„Wir brauchen auch die fragenden, zweifelnden Lieder“

Albert Frey prägt mit seinen Liedern seit vielen Jahren die deutsche Lobpreismusik. Im Interview spricht er davon, was er in der Worship-Kultur vermisst und was an seinem neuen Oratorium anders ist als bei anderen seiner Lieder.
Von Jonathan Steinert
Albert Frey

PRO: Wie gehen Sie beim Schreiben eines Liedes vor? Ist zuerst die inhaltliche Idee da oder erst die Musik?

Albert Frey: Zu Beginn meiner musikalischen Tätigkeit bin ich stärker von der Musik her gekommen. Inzwischen wird mir der Text immer wichtiger. Oft verwende ich darauf viel mehr Zeit als auf die Musik. Die fließt dann manchmal fast automatisch. Ich versuche aber, beides eher gleichzeitig entstehen zu lassen, sodass Text und Musik sich gegenseitig tragen.

Wie kommen Sie zu Ihren Texten?

Die Basis für fast jeden Song ist eine Inspiration, ein Bibeltext oder ein Thema, das mich gerade beschäftigt. Eine Seite Gottes zum Beispiel, die dann zu einem Lied führt, ein neues Bild für Gott oder auch Erlebnisse in der Natur. Die Texte kommen von meinem inneren Erleben her, sodass die Lieder, die ich schreibe, zunächst mal meine eigenen Gebete sind.

Viele Ihrer Lieder werden in Gemeinden gesungen. Haben Sie die Gemeinde vor Augen, wenn Sie Lieder schreiben?

Ich habe schon auch die Gemeinde mit im Blick und die spätere Anwendung eines Liedes. Das drückt sich zum Beispiel auch in der Formulierung „wir“ aus: Nicht nur ich lobe Gott, sondern wir als Christen tun das.

Sie engagieren sich vom 21. bis 23. Februar mit Hans-Joachim Eckstein, Arne Kopfermann und anderen Musikern beim Create-Kongress. Dort geht es darum, wie neue Lieder entstehen, auch für die Gemeinde. Was ist Ihnen wichtig, zu vermitteln?

Oft ist unser Denken zu eng: So oder so muss ein Lobpreislied oder ein Gemeindelied sein. Wir wollen einen Raum für Kreativität und Vielfalt schaffen und dazu ermutigen, auch freier zu denken. Ein Ansatz, der dabei hoffentlich helfen kann, ist es, das Glaubensleben in drei Phasen einzuteilen. In der ersten Phase des Glaubens ist man begeistert, vielleicht ein bisschen naiv, alles erscheint wunderbar. Man hat Gott und die Bibel neu entdeckt – Halleluja, das feiern wir jetzt.

Aber dann gibt es auch eine zweite Phase, die Fragen stellt, wie etwa in den Psalmen: Gott, wo bist du? Wie lange dauert es noch? Und was hat meine Lebenskrise mit Gott zu tun? Diese Phase wird im internationalen Worship eher ausgeblendet. Beim Create-Kongress wollen wir klar sagen: Wir brauchen auch diese fragenden, zweifelnden Lieder, Klagelieder. Gerade in unserer Zeit der Krisen.

Und dann gibt es aber noch eine dritte Phase: Die neue Einfachheit des Glaubens, wenn Erwachsene den Kinderglauben wiederfinden und ihn in ihre Glaubenserfahrungen integrieren. Ich fände es schön, wenn wir auch für diese dritte Phase Lieder hätten, die eine gewisse Reife im Glauben widerspiegeln, wie sie manche großen Choräle früherer Jahrhunderte haben.

Gibt es bestimmte Kriterien, die ein Lied erfüllen muss, damit es ein gutes Lied ist?

Ein Lied sollte ein einheitliches Thema haben und nicht zwischen zu vielen verschiedenen Bereichen hin und her springen. Es sollte zum Beispiel bei einer Perspektive bleiben: Entweder ich spreche zu Gott oder er spricht zu mir oder wir sprechen als Gemeinde zu ihm.

Im Lobpreisbereich gibt es manchmal auch die Vorstellung, mit ein paar Phrasen als Textbausteinen, einer schönen Melodie und Emotion ist es getan. „Wir beten dich an“, „Wir sind hier vor dir versammelt“. Nein, das ist nicht genug. Jede Zeile muss gut durchdacht sein. Wie steigen wir inhaltlich ein? Was ist das Ziel? Was ist der Fokus im Refrain? Alles muss zusammenpassen und einen Weg beschreiben in den drei bis fünf Minuten, die das Lied dauert.

Ich glaube an Inspiration. Von Gott singen heißt aber nicht, dass uns das von der Verantwortung entbindet, am Text zu feilen.

Was ist Ihre Beobachtung generell in Gemeinden: Welchen Stellenwert hat die Musik?

In den vergangenen Jahrzehnten ist die Bedeutung eher noch gewachsen, weil vielleicht moderne oder jüngere Menschen nicht mehr so eine hohe Aufmerksamkeitsspanne haben, sich eine einstündige Predigt anzuhören oder tief in Inhalte einzusteigen. Ein Lied kann eine Sache gut auf den Punkt bringen. Umso größer ist natürlich die Verantwortung, dass das der richtige Punkt ist und die Lieder zur Predigt und zu anderen Teilen des Gottesdienstes passen.

Musik und Lieder, die Emotionen und Inhalt transportieren, haben eine sehr große Bedeutung für den christlichen Glauben und wir sind wahrscheinlich in mancher Hinsicht etwas naiv damit umgegangen. Da sollten wir sorgsamer werden.

Was meinen Sie damit?

Wenn Lieder zum Beispiel dazu dienen, die verschiedenen Wortbeiträge eines Gottesdienstes zu unterbrechen und Abwechslung zu schaffen, ist das eine oberflächliche Art, Musik einzusetzen. Das ist beliebig. Musik kann nicht nur abwechseln, sondern sie kann verdichten, was gerade gesagt wurde. Deshalb ist es wichtig zu überlegen: Was sagt ein Lied theologisch aus? Welches Lied passt wo am besten, welche sind auch nicht zielführend?

Das gilt auch für Lobpreis-Blocks. Wir müssen genauer hinschauen: Was ist das Thema an diesem Sonntag? Was ist das Thema für diese 20 Minuten? Wo steigen wir ein, wo führt das hin? Auch innerhalb von einem solchen Lobpreis-Block braucht es einen Aufbau, eine Liturgie, wenn man so will.

Hat der Lobpreis-Block auch selbst eine liturgische Funktion wie die Elemente eines klassischen Gottesdienstes?

Ja, da gibt es Parallelen. Eine traditionelle Gottesdienstliturgie ist sehr ausgewogen dadurch, dass sie für jedes Element einen festen Platz und einzelne Lieder hat. Man streift in der Liturgie viele Themen und für alle ist nur wenig Zeit vorgesehen. Am Anfang kommen etwa Kyrie und Gloria hintereinander, inhaltlich sind sie sehr unterschiedlich – „Herr, erbarme dich“ und „Ehre sei Gott“.

Ein Lobpreis-Block von mehreren Liedern verweilt gewissermaßen länger beim Gloria. Auch das Sanctus, das dreifache „Heilig“, findet sich in modernen, lobpreis-affinen Gottesdiensten. Aber das Kyrie kommt oft zu kurz.

Die Liturgie kann uns helfen, das zu entdecken. Wir brauchen auch das „Herr, erbarme dich“, und auch das Credo, das Glaubensbekenntnis. Lieder, die Gott beschreiben, ebenso wie solche, die Inhalte unseres Glaubens beschreiben.

„Musik kann nicht nur abwechseln, sondern sie kann verdichten, was gerade gesagt wurde.“

Im März erscheint das Album Ihres Oratoriums zu den sieben Worten Jesu am Kreuz. Wie sind Sie auf diese Art der Musik und auf dieses Thema gekommen?

Durch meinen Vater, der Kirchenmusiker war, kannte ich klassische Vertonungen dieser letzten Worte, etwa von Joseph Haydn. Ich fand es immer schon stark, dass die biblischen Inhalte da so verdichtet sind. Die sieben Sätze sind inhaltlich sehr unterschiedlich. Daher ist es für mich auch künstlerisch sehr reizvoll, die dann auch ganz unterschiedlich und mit einer breiten musikalischen Farbpalette von Sinfonieorchester, vierstimmigem Chor, Band und Solisten zu vertonen.

Können Sie das an einem Beispiel erklären?

Bei der Aussage „Es ist vollbracht“ braucht es etwas Bombastisches. Das Erlösungswerk hat seinen Höhepunkt. „Sieh, dein Sohn. Sieh, deine Mutter“ ist hingegen ein ganz persönliches Wort von Jesus an Maria und Johannes. Das braucht etwas Kleines, Feines. Das letzte Wort „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“ ist dann ganz ruhig, fast wie ein Beerdigungs-Choral.

Ich will nicht nur diese Worte beschreiben, sondern will sie auch übertragen auf heute. Was haben sie uns zu sagen? Bei diesem letzten Wort etwa: Wie können wir selbst Dinge loslassen – „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist, meine Last“.

Symbolfoto Albert Freys Pop-Oratorium 7 Worte vom Kreuz Foto: Stiftung Creative Kirche
Albert Freys Pop-Oratorium „7 Worte vom Kreuz“ erscheint im März als Album. Uraufgeführt wird es im März 2024 in Ludwigsburg. Wer als Chorsänger daran mitwirken will, kann sich bei der Stiftung Creative Kirche dafür anmelden.

Wie unterscheidet sich das Oratorium von den Liedern, die Sie sonst schreiben?

Die einzelnen Stücke sind länger als ein Pop- oder Worship-Song. Es gibt auch mehr Text, um diese Worte durch tiefergehende, auch theologische Fragen zu unterfüttern. Wenn Jesus sagt „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, stellt sich die Frage: Was ist denn mit der Menschheit los? Was ist denn diese Störung? Warum können wir die Konsequenzen unserer Taten oft gar nicht absehen und verletzen einander? Und warum ist Vergebung ein Schlüssel, um aus diesem Teufelskreis rauszukommen?

Dieses Projekt, wo sich der Text aus Aussagen von Jesus ableitet, hat eine ganz andere Perspektive als Lobpreis-Songs. Steckt darin auch das Anliegen, dass die Zuhörer Jesus neu kennenlernen?

Auf jeden Fall! Ich habe auch die Texte daraufhin untersucht, ob die biblische Botschaft darin für moderne Menschen verständlich ist. Das Wort Sünde ist ja essenziell, um das Kreuzesgeschehen zu verstehen. Aber es ist etwas verbrannt in unserer Zeit. Für jemanden, der mit der Kirche nichts zu tun hat, ist Sünde eine Sahnetorte. Deshalb habe ich zum Teil andere Worte verwendet. Zum Beispiel Unrecht, das wir einander antun, oder Schuld.

Ich habe auch einige ältere Lieder von mir mit neuem Arrangement in das Oratorium aufgenommen und dafür den Text teilweise etwas angepasst, um diese Verständlichkeit zu gewährleisten.

Zum Beispiel?

In „Siehst du das Lamm“ heißt es im dritten Vers „Siehst du das Lamm dort an dem Kreuz“. Wer die Hintergründe dieses Bildes nicht kennt, versteht das nicht. Deshalb formuliere ich jetzt: „So, wie ein Lamm, ging er ans Kreuz.“ Dann geht es um die Art des Lammes. Damit wird das Bild deutlicher.

Vielen Dank für das Gespräch!

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2 Antworten

  1. „In seinem Oratorium „7 Worte vom Kreuz“ verarbeitet Albert Frey die letzten Worte von Jesus und fragt danach, was sie heute zu sagen haben.“ Die haben heute nichts anderes zu sagen als damals, am Kreuz Jesu Christi. Nur will man sie heute nicht mehr so hören wie damals…

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    1. Meiner Ansicht nach kann man sie nicht mehr verstehen, weil wir in einer sehr veränderten Welt leben, 2000 Jahre später. Die Kunst ist es, die eigentlichen Inhalte zu verstehen und ins Heute zu übersetzen. Das hat übrigens Paulus schon so gesehen: den Juden ein Jude, den Griechen ein Grieche. Auch in der Kirchengeschichte gibt es viele solche Beispiele. Eindrücklich finde ich den Bericht eines Wycliff Bibelübersetzers aus der Zeit vor dem Internet. Er hat für die Inuit das Johannesevangelium übersetzt. Die hatten keine Ahnung, was ein Lamm ist und auch kein Gefühl dafür. Der Übersetzer hat dann Gottes kleiner Seehund gewählt, weil das für die Inuit genau dem entspricht. Wenn Menschen sich heute abwenden, weil sie erstens nichts von dem verstehen, was da in frommen Worten geredet wird und zweitens, wenn sie in einen landeskirchlichen Gottesdienst gehen (und ich bin in einer Landeskirche), vermuten, sie seien im Mittelalter gelandet – wer ist daran Schuld? Die dummen Leute oder wir, die wir es nicht schaffen, das Evangelium so zu erklären, dass die Menschen es verstehen? Ich frage mich, warum Sie sich immer an den Worten festhalten wollen – auf den Inhalt kommt es doch an! Gehen Sie mal mit mir in eine sogenannte Brennpunktschule, dann reden wir weiter!

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