Der Vorsitzende des Weltkirchenrats, Heinrich Bedford-Strohm, hat den Beschluss der Ökumene-Organisation eingeordnet, Israel für seine Politik gegenüber den Palästinensern als „Apartheidssystem“ zu bezeichnen. Es gebe Stimmen, die dem Gebrauch des Begriffes „Apartheid“ für die Situation in Israel skeptisch gegenüberstehen, räumte der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Mittwoch in einem dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegenden Statement ein.
Dass diese Stimmen die Gesamterklärung am Ende mitgetragen haben, „liegt in dem Erschrecken über das unermessliche Leid begründet, das die Bombardements der israelischen Armee im Gazastreifen angerichtet haben und das durch keine noch so legitime Selbstverteidigung mehr zu rechtfertigen ist“, erklärte der Theologe und frühere bayerische Landesbischof.
„Mit Antisemitismus hat der Beschluss nichts zu tun“, unterstrich Bedford-Strohm: „Das Eintreten für die Menschen in Gaza und in den besetzten Gebieten kommt aus den gleichen universalistischen Werten wie die unbedingte Solidarität mit Jüdinnen und Juden in aller Welt, die jetzt wegen des Handelns der israelischen Regierung antisemitischen Angriffen ausgesetzt sind.“
Der ÖRK-Zentralausschuss hatte Israel verurteilt. Er forderte in einer Erklärung, dass die „Realität der „Apartheid“ beim Namen“ genannt wird. „Wir erkennen und verurteilen das System der „Apartheid“, das Israel dem palästinensischen Volk auferlegt und damit das Völkerrecht und das moralische Gewissen verletzt“, erklärte das zweithöchste Leitungsgremium am Dienstag zum Abschluss seiner Tagung im südafrikanischen Johannesburg.
Der Begriff „Apartheid“ mit Bezug auf Israel ist in der Ökumene hochumstritten. Die elfte Vollversammlung des ÖRK in Karlsruhe im September 2022 endete mit einem Kompromiss: Der Weltkirchenrat hatte Israel damals nicht zum „Apartheidstaat“ erklärt. Vor einer solchen Einstufung hatten insbesondere Antisemitismus-Beauftragte und jüdisch-christliche Verbände gewarnt.
In der jetzt in Südafrika veröffentlichten Erklärung des ÖRK-Leitungsgremiums heißt es: „Wir erkennen einen klaren Unterschied zwischen dem jüdischen Volk, unseren Glaubensgeschwistern, und den Handlungen der israelischen Regierung an und bekräftigen, dass der ÖRK entschieden gegen jede Form von Rassismus, einschließlich Antisemitismus, antiarabischem Rassismus und Islamfeindlichkeit, eintritt.“ Die Unterdrückung im Westjordanland und in Jerusalem zwinge die Kirchen, sich klar für die Grundsätze der Gerechtigkeit nach internationalem Recht einzusetzen.
„Apartheid“-Vorwurf nicht neu
Die Erklärung fordert „Staaten, Kirchen und internationale Institutionen auf, Konsequenzen für Verstöße gegen das Völkerrecht zu verhängen, darunter gezielte Sanktionen, Desinvestitionen und Waffenembargos“. Der Internationale Strafgerichtshof und die Mechanismen der Vereinten Nationen, die mögliche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit untersuchten, „müssen uneingeschränkt unterstützt werden“.
Die Anschuldigung der „Apartheid“ gegen Israel ist nicht neu, rief bisher aber oft Kritik hervor. Die Menschenrechtsorganisation „Amnesty International“ warf Israel bereits im Jahr 2022 in einem Bericht „Apartheid“ gegen die Palästinenser vor. Auch Südafrika wirft Israel das vor. Ende 2023 reichte Pretoria beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag Klage gegen Israel ein. Der Inhalt der Klage: Israel würde Genozid an der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen begehen. Der stehe im Kontext der seit 75 Jahren andauernden „Apartheid“ gegenüber den Palästinensern. Anschließend unterstützen auch Länder wie Spanien, Nicaragua, Kolumbien, Libyen und Mexiko die Klage. Und auch die Palästinenser warfen Israel im Jahr 2024 vor dem Internationalen Gerichtshof den Tatbestand vor.
Auf der Berlinale im vergangenen Jahr hatten Filmschaffende ebenfalls bei der Abschlussgala auf der Bühne von einem „Genozid im Gazastreifen“ gesprochen, Israel der „Apartheid“ beschuldigt und damit für einen handfesten Skandal gesorgt. Im Jahr 2012 hatte der frühere Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) Israel ebenfalls der „Apartheid“ beschuldigt. Nach einem Besuch in Hebron im Westjordanland, hatte er auf seiner „Facebook“-Seite geschrieben, im Westjordanland herrsche ein „Apartheid“-Regime, für das es keine Rechtfertigung gäbe. Im Jahr 2018 nahm Gabriel die Äußerung wieder zurück und sagte, er würde „diesen harten Vergleich nicht wiederholen“.
Verbände: „Apartheid“ spricht Israel Existenzrecht ab
Jüdische Verbände verstehen Israel hingegen nicht als „Apartheidssystem“. Die Europäische Rabbinerkonferenz in München warf dem Weltkirchenrat „doppelte Standards“ vor. Präsident Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt erklärte gegenüber dem „Bayerischen Rundfunk (BR)“: Wer Israel „Apartheid“ vorwerfe, aber die russisch-orthodoxe Kirche in seiner Mitte dulde und sich von dieser größtenteils finanzieren lasse, während diese zum heiligen Krieg in der Ukraine aufrufe, sollte lieber schweigen. Der Weltkirchenrat offenbare historisches Unwissen und moralisches Versagen, sagte Goldschmidt.
Auch der Zentralrat der Juden sieht Israel nicht als „Apartheidstaat“. So erklärte der Verband nach dem Bericht von „Amnesty International“ aus dem Jahr 2022: Israel sei der einzige demokratische Staat im Nahen Osten. Man werfe dem Land vor, dass sein Rechtssystem und sämtliches staatliches Handeln ausnahmslos darauf ausgerichtet sei, Palästinenser als eine „untergeordnete Rasse“ zu behandeln. Die Terrororganisation Hamas hingegen werde als „normale politische Partei“ dargestellt. Der Bericht sei antisemitisch und mit dem Vorwurf der „Apartheid“ werde Israel das Existenzrecht abgesprochen.
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Der Zentralausschuss des ÖRK tagte unter seinem Vorsitzenden Bedford-Strohm vom 18. bis 24. Juni in Johannesburg. Dem alle zwei Jahre zusammenkommenden Gremium gehören 158 Mitglieder, die regionalen Präsidentinnen und Präsidenten des ÖRK sowie 100 Beraterinnen und Berater aus der breiteren ökumenischen Bewegung an. Der ÖRK umfasst derzeit mehr als 350 Mitgliedskirchen mit weltweit mehr als 580 Millionen Christinnen und Christen. Die katholische Kirche ist nicht Mitglied, arbeitet mit dem Weltkirchenrat aber zusammen.
Von: epd/Swanhild Brenneke