgen Mette

Nein, bei „Deutschland sucht den Superstar“ hätte Paul keine Chance gehabt, er wäre beim ersten Casting rausgeflogen. Bei dieser Fernseh-Talentshow geht es um Breite, nicht um Tiefe, um skurille und grelle Auftritte, nicht um Glaubwürdigkeit und Qualität. Und irgendwann verschwinden die Küblböcks da, wo ihr peinliches Vorbild auch mal landen wird, unter schwankenden „Bohlen“ der Belanglosigkeit. Kurzlebige Belustigung. Schon in zehn Jahren wird keiner mehr ihre Lieder singen. Der, von dem hier die Rede ist, hat Texte geschaffen, die nach fast vier Jahrhunderten noch die ursprüngliche Kraft haben.

Seit Generationen führt er neben Johann Sebastian Bach und Martin Luther die Hitlisten der Lieder an, die Menschen nachhaltig verändert haben. 29 seiner Lieder stehen heute noch im Evangelischen Kirchengesangbuch und gehören damit zum besten Erbe der Weltliteratur. Das eben gehörte Adventslied hatte schon 1653 den Weg in das Kirchengesangbuch gefunden. Es können sicher mehr Menschen Paul Gerhardt als Goethe-Texte rezitieren. Am Bett von Kranken und Sterbenden singen wir „Befiehl du deine Wege“ und nicht „Lei-lei-lei-lei“!

„Ein Theologe in Satans Sieb geschüttelt“

Er, der Sohn eines Landwirts und Bürgermeisters in Gräfenhainichen, war im Grauen des 30-jährigen Krieges aufgewachsen. Als der Fünfzehnjährige die klösterlich-humanistische Fürstenschule in Grimma besuchte, wütete die Epidemie namens Pest. So war sein junges Leben schon früh in Leid und Verzicht geerdet. Nach dem Theologiestudium schlug er sich als Hauslehrer durch bis er, mit 41 Jahren, sein erstes Pfarramt im Mittenwalde übernehmen durfte. Von dort ging es an die St.-Nicolai-Kirche in Berlin. Inzwischen hatte er rund 150 Texte gedichtet.

Aber das alles zeichnet Paul Gerhardt letztlich nicht aus. In seiner letzten Wirkungsstätte, der Hauptkirche von Lübben im Spreewald, hängt sein lebensgroßes Bild. Daneben findet sich die Inschrift „Paulus Gerhardi, Theologus in cribro Satanae versatus“ = „Ein Theologe in Satans Sieb geschüttelt“.

Das ist es, was seinen Liedern bis heute ein prägendes Gewicht gibt. Paul Gerhardt musste schon nach 13 Jahren Ehe seine geliebte Frau begraben und vier seiner fünf Kinder starben. Dazu kamen theologische Differenzen um das sogenannte Toleranzedikt. Paul verlor seine Anstellung, weil er sich theologisch nicht verbiegen wollte. Er musste sich beruflich neu orientieren. Trotz allem singt der bescheidene Gottesmann seine Trostlieder, die durch vier Jahrhunderte hindurch das gottesdienstliche Leben und die persönliche Andacht unzähliger Menschen so nachhaltig bereichert hat.

Selbst wenn Corona uns das öffentliche Singen untersagt, ich singe Pauls Lieder alle innerlich. Wie soll ich Dich empfangen und wie begegne ich Dir?

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