Rezension

Vom Urknall zum Menschen – Heino Falckes Geschichte von allem

Heino Falcke, der 2019 half, ein Bild eines Schwarzen Lochs anzufertigen, erzählt in einem neuen Buch die Geschichte des Lebens, des Universums und des ganzen Rests. Auch wenn er gläubig ist, ist das Buch hauptsächlich wissenschaftlicher Natur.
Von Jörn Schumacher
Der Astrophysiker Heino Falcke hat gemeinsam mit Jörg Römer ein Buch vorgelegt, in dem er die Geschichte des Universums erzählt

Der Astrophysiker Heino Falcke, Professor an der Universität in Nimwegen, wurde bekannt als Leiter des wissenschaftlichen Beirates des Event-Horizon-Telescope-Projekts, das am 10. April 2019 das erste Bild eines Schwarzen Lochs präsentierte. Falcke, der öffentlich seinen christlichen Glauben bekennt, ist in seiner Freizeit ehrenamtlicher und ordinierter Prädikant in seiner Kirchengemeinde und hält Predigten.

Falcke sprach bereits auf vielen christlichen Veranstaltungen, trat in zahlreichen Fernsehshows auf, darunter bei Markus Lanz, im Schweizer Fernsehen, bei „Volle Kanne“ und in der Quizsendung „Wer weiß denn sowas“. Im Jahr 2021 erhielt Falcke den Medienpreis „Goldener Kompass“ der Christlichen Medieninitiative PRO.

Bereits 2020 veröffentlichte der Astronom mit dem Historiker und Journalisten Jörg Römer das Buch „Licht im Dunkeln. Schwarze Löcher, das Universum und wir“, in dem er nicht nur die Entstehung des Bildes des 55 Millionen Lichtjahre entfernten Schwarzen Lochs im Zentrum der Galaxie M87 beschreibt, sondern auch seinen christlichen Glauben. Mit seiner Frau Dagmar, die Grundschullehrerin ist, hat Falcke 2024 zudem das Kinderbuch „Kekskrümel im All“ geschrieben.

Nun schrieb Falcke, erneut gemeinsam mit Römer, ein Buch, das eine „Entdeckungsreise“ sein soll „durch die Zeit, von der Geburt unseres Universums über die Entstehung unserer Erde bis zur Entwicklung des Lebens und des Menschen und ein Stück darüber hinaus“. Der Leser wird hier mitgenommen auf einen Parforceritt vom Urknall bis zum modernen Menschen und wird dabei von der Faszination für Naturwissenschaft angesteckt.

Falcke streut zwischendurch persönliche Erlebnisse aus seiner Karriere als Astronom ein. Dabei geht es häufig um Begegnungen oder ehrfurchtgebietende Helden der Physik. Immer wieder baut Falcke Autobiografisches ein („Ich sollte den Balzan-Preis erhalten, einer der bedeutendsten und höchstdotierten Wissenschaftspreise der Welt.“), und, ja, das erste Bild von einem schwarzen Loch kommt mehrmals vor.

Vom Urknall bis Charles Darwin

Es beginnt beim Urknall, und Falcke teilt mit dem Leser sein Erstaunen, als er 2021 in einer Ausstellung in Leuven vor den Originalzeichnungen von Georges Lemaître zur Urknalltheorie stand. „Mir stockte der Atem. Normalerweise bin ich nicht leicht zu beeindrucken, und als Protestant bin ich auch kein Freund von Heiligen- oder Reliquienverehrung, aber ich hatte plötzlich das Gefühl, mich auf heiligem Boden zu befinden.“

Lemaître, klärt Falcke auf, war nicht nur Universitätsprofessor, sondern auch Priester und er stand damals unter Generalverdacht, sein biblisches Weltbild mit der reinen Wissenschaft zu vermengen. Damals war die Vorstellung, das Universum könne überhaupt einen Anfang gehabt haben, unvorstellbar – selbst für Albert Einstein, auf dessen Formeln sich Lemaître berief.

Wenn man bedenkt, dass eine Pflanze aus einem kleinen Kern erwachsen kann und bereits alle Information darin steckt, ist das schon erstaunlich genug; fast unvorstellbar ist es, dass das gesamte expandierende Universum einmal auf einen Raum von der Größe eines Atoms zusammengestaucht war, „quasi als kosmisches Ei, aus dem das ganze All explosionsartig geschlüpft ist“, so Falcke.

Falcke ist sicher: „An die Wirklichkeit der Welt und die Wirklichkeit des Seins zu glauben ist eben dies – ein Glaubenssatz. Wissenschaftlich beweisbar ist sie nicht.“ Er betont: „Ich halte diesen Glauben aber für durchaus vernünftig.“ Er erläutert: „Es gibt mindestens sechs fundamentale Parameter, welche die grundlegenden Skalen unserer wichtigsten Naturgesetze festlegen“, schreibt er, das Standardmodell der Elementarteilchenphysik enthalte zusätzlich „mindestens 19, vielleicht sogar 26 freie Parameter“.

Diese Parameter seien „wie Lottozahlen“. Sprechen diese unwahrscheinlich zufälligen Naturkonstanten im Universum denn für einen Schöpfer? Falcke: „Es ist keine Frage, ob Gott existiert. Gott existiert. Es ist nur eine Frage, wer oder was Gott ist. Die Antwort darauf ist dann eben immer Glaube.“ Ist Gott dann physikalisch greifbar? „Ich denke nicht, denn wenn man denkt, dass Gott der Ursprung aller Physik ist, dann ist Gott durch die Physik nicht vollständig beschreibbar.“ Er fügt hinzu: „Theologisch würde ich sagen: Gott ist das unverfügbare ursprüngliche Geheimnis der Welt.“

Neutronensterne, Töpferwaren und Megacitys

Es geht los bei den ersten Wasserstoff-Atomen und geht weiter bis zur Geburt des ersten Sterns. „Das 3-Minuten-Ei des embryonischen Universums enthält ungefähr 10 hoch 80 Kernteilchen. Aus diesen Teilchen besteht alles, was heute ist.“ Mitreißend beschreibt Falcke auch den Tod eines Sterns: „Das gesamte Sterneninnere stürzt auf einen Durchmesser von rund 22 Kilometern zusammen und wird zu einem einzigen riesigen Atomkern, der nur noch aus Neutronen besteht und durch die Schwerkraft zusammengehalten wird – ein Neutronenstern.  (…) Für uns ist die Vorstellung eines Atomkerns von der Größe einer Millionenmetropole ungefähr so verrückt wie für einen Biologen ein Darmbakterium von der Größe des Sonnensystems.“

Das Buch ist bei Klett Cotta erschien (Foto: Verlag)


Falcke gelingt es, einen Bogen zu spannen von der Entstehung der ersten Stoffe wie Kalzium, Aluminium und Silikate, die später in Mineralien landen und dann zu Feldspaten und schließlich auch zu Ton werden, mit dem Menschen im Mittelalter Vasen und Krüge herstellten. „So wie in meiner Heimatstadt Frechen im Rheinland, deren Töpferwaren im Mittelalter über die ganze Welt verteilt wurden. In Erinnerung daran wird das feierliche Abendmahl im Gottesdienst unserer Kirche aus kleinen Tonkrügen getrunken – in jeder Hinsicht also ein sehr himmlisches Fest.“

Es folgt die Entstehung der Atmosphäre, der Erdkruste, der Kontinente und des Lebens gemäß der Evolutionstheorie, der Geologie und Biologie. Erst nach etwa der Hälfte des Buches ist Falcke beim ersten Menschen angekommen. Bei einem Treffen mit Lisa Kaltenegger, „einer der führenden Forscherinnen, wenn es darum geht, Atmosphären zu verstehen und nach Leben auf Planeten außerhalb unseres Sonnensystems zu suchen“, kommt er mit ihr überein: „Alle Experten, die ich bis dahin gesprochen habe, sind sich einig: Wie das Leben entstanden ist, wissen wir nicht! Wir wissen noch nicht einmal, wie wahrscheinlich es ist, dass Leben entsteht. Es kann sein, dass es unter den richtigen Bedingungen in der richtigen Umgebung fast unvermeidlich ist, dass Leben entsteht, aber es ist auch möglich, dass die Entstehung des Lebens ein unfassbar unwahrscheinlicher Zufall ist und im ganzen Kosmos nur ein einziges Mal passierte.“

Das Dilemma, das hier (auch theologisch) dahintersteckt, geht hier allerdings ein wenig unter. Denn entweder gibt es unendlich viele Lebensformen draußen im All, dann stellte sich die Frage: Wieso haben wir von ihnen noch nichts mitbekommen? Oder aber es gibt nur Leben auf der Erde. Das würde die gesamte menschliche Weltsicht auf den Kopf stellen. Falcke schreibt dazu: „Ich persönlich tendiere eher zu der Annahme, dass das Leben auf der Erde keine singuläre Ausnahme ist. Allerdings ist es für mich weniger ein wissenschaftliches oder statistisches Argument als vielmehr ein theologisches. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Schöpfer mit einer Art Zaubertrick speziell hier auf der Erde Leben hat entstehen lassen.“

Auf das Fine-Tuning, also die wundersamen, geradezu perfekt auf Leben ausgerichteten Parameter der Erde, geht Falcke nur am Rande ein; immerhin nennt er ein paar: Plattentektonik, das Magnetfeld der Erde, die Größe und der Abstand des Mondes, die Ozonschicht. Aber bei ihm sind es weniger wundersame Zufälle, als vielmehr zwangsläufig notwendige Bedingungen für Leben. Die erste Zelle – nach Charles Darwin entstand sie wohl in einem warmen Tümpel.

Zwar streut Falcke immer wieder Bibelverse ein, am Ende bleiben diese aber erstaunlich in der Luft hängen. Wenn es zum Schluss um den modernen Menschen geht, der Bodenkultivierung erlernt hat, Pyramiden und schließlich Megacitys baut und im Atom- und Informationszeitalter lebt, bleibt vieles ebenso weltanschaulich unkonkret. Es bleibt bei Aussagen wie „Es braucht heute einen starken inneren Kompass, um zwischen Heilsversprechen und Untergangspropheten den richtigen Weg zu finden.“ Oder: „Glaube und Religionen werden sich weiterentwickeln, aber ich denke nicht, dass sie verschwinden werden.“ Und: „Die größte Herausforderung für uns ist es nun, trotz aller Krisen einen kühlen Kopf zu bewahren und dabei das mitfühlende Herz nicht zu verlieren.“

Von einem notwendigen „Rüstzeug“ ist da die Rede, das der Mensch entwickeln sollte für das Überleben in den „nächsten Jahrhunderten, Jahrtausenden oder sogar Millionen Jahren“. Welches Rüstzeug aber ist das? „Das Rüstzeug ist nicht nur technischer, sondern auch sozialer und ethischer Natur.“ So interessant und fesselnd die naturwissenschaftliche Zeitreise durch das Universum auch ist, am Ende steht die Frage im Raum, worin sich dieses Buch von vielen anderen naturwissenschaftlichen Panoramablicken auf das Universum unterscheidet. Was genau ist die Botschaft? Was hat ein Christ mehr zu sagen als zum Beispiel ein Yuval Harari?

Heino Falcke, Jörg Römer: „Zwischen Urknall und Apokalypse. Die große Geschichte unseres Planeten“. Verlag Klett-Cotta, 448 Seiten, 13.09.2025, 28 Euro, ISBN: 978-3-608-96655-8

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