„Vordenker“, oder gar Prophet: Bassam Tibi

Der Politologe und Islamexperte Bassam Tibi ist am Donnerstag in Frankfurt am Main mit dem „Vordenker-Preis“ des Finanzberaters Plansecur ausgezeichnet worden. Gerührt sagte Tibi in seiner Dankesrede: „In Damaskus habe ich geglaubt, in Frankfurt habe ich begonnen zu denken.“
Von Jörn Schumacher
Der Politikwissenschaftler Bassam Tibi bekam am Donnerstag in der Goethe-Universität in Frankfurt am Main den „Vordenker-Preis“ des Finanzberaters Plansecur überreicht

Das Finanzunternehmen Plansecur, das sich bewusst an christlichen Werten orientiert, hat am Donnerstag in Frankfurt die Auszeichnung „Vordenker-Preis“ zum elften Mal verliehen. Der Preis würdigt Persönlichkeiten „für ihre gesellschaftlich relevanten, weitsichtigen und beispielhaften Leistungen“. Bisherige Preisträger sind unter anderem der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, der ehemalige Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Frank-Jürgen Weise, sowie die fünf Wirtschaftsweisen.

Der diesjährige Preisträger Bassam Tibi habe bereits 1991 „im Sinne eines offenen und integrationsstarken Europas die Vision eines modernen Euro-Islams entworfen, der eine säkularisierte Form des Islams darstellt, der die europäischen Werte respektiert“, heißt es in der Begründung der Initiatoren.

Der in Damaskus geborene Tibi studierte an der Goethe-Universität Frankfurt Sozialwissenschaft, Philosophie und Geschichte. Seither hätten er und seine Familie eine enge Verbindung zu der Stadt, die geradezu von Liebe geprägt sei, sagte Tibi bei der Preisverleihung. Angesichts der philosophischen Strömung der Frankfurter Schule, bei deren wichtigsten Vertretern Max Horkheimer und Theodor Adorno er studiert habe, sagte Tibi: „Ich glaube an Allah, aber der jüdische Adorno, der zum Christentum konvertierte, ist mein Prophet.“ Im Zuge seiner Biographie, die ihn beruflich in viele Länder der Erde gebracht habe, versuche er „Orient und Okzident miteinander zu verbinden“, so Tibi. „In Damaskus habe ich geglaubt, in Frankfurt habe ich begonnen zu denken.“

In der Podiumsdiskussion, die fachkundig und pointiert geleitet wurde vom Theologen und ARD-Moderatoren Andreas Malessa, betonte Tibi, der den Begriff „Euro-Islam“ in die Wissenschaft eingeführt und geprägt hat, dass es nicht den einen Islam gebe, sondern die Vielfalt auch vom Koran gefordert werde. „Der Islam soll zu Europa gehören, aber das ist nur möglich durch eine Europäisierung des Islams.“ Schon Mohammed habe gelehrt: Die Vielfalt sei ein großer Vorzug des Islams. Dem entgegen lehrten viele Vertreter des politischen Islams, es gebe nur eine richtige Glaubensrichtung. „Es geht um die Beziehung zwischen mir und Allah. Spiritualität ist eine individuelle Angelegenheit. Ein Mufti kann nicht für mich bestimmen, was ich glaube.“

„Europäische Leitkultur“

Der Historiker Michael Wolffsohn lobte in seiner Laudatio, der geehrte „Vordenker“ Tibi sehe in seinem „vorgedachten“ Euro-Islam eine Gleichberechtigung für alle Religionen. Die habe es so auch nicht bei den Mauren in Al Andalus in Südspanien zwischen den Jahren 711 und 1492 gegeben, sagte Wolffsohn. Tibis Euro-Islam hingegen werde getrieben vom Gedanken einer „europäischen Leitkuktur“: Dabei gehe es um „westliche Werte“, die bereits in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung verankert seien. Sie enthalte etwa die fundamentale Regel: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Tibi habe schon sehr früh vor nicht-integrationswilligen Muslimen gewarnt, die nach Europa kommen, lobte Wolffsohn. „Das zu sagen, war nicht Vordenken, sondern Mut. Leider lag er damit nicht falsch.“ Der Preisträger lehne den Islam nicht ab, sondern er wolle ihn reformieren. „Er will den Islam europäisieren“, so Wolffsohn. „Tibi ist ein mustergültig akkulturierter und doch nicht assimilierter deutscher Staatsbürger ausländischer Herkunft.“

Johannes Sczepan, Geschäftsführer von Plansecur, sagte, Tibi habe zeit seines Lebens drängende Fragen angesprochen, die uns heute besonders beschäftigten: Wie kann ein friedliches Zusammenleben beim Aufeinandertreffen von Kulturen und Religionen aussehen? Und welche Spielregeln sollen gelten? „An dieser Stelle brauchen wir als Gesellschaft Vordenker, die die Lage scharfsinnig analysieren, den Dialog in Gang setzen, neue Wege denken und diese auch beschreiten. Diese Schritte hat Tibi getan“, sagte Sczepan.

Die Soziologin und Frauenrechtlerin Necla Kelek dankte dem Preisträger ausdrücklich, da er klargestellt habe: „Wir können trennen zwischen einem spirituellen Islam und einem politischen Islam.“ Der politische Islam spreche ihr als Frau „das Recht auf Erkenntnis und auf eigene Wünsche und Bedürfnisse“ ab, so Kelek. Sie warnte: „In den Schulen wird der Fastenmonat gehalten, die Mädchen tragen Kopftuch, der Schwimmunterricht ist getrennt, ebenso verschwindet Schweinefleisch aus den Schulen.“ Kelek forderte: „Der Islam muss raus aus der Schule!“

Integration von Parallelgesellschaften schwierig

Michael Blume, Referatsleiter für nichtchristliche Religionen im Staatsministerium Baden-Württemberg, wies auf positive Entwicklungen in der Integration von Muslimen in Deutschland hin. Seit 2008 sei der Anteil der jüngeren Muslime, die von sich sagen, religiös zu sein, zwar gestiegen. Doch gleichzeitig sei der Anteil derer, die wirklich die Religion ausüben, eher geschrumpft. In Deutschland, aber selbst in einem bekanntermaßen muslimisch geprägten Land wie Indonesien gehe die muslimische Religiosität zurück. „Viele dort wenden sich sogar dem Christentum zu“, so Blume. Gleichzeitig bemängelte er, dass es in der islamischen Welt nie eine Bewegung wie die Aufklärung gegeben habe, „keinen Immanuel Kant und keinen Martin Luther“. Blume resümierte jedoch: „Der größte Teil der Muslime in unserem Land lebt die Vielfalt längst wie selbstverständlich. Diejenigen, die einen fundamentalistischen Islam vertreten, sind zwar laut, etwa bei YouTube, aber es gibt in der Realität große Fortschritte. Wir sollten uns nicht in ein Klima der Angst hineintreiben lassen!“

Der Theologe und Direktor des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit, Thomas Schirrmacher, sagte in seinem Impulsvortrag: „Es ist eine Schande, dass Bassam Tibi in unseren Nachbarländern geehrt, und bei uns geschnitten wird.“ Damit grenze man in Deutschland oftmals „einen seiner ganz großen Vordenker aus“, so Schirrmacher. Der gebürtige Syrer habe sich für kein anderes Land so eingesetzt wie für Deutschland. Auch wenn sich der Ausländeranteil seit der Wiedervereinigung auf 13 Prozent verdoppelt habe, gebe es in Deutschland kein grundsätzliches Problem mit Migration und Integration, sagte der Theologe. „Die meisten sind geräuschlos integriert.“

Ein Problem bestehe dann, wenn zugewanderte Muslime eine Ideologie des politischen Islams mit sich bringen, den sie „durch Zeitungen, Fernsehkanäle oder über das Internet“ beziehen. Dann scheitere auch die Integration in Deutschland. Außerdem kritisierte Schirrmacher, dass jeder sofort in den Verdacht der Islamophobie gerate, der dieses Problem offen anspreche. Über den geehrten Preisträger Tibi sagte der Theologe: „Niemand ist stärker Vordenker gewesen, hat das Problem früher erkannt, als Bassam Tibi.“ Der Islamwissenschaftler habe bereits um die Jahrtausendwende ein Verhalten wie das des türkischen Präsidenten Erdogan vorausgesagt. Auch habe er damals bereits gewarnt: Sollte Europa zu einem Mulitikulti-Land ohne eigene Identität werden, drohe es zu einem Schauplatz für ethnische Konflikte zwischen Fundamentalisten zu werden. „Heute haben wir Ungarn, Polen, in Deutschland die AfD“, so Schirrmacher. „Leider Gottes ist alles wahr geworden, was Tibi prophezeit hat. Da möchte man denken: Er ist eigentlich kein Vordenker, sondern Prophet!“

Von: Jörn Schumacher

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