Wenn der Chefredakteur von der Kanzel predigt

Anlässlich des 75-Jubiläums der evangelischen Superintendentur Steiermark, hielt der Chefredakteur der Kleinen Zeitung in der Grazer Heilandskirche eine Gastpredigt. Dabei erzählte er von seiner gemischt-konfessionellen Kindheit und beklagte den Vertrauensverlust der Bevölkerung in Kirchen und Medien.
Von PRO

Das schlichte Gotteshaus ist gut gefüllt, etwa 80 Personen haben in der im 19. Jahrhundert erbauten evangelischen Heilandskirche im Stadtzentrum von Graz Platz genommen. Nach dem Lied „Lobe den Herrn“ bekommt die Gemeinde einen ungewöhnlichen Auftrag: Psalm 138 wird gelesen und „alle, die heute Morgen schon Zeitung gelesen haben, beginnen mit mir, alle, die noch keine Zeitung gelesen haben, lesen den zweiten Teil“, weist einer der Priester die Gläubigen an – ein Vorgriff darauf, dass an diesem Sonntag anstatt eines Pfarrers Hubert Patterer, der Chefredakteur der Kleinen Zeitung – der wichtigsten Tageszeitung im Süden Österreichs –, die Predigt halten wird.

Der Hintergrund ist schnell erklärt: Die evangelische Superintendentur Steiermark feiert dieses Jahr ihr 75. Jubiläum und hat daher acht Personen des öffentlichen Lebens als Gastprediger eingeladen. Und nachdem der Kantor „Go Tell It on the Mountain“ spielt, darf Patterer auch schon loslegen. Noch nie habe er öffentlich über seinen persönlichen Zugang zum Glauben gesprochen und „schon gar nicht von einer Kanzel“, meint Patterer, der als Protestant die in katholischem Eigentum stehende Kleine Zeitung leitet und sich daher sogleich mit Augenzwinkern als „konfessioneller Betriebsunfall“ bezeichnet.

Aufgewachsen sei der 60-Jährige in einer gemischt-konfessionellen Familie. Sein Vater stamme aus einem katholisch-austrofaschistischen, seine Mutter aus einem evangelisch-deutschnationalen Haus in der Nähe der Kärntner Bezirksstadt Hermagor. Die Heirat seiner Eltern sei daher gesellschaftlich wenig akzeptiert, eine Art „Romeo-und-Julia-Geschichte“ gewesen. Seine Mutter habe schließlich durchgesetzt, die Kinder evangelisch zu erziehen, woraufhin der katholische Pfarrer im Ort Patterers Vater auf der Straße nicht mehr gegrüßt habe: „Trotzdem geht er bis heute regelmäßig in die Kirche“, meint Patterer über seinen Vater. 

„Es gibt keine gemeinsame Öffentlichkeit mehr“

Nach diesem persönlichen Einstand wird Patterer grundsätzlicher und – wie es sich für einen Chefredakteur wohl gehört – politischer: „Die Kirche und die Medien sind Geschwister in der Krise“, beide Institutionen würden immer mehr Vertrauen in der Bevölkerung verlieren: „Der Vorwurf lautet stille Komplizenschaft mit der Macht.“

Sowohl in der Flüchtlingskrise von 2015, sei sowohl von Pfarrern als auch von Medien von einer Willkommenskultur die Rede gewesen, auch in der Coronakrise, wo von Impfen als Akt der Nächstenliebe gesprochen worden sei, hätten sich Ähnlichkeiten gezeigt. Persönlich habe er den Argwohn von Teilen der Bevölkerung gespürt, als ihn in der Coronakrise der Verfassungsschutz angerufen und gebeten habe, „die Redaktion durch die Hintertür zu verlassen“. Das düstere Fazit der Journalisten: „Es gibt keine gemeinsame Öffentlichkeit mehr für den demokratischen Diskurs, sondern stattdessen eine digitale Aufmerksamkeitsökonomie, die Gräben aufreißt.“ Und: „Wer differenziert, macht sich bereits verdächtig.“

Lösungsvorschläge für den Vertrauensverlust in Kirche und Medien zeigte der Chefredakteur der Kleinen Zeitung in der Grazer Heilandskirche unterdessen keine auf, stattdessen beendete Patterer seine Predigt mit einer weiteren persönlichen Geschichte: Vor vier Jahren sei seine evangelische Mutter schließlich gestorben. Sein katholischer Vater habe bei der Beerdigung auf einem nicht-konfessionellen gemeinsamen Familiengrab bestanden.

Von: Raffael Reithofer

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3 Antworten

  1. Danke für den Bericht. Die Predigt ein Event, aber anscheinend kein wirklicher Inhalt was den Glauben angeht (zumindest was den Inhalt angeht).
    Vielleicht symptomatisch für die evangelische Kirche? Wahrscheinlich keine Aufforderung sein Leben auf Gott auszurichten?
    Keine biblisch-fundierten Erkenntnisse (wie es der Bericht schildert); eine Jubiläumskolumne in der Zeitung hätte es auch getan.
    Kein Wort von Jesus, vertrauen auf ihn allein, Umkehr von den eigenen Wegen und Bereinigung der Beziehung zu Gott durch Jesus Christus.

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  2. „Lösungsvorschläge für den Vertrauensverlust in Kirche und Medien zeigte der Chefredakteur der Kleinen Zeitung in der Grazer Heilandskirche unterdessen keine auf“

    Ist das Vertrauen einmal weg, kommt es von alleine auch so schnell nicht wieder. Man müsste es sich neu erarbeiten, z.B. mit Ehrlichkeit, Selbstkritik, Transparenz und vielleicht sogar einer Entschuldigung. Ich glaube allerdings nicht das man dazu bereit ist. Einfacher ist es doch, einen Sündenbock zu suchen, der angeblich das „Vertrauen untergräbt“.

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  3. Auf die Kanzel gehören m.E. nur ordinierte Geistliche. Oder noch Prädikanten, die früheren Laienprediger. Von der Kanzel ist das Wort Gottes zu predigen – und sonst gar nichts!

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