Wenn Amazon die Trauerrede vorliest

Christian Tsalos ist Pfarrer der württembergischen Landeskirche. Der Theologe bietet eine Trauerrede über die Amazon-Sprachbox „Alexa" an. Tsalos will mit diesem Angebot eine zunehmende Sprachlosigkeit bei Bestattungen ohne Trauerfeier verringern.
Von Johannes Blöcher-Weil
Das Trauern hat sich gewandelt: Weil immer mehr Beerdigungen anonym stattfinden, können Menschen ihre Trauerrede vom Band ablaufen lassen

Immer mehr Verstorbene werden ohne Abschiedsfeier bestattet. Für den Heinsheimer Pfarrer Christian Tsalos ist das eine bedenkliche Entwicklung. Er hat ein Angebot geschaffen, mit dem trauernde Angehörige über eine Internetseite eine kurze Trauerrede ablaufen und über den Lautsprecher hören können. pro hat dem Theologen dazu ein paar Fragen gestellt.

pro: Wann kam Ihnen die Idee, die Sie jetzt umsetzen?

Christian Tsalos: Die Idee kam mir in den Wochen um Ostern. Die Medien haben öfter davon berichtet, dass in den Großstädten fast die Hälfte der Bestattungen ohne einen Ritus oder sogar geistlichen Beistand stattfinden. Als Gemeindepfarrer erfahre ich in den Gesprächen mit den Bestattern, dass unter den Hinterbliebenen oft eine große Hilflosigkeit und Sprachlosigkeit herrscht. Vielfach müssen sogar Bestatter fast seelsorgerliche Begleitung übernehmen.

Was war für Sie der Auslöser?

Ich habe mir überlegt, wie man Menschen auch ohne direkten persönlichen Kontakt in der Trauer begleiten kann. Außerdem nehme ich wahr, dass immer weniger Menschen lesen oder Bücher als seelsorgerliche Begleitung heranziehen. Es brauchte also eine Lösung her, die ohne die „Buchschwelle“ funktioniert. Da kam mir die Lautsprecherserie „Echo“ von Amazon in den Sinn. „Alexa“ liest vorgegebene Text vor. Es war also nur ein kleiner Schritt, solch ein Programm erstellen zu lassen, das einen Trauertext vorliest. Meine eigene Stimme wollte ich nicht verwenden, weil sie vom schwäbischen Dialekt gefärbt ist. Zudem finde ich die künstliche Alexa-Stimme in dieser Situation neutraler.

Welche Erwartungen haben Sie?

Dass einige Menschen den Text anhören und in Gedanken und Gefühlen mitgehen können. Das Angebot ist natürlich kein Ersatz für die Trauerfeier oder direkte Begleitung der Kirche. Es ist ein Notbehelf und ein zusätzliches Angebot.

Wie kam die Idee bei Ihren Gemeindegliedern an?

Die wissen nichts davon, weil das System in der Gemeindearbeit nicht vorkommt. Ich bestatte noch ganz „normal“.

Muss Kirche im Umgang mit Trauer innovativer werden?

Ich denke, dass Kirche sich zumindest bei Bestattungen genau wie in der Diakonie für Nicht-Kirchenmitglieder öffnen sollte. Jeder Mensch sollte die Möglichkeit haben, auf Wunsch kirchlich bestattet zu werden. Das wäre ein Stück Mission und Barmherzigkeit, die der Kirche und des Evangeliums würdig wäre. Wir sollten als Kirche nicht nur unsere „Vereinsmitglieder“ bestatten. Eine solche Aufgabe müsste aber strukturell von der Kirche vorbereitet werden, zum Beispiel mit Pfarrstellen nur für diesen Dienst in Großstädten. Gemeindepfarrern mit ihren Gemeindegliedern darf man das nicht zusätzlich auflegen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Der württembergische Pfarrer Christian Tsalos hat in den vergangenen Jahren auch die erste „Multi-Media-Kanzel der Welt“ entwickelt. Der große Flachbildschirm auf dem Lesepult der Heimsheimer Kanzel sendet außerhalb der Gottesdienste Ermutigungsworte an Kirchenbesucher. Außerdem betreibt er die Internetseite „Kirche für Ausgetretene“, auf der Menschen über kirchliche Angebote für Nichtmitglieder informiert werden, sowie das Angebot einer Seelsorge via WhatsApp.

Von: Johannes Weil

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