Kann man mit Verstorbenen in Kontakt treten? Dieser Frage geht eine WDR-Reportage „Ruf ins Jenseits: Ist da wer?“ von Carolin von der Groeben („Y-Kollektiv“) nach, die seit Montag in der ARD-Mediathek online ist. Von der Groeben taucht mit einem Begleiter ein in die Welt der Jenseits-Medien. Die Reporterin ist nach eigenem Bekunden keine „Esoterikerin“, würde auch einem Christen nicht den Glauben absprechen, obwohl sie die Bibel für ein „Märchenbuch“ hält.
Warum die Reporterin gleich zu Beginn das Thema mit einer abwertenden Bemerkung über den christlichen Glauben verknüpft, erschließt sich nicht. Der Vergleich soll offenbar verdeutlichen, dass die Journalistin unvoreingenommen an das Thema „Jenseitskontakte“ herangehen will. Abgesehen davon spielt der christliche Glaube in der Reportage keine Rolle. Leider. Von Ausbildungsseminaren – Kosten von mehreren Tausend Euro – über Einzelsitzungen bis hin zu öffentlichen Demonstrationen beleuchtet die Reportage dann, wie Menschen versuchen, Botschaften aus dem „Jenseits“ zu empfangen.
Von der Groeben spricht unter anderem mit „Medien“ und begleitet mit ihrem Filmteam einen „Übungstag“ in einer Jenseits-Akademie. Ein „Medium“ ist eine Person, die von sich behauptet, Botschaften von Verstorbenen aus dem „Jenseits“ wahrnehmen und an Hinterbliebene weitergeben zu können. In der Reportage vertreten die „Medien“ die Auffassung, jeder könne diese Fähigkeiten erlernen. Und noch mehr. „Medialität“ sei wie ein Muskel, der trainiert werden müsse, oder ein Instrument, das man lerne zu spielen. In ihrer Akademie werde „englischer Spiritualismus“ vermittelt.
Warnung vor Abhängigkeiten
Judith Bodendörfer, wissenschaftliche Referentin bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW), erklärt auf Anfrage, dass im Spiritismus grundsätzlich jeder Mensch als fähig gelte, einen Kontakt zu Verstorbenen herzustellen. „Diese starke Individualisierung ist typisch für spiritistische Milieus, machen sie attraktiv.“ Dies berge allerdings auch Gefahren. „Es entstünden leicht hierarchische Meister-Schüler-Verhältnisse, in denen Menschen abhängig werden können“, erklärt die Religionshistorikerin, und weiter: „Hinzu kommt das Risiko, dass Angst vor den Verstorbenen geschürt wird, etwa durch die Vorstellung, Tote könnten Lebende belasten oder psychische Probleme hervorrufen.“
Die Reportage zeige vor allem Menschen, die im Kontakt mit Verstorbenen Trost suchten. Dies sei nachvollziehbar. „Moderne Trauerforschung gehe nicht mehr davon aus, dass man Verstorbene ‚loslassen‘ muss, sondern dass es sinnvoll sei, ihnen einen Platz im Leben zu bewahren“, erklärt Bodendörfer, und weiter: „Der Spiritismus erfüllt dieses Bedürfnis auf eine sehr direkte, aber eben auch ‚profane‘ Weise, indem er ein tatsächliches Gespräch mit den Toten vorgibt.“
Zur in der Reportage erwähnten „englischen“ Tradition des Spiritismus stellt Bodendörfer klar, dass es sich dabei ursprünglich um ein amerikanisches Phänomen des 19. Jahrhunderts gehandelt habe. Ausgangspunkt sei ein „Gründungsmythos“ um die Fox-Schwestern, die angeblich Geister durch Klopfzeichen hörten. „Daraus entstanden spiritistische Kirchen, die sich zum Teil ausdrücklich christlich verstanden und bis heute in den USA und England existieren“, erläutert die EZW-Mitarbeiterin. In Deutschland gebe es dagegen keine großen Organisationen, eher kleine Zirkel, wie in der Reportage gezeigt.
Die Reportage schildert authentisch und respektvoll, wie in Kursen mit inneren Bildern, Gefühlen und Symbolen gearbeitet wird, „um das Tor zum Jenseits“ zu öffnen, und diese anschließend gedeutet werden. Dabei entstehen mal erstaunlich konkrete Treffer, mal eher vage Aussagen, die viel Raum für Interpretation lassen – die Reporterin jedoch zeitweise durchaus in Erstaunen versetzen.
In den Gesprächen wird deutlich, dass die Suche nach Trost ein zentrales Motiv dafür ist, mit Verstorbenen in Kontakt treten zu wollen. Von der Groeben macht deutlich, dass Trauernde sehr verletzlich sind und dadurch Gefahr laufen, emotional und finanziell abhängig zu werden. Sie berichtet von einer Frau, die rund 10.000 Euro für Sitzungen ausgegeben hat, nachdem ein Medium ihr sogar Einfluss auf ihr irdisches Leben zugesprochen hatte. Zwar hätten die meisten Befragten keine negativen Erfahrungen gemacht, doch betont der Film, dass Wachsamkeit nötig sei, weil die Grenze zwischen Trost und Ausnutzung schnell überschritten werden könne. So sehr das Bedürfnis menschlich sei, so sehr bergen diese Praktiken auch Gefahren von Abhängigkeit, Angst und Missbrauch. Darauf hatte ausdrücklich auch die EZW-Mitarbeiterin im Gespräch mit PRO hingewiesen.
Kritiker sorgt für Balance
Wissenschaftliche Belege für die sogenannten „Hellsinne“ liefert die Reportage nicht – weil es die demnach nicht gibt. In Film erklärt jedoch Nikil Mukerji von der „Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften“ (GWUP) die Wirkung durch Effekte wie den „Confirmation Bias“ – wir erinnern uns stärker an das, was passt – und „Cold Reading“, das geschickte Deuten von Körpersprache.
Die Reportage wahrt ihre Ausgewogenheit, indem sie nicht nur die Sicht der „Medien“ und Betroffenen präsentiert, sondern auch eine skeptische, wissenschaftlich orientierte Perspektive einbezieht. Weil auch Kritiker Mukerji keinen der Betroffenen herabsetzt, wirkt die Reportage sachlich und respektvoll. Zudem verhindert der Einschub des Kritikers, dass die Reportage in die Nähe unkritischer Esoterik-Werbung gerät. Gerade weil die Journalistin selbst zwischen Staunen und Skepsis schwankt, ist Mukerjis nüchterne Analyse das Korrektiv, das die journalistische Seriosität unterstreicht. Ohne Mukerjis Einordnung hätte die Reportage leicht einseitig oder suggestiv wirken können – mit ihr gewinnt sie an Balance und Glaubwürdigkeit.
Bibel verbietet Kontaktaufnahme mit Toten
Insgesamt geht die Journalistin offen und nüchtern an das Thema heran. Von der Groeben will verstehen, was Menschen antreibt in ihrem Bestreben, Kontakt mit Verstorbenen aufzunehmen, und zeigt dabei Verständnis. Manche Aussagen und Erlebnisse lassen sie ratlos zurück, doch im Rückblick überwiegt die Einschätzung, dass psychologische Mechanismen wahrscheinlicher sind als echte Kontakte mit Verstorbenen. Zugleich anerkennt sie die Aufrichtigkeit der „Medien“ in ihrem Bemühen und die tröstende Wirkung ihrer Arbeit.
Der anfängliche Seitenhieb auf die Bibel gehört im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk wohl mehr oder weniger zum guten Ton und darf daher kaum als handwerklicher Fehler gelten. Apropos Bibel: Die kennt den Wunsch von Menschen, Kontakt mit Toten aufzunehmen, sehr genau, und berichtet darüber. König Saul sucht etwa eine Totenbeschwörerin (1. Samuel 28) auf, um den verstorbenen Propheten Samuel zu befragen. Nicht ohne Folgen. Saul wird mit dem eigenen Untergang konfrontiert. Und, um das – unabhängig von der handwerklich soliden Reportage – ganz klar zu sagen: Die Bibel lehnt jede Form der Kontaktaufnahme mit Toten strikt ab und warnt vor den Konsequenzen. „Es soll niemand unter dir gefunden werden … der einen Totengeist oder Wahrsager befragt oder die Toten um Rat fragt. Denn wer das tut, ist dem Herrn ein Gräuel.“ (5. Mose 18,10–12).
Sollte man sich als Christ so einen Film anschauen? Im Zweifel nein. Denn so oder so gilt: Jesus Christus hat den Tod besiegt – und darum brauchen Christen keine Umwege über „Jenseits-Medien“, um Trost und Hoffnung zu finden.