Was wird aus den Kirchen?

Immer weniger Kirchenmitglieder brauchen auch weniger Gebäude. Berichte über ehemalige Gotteshäuser, die jetzt anders genutzt werden, erwecken den Eindruck, dass auch die kulturelle Bedeutung der Kirchen schwindet. Doch das stimmt nicht.
Von Swanhild Brenneke

Im bayerischen Kelheim kann man eine Ferienwohnung mieten, die mal eine Kirche war. Im Siegerland gibt es eine Selbstbedienungskirche. Der niederländische Unternehmer Wim Annen kauft Kirchen auf, damit sie nicht säkularisiert werden. Im hessischen Willingen wird eine Kirche seit vielen Jahren als Kneipe genutzt – das Don Camillo. Es gibt deutschlandweit noch viele weitere solcher Beispiele von Um- oder Neunutzung von Kirchengebäuden. Denn für immer weniger Kirchenmitglieder braucht es auch weniger Häuser. Zudem sind gerade alte Gebäude für manchen zeitgemäßen Gebrauch unpraktisch, schlecht beheizt und teuer im Unterhalt. 

Auch durch Medienberichte über Kirchenverkäufe entsteht zuweilen der Eindruck, dass viele Gotteshäuser nicht mehr im eigentlichen Sinn genutzt werden und Kirchen somit religiös und kulturell an Bedeutung für die Gesellschaft verlieren. Stimmt das?

Laut der offiziellen Statistik der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gab es Ende 2019 23.646 Kirchen und Gottesdienststätten, in denen Gottesdienste gefeiert wurden. Fast alle (23.054) sind auch Eigentum der evangelischen Kirche. Die katholische Kirche besitzt ähnlich viele Gotteshäuser: 24.000 laut Deutscher Bischofskonferenz.

Der EKD-Kulturbeauftragte Johann Hinrich Claussen findet die Anzahl der betriebenen evangelischen Kirchen in Deutschland beachtlich. „Es gibt kein Land in der Kirchengeschichte, das so ein hervorragend gut ausgestattetes Netz von Kirchengebäuden hat wie Deutschland jetzt“, sagt er im Interview mit PRO. Es gebe das Klischee vom „radikalen Niedergang“ der Kirchenkultur. Das sei aber nicht ganz richtig. „Wir haben eine Niedergangsrhetorik, die vom absoluten Optimum ausgeht“, gibt er zu bedenken. Die Besucherzahlen beim klassischen Sonntagmorgengottesdienst nähmen zwar in einigen Regionen ab, in anderen aber auch nicht. 

Ein Blick auf die einzelnen Landeskirchen zeigt, dass auch im Fall der Aufgabe eines Kirchbaus eine religiöse Nutzung angestrebt wird. In der Evangelischen Landeskirche Anhalts, der mit weniger als 30.000 Mitgliedern kleinsten, seien nur wenige von den 212 Kirchen in den vergangenen Jahren verkauft worden, sagt Pressesprecher Johannes Killyen. Mit Verkäufen habe man nach der Wende oft schlechte Erfahrungen gemacht, weil sich Käufer und Investoren zum Teil nicht an Absprachen zur Nachnutzung gehalten hätten und verkaufte Kirchengebäude dann verfallen seien. Zudem stünden viele Kirchen unter Denkmalschutz, was eine zweckentfremdete Nutzung erschwere. 

Auch Dan Peter, Sprecher der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, erklärt, wenn man Gebäude verkauft habe, dann meistens an andere Religionsgemeinschaften und nur zu einem symbolischen Preis. In den vergangenen 20 Jahren seien das etwa fünf Stück gewesen. Man wolle so einer „unerwünschten Nachnutzung“ wie durch Spielcasinos oder Bordelle vorbeugen. Ähnliches erklärt auch die Landeskirche Sachsen. Dort seien seit 1945 etwa 25 Kirchen durch Verkauf oder Erbbaupacht abgegeben worden, sagt Pressesprecherin Tabea Köbsch. Bevorzugt an christliche Glaubensgemeinschaften. 

In der Landeskirche Baden gab es seit 2015 17 Verkäufe – einige davon ebenfalls an andere Religionsgemeinschaften, eine Kirche sei aber auch ein Wohnhaus geworden, heißt es auf Anfrage.

Die Evangelische Kirche Mitteldeutschland (EKM) strebt Verkauf nur als letztes Mittel an. Sie suche nach Fördervereinen, um Leben in ungenutzte Kirchen zu bringen, teilt sie mit. Für die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz seien Verkäufe kaum ein Thema, sagt Pressereferentin Charlotte von Kielmansegg. Nur die Kirche Zinzendorf in Tempelhof sei verkauft worden – an eine Serbisch-Orthodoxe Gemeinde. 

Zu viel gebaut

Wichtig beim Blick auf die Zahlen sei der Hintergrund, dass nach dem Zweiten Weltkrieg in den Metropolregionen der damaligen Bundesrepublik viele Kirchen neu gebaut wurden, sagt Claussen – wahrscheinlich zu viele. „In Hamburg wurden nach 1945 genauso viele Kirchen gebaut wie vor 1945.“ Davon stünden schon einige wegen der immensen Sanierungs- und Erhaltungskosten in Frage. „Historische Gebäude müssen ständig neu in Schuss gebracht werden. Ist man fertig, kann man neu wieder anfangen“, sagt Claussen. Vor allem mit Kirchbauten aus den 60er- und 70er-Jahren gebe es Probleme. Für heutige Verhältnisse seien sie wegen des Stahlbetons schlecht gebaut. Im Osten Deutschlands sei die Lage anders. Dort bemühten sich oft Kirchbauvereine darum, die Kirchen zu erhalten. Dort seien nicht so viele Gotteshäuser nach dem Krieg neu- oder wieder aufgebaut worden. 

Anstatt einen Niedergang der Kirchennutzung zu betrauern, findet Claussen es wichtiger, sich die Vielfalt der Gemeinden anzuschauen und Ideen zu entwickeln, wie man die Kirchen außer für Gottesdienste noch anders nutzen kann. Er kenne viele Kulturkirchen, bei denen der eigentliche Zweck aber erhalten bleibe. Auch säkularen Menschen sei es oft wichtig ist, dass auch in anderen Kirchen weiterhin Gottesdienste gefeiert werden – obwohl sie selbst nicht gläubig seien, berichtet er von seinen Erfahrungen. Ideen wie die Selbstbedienungskirche in Würgensen findet Claussen deshalb gut. „Man kann da der Fantasie freien Lauf lassen.“

Er sagt aber auch: „Die Evangelische Kirche ist nicht in der Lage, alle Kirchgebäude zu erhalten.“ Im Hinblick auf sinkende Mitgliederzahlen und damit einhergehende Kirchensteuerverluste rechne man damit, dass sich in Zukunft bei noch mehr Kirchbauten die Frage stellt, ob und wie sie erhalten werden können. Auf die Frage, ob die von der Ampelkoalition geplanten Ablösungen der Staatsleistungen an Kirchen auch für den Unterhalt der Gebäude einen Verlust bedeuten werden, sagt Claussen: „Ich fände es sinnvoll, das Thema Staatsleistungen aus der Welt zu schaffen.“ In einigen Regionen könne das zu Problemen führen, aber bei vielen Kirchbauten gebe es auch unabhängig davon staatliche Förderungen.

Wie teuer der Unterhalt für eine Landeskirche sein kann, zeigt der Blick in die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers: Für die 1.393 Kirchen und 265 Kapellen fielen pro Jahr etwa 25 Millionen Euro an Kosten an, sagt Pressesprecher Benjamin Simon-Hinkelmann. Die letzte große Baumaßnahme, die grundlegende Renovierung des Klosters Loccum, habe 30 Millionen Euro gekostet. Entwidmungen habe es in der Hannoverschen Landeskirche nur 40 in den vergangenen 100 Jahren gegeben. Beispiele für eine völlig andere Nutzung ist ein Studentenwohnheim in der ehemaligen Gerhard-Uhlhorn-Kirche in Hannover. Wie auch in anderen Landeskirchen habe man im Fall eines Verkaufs großes Interesse daran, „dass die künftige Nutzung kirchlichen Interessen und Botschaften nicht widerspricht“.

Es gibt auch Beispiele in verschiedenen Landeskirchen, wo die Kirche Eigentümerin des Gebäudes bleibt, es aber anderen zur Nutzung überlässt, etwa Kindergärten.  

Kirchen um jeden Preis zu erhalten und im Zweifel für Zweckwidriges zu nutzen, findet Claussen nicht sinnvoll. „Ich bin nicht dafür, Kirchen abzureißen“, sagt er. Wenn aus den Gebäuden aber eine Kneipe, Disco oder ein Wohnhaus werde, sei es vielleicht besser, neu zu bauen. 

Dieser Text erschien zuerst in Ausgabe 4/2022 von PRO – das christliche Medienmagazin. Sie können die Ausgabe hier bestellen.

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