Was sich nach dem Fall Relotius ändern muss

Nach dem Fall des ehemaligen Spiegel-Reporters Claas Relotius, der viele seiner Berichte gefälscht hatte, sollte sich in der Kultur des Journalismus etwas ändern. Das sagte der Medienjournalist Stefan Niggemeier auf einer Tagung der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Er machte drei Vorschläge, was das konkret heißen könnte.
Von Jörn Schumacher
Der Medienjournalist Stefan Niggemeier auf der Fachtagung „Jetzt mal ehrlich! Was Journalismus aus den Täuschungsfällen lernen muss“ in der Akademie für Politische Bildung in Tutzing

Auf der Fachkonferenz „Jetzt mal ehrlich! Was Journalismus aus den Täuschungsfällen lernen muss” in der Akademie für Politische Bildung in Tutzing solle es nicht um eine Aufarbeitung des Falls Relotius gehen. Das stellte Michael Schröder, Dozent für Medien und Kommunikationspolitik und Referent für Öffentlichkeitsarbeit an der Akademie für Politische Bildung, zu Beginn der Tagung am Freitag klar. Dennoch war der Fall um den ehemaligen Spiegel-Journalisten Claas Relotius ständig mit im Fokus der Konferenz.

Der Medienjournalist Stefan Niggemeier betonte, es gebe einen Unterschied zwischen Fälschen und Verfälschen. Während zum Fälschen das Erfinden von Inhalten gehöre sowie das Manipulieren, bestehe Verfälschen im Verkürzen und Vereinfachen; im Journalisten-Jargon sei da oft von „rund machen“ die Rede. „Fälschen ist verboten“, stellte Niggemeier klar. Doch andererseits seien Journalisten geradezu gezwungen, in ihren Berichten zu verkürzen und auszuwählen. Es sei jedoch zweifelhaft, ob eine Geschichte „dramaturgisch verdichtet“ werden müsse, damit sie besser wird. Niggemeier war fünf Jahre verantwortlicher Medienredakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS). Im Jahr 2004 gründete er den Bildblog und ist sei 2016 verantwortlich für das medienkritische Onlinemagazin Übermedien.

Der Medienjournalist stellte drei Forderungen dazu auf, was sich nach dem Fall Relotius ändern müsse. „Erstens, Genauigkeit ist wichtiger als Schönheit. Ein Autor sollte manchmal lieber einen Schlenker machen, wenn die Inhalte dadurch exakter werden.“ Als zweiten Punkt nannte Niggemeier „Transparenz statt Perfektion – Lieber deutlich machen, wo man als Reporter selbst nicht dabei war oder etwas nicht gefilmt hat.“ Als drittes forderte der Medienexperte, dass es Journalisten zulassen sollten, wenn Dinge komplizierter, aber damit wahrheitsgemäßer werden. „Ich glaube, dass das Publikum es zu schätzen weiß.“ Als vorbildliche Beispiele nannte er die britische Wochenzeitung The Economist sowie den Podcast „Serial“. Hier könne es vorkommen, dass Geschichten am Ende auch keine klare „Lösung“ eines Problems hätten. „Der Podcast ‚Serial‘ lässt es zu, dass eine Reporterin am Ende vielleicht nichts findet. Auch das kann attraktiv und spannend sein für den Zuhörer“, so Niggemeier.

Mottto „‚Sagen, was ist‘ reicht eigentlich aus“

Stefan Willeke, Chefreporter und Mitglied der Chefredaktion bei der Wochenzeitung Die Zeit, betonte, es gebe drei Kategorien von falschen Artikeln. In den meisten Fällen gehe es um Fehler, die nun einmal passierten, wenn Menschen irgendwo arbeiten. Andererseits könne einer Reporter bewusst verfälschen. In der dritten Kategorie sieht Willeke eine Fälschung mit bewusster Betrugsabsicht – wie beim Fall Relotius. Diesbezüglich sei die Lage bei seiner Zeitung „nicht beunruhigend“. Auch für die Rubrik Zeit Wissen des Onlineangebotes der Zeitung hat Relotius zwischen 2010 und 2012 als freier Autor insgesamt sechs Beiträge verfasst.

Stefan Weigel, Nachrichtenchef und Mitglied der Aufklärungskommission des Spiegels, sagte, das Motto des Spiegel-Gründers Rudolf Augstein „Sagen, was ist“ reiche eigentlich aus. Der Spiegel habe eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die über Standards diskutiere. „Wir werden die demnächst veröffentlichen“, so Weigel. „Da geht es nicht nur um den Wahrheitsgehalt von Texten, sondern auch um Dinge wie Nebentätigkeiten von Journalisten, eine Form der Bestechung, oder Parteizugehörigkeit.“

Von: Jörn Schumacher

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