Filmkritik

Vater, Sohn und Sigmund Freud

Sigmund Freud ist weltbekannt als Begründer der Psychoanalyse. Doch der jüdisch stämmige Arzt befasste sich im hohen Alter auch mit dem Judentum und mit dem Christentum. Ein Experimentalfilm eines finnischen Künstlerduos greift dieses Thema auf.
Von Jörn Schumacher
Sigmund Freud

Religion war kein vorherrschendes Thema in der Arbeit des österreichischen Arztes und Begründers der Psychoanalyse, Sigmund Freud. Er bezeichnete sich als einen Feind der Religion. Doch besonders in den letzten Jahren vor seinem Tod befasste sich der jüdischstämmige Arzt intensiver mit dem Judentum und dem Christentum. Vor der Verfolgung durch die Nazis floh Freud 1938 nach London. Ein Jahr später erschien sein Buch „Der Mann Moses und die monotheistische Religion“. Seine eigene jüdische Herkunft ließ ihn – trotz seines glühenden Atheismus – über die Rolle Moses in der Menschheitsgeschichte nachdenken.

Freud stellt in seinem Buch steile Thesen auf, die viele Theologen, aber sicher die meisten Rabbiner ablehnen dürften. Und ihn interessieren – wenig überraschend – die Themen Vatermord im Alten Testament sowie der beim altägyptischen Adel praktizierte Inzest.

Die finnischen Performance-Künstler Jenni und Lauri Luhta haben dem Buch einen Film gewidmet. In dem 94-minütigen Kammerspiel mit dem Titel „Moses“, das vor kurzem beim Internationalen Film-Festival Rotterdam (IFFR) Premiere feierte, übernimmt das Künstlerpaar die Rollen selbst: Jenni spielt Freud, ihr Mann Lauri verkörpert Moses.

Freud spekuliert in seinem Buch eher frei über Moses und die Israeliten. Er sieht Moses, ausgehend von seinem ägyptischen Namen (der „Der aus dem Wasser Gezogene“ bedeutet), vor allem als einen Ägypter. Auf der Halbinsel Sinai habe sich das Volk Israel mit den Midianitern vermischt, es sei zu einer Art „Religionskrieg“ gekommen, in dem Moses ermordet wurde. So habe sich im Lauf von Generationen „das schlechte Gewissen über den Vatermord“ zu einer Art Trauma und einer Mose-Verehrung gewandelt. Paulus habe dann dieses Schuldbewusstsein aufgegriffen und das Judentum mit einer neuen, der christlichen Religion, abgelöst. Es musste laut Freud folgerichtig dann auch „ein Sohn“ sein (Jesus), der die Schuld auf sich nahm, denn es sei ja ein Mord am Vater gewesen, so Freud. Christus sei somit eine Art Nachfolger Moses geworden. „Das Judentum ist eine Vater-Religion, das Christentum eine Sohn-Religion“, so Freud. Im Antisemitismus wiederum sieht er ein Aufbegehren gegen den Triebverzicht in dieser monotheistischen Religion. „Ihr Judenhass ist im Grunde Christenhass.“

Als Frau einen Mann spielen

Viel Action gibt es in diesem Kunstfilm nicht. Deshalb fühlen sich die 94 Minuten mitunter länger an als in einem Spielfilm. Jenny Luhta als Freud sitzt größtenteils vor einem Vorhang auf einem Stuhl; ihr grauer Dreiteiler, eine Krawatte und eine Taschenuhr erzeugen sofort ein Bild von Freud, das durch berühmte Fotos von ihm vorherrscht. Es reichen als Maskierung eigentlich drei Utensilien: ein schwarzer Hut, ein weißer Bart und eine runde schwarze Brille. Die Herausforderung, als Frau einen Mann wie Freud zu spielen, gelingt Luhta eigentlich ganz gut.

Die mosaische Religion sei im Grunde nichts anderes als die Religion des ägyptischen Gottes Aton gewesen, referiert Luhta als Freud. Die Monologe entnahm sie allesamt dem Mose-Buch Freuds. Sogar der jüdische Gottesname Adonai ist laut Freud verwandt mit dem Namen Aton und mit dem syro-phönizischen Gott Adonis.

Als er im hohen Alter von 78 seine Heimat und nach England floh, hätten ihn viele Briefe erreicht, berichtet der Arzt. In manchen hätten sich Menschen um sein Seelenheil gesorgt, manche hätten ihn vom Christentum überzeugen wollen, ihm die Zukunft des Landes Israels gemäß biblischer Prophezeiungen erläutert.

Die erste filmische Arbeit des in Helsinki lebenden Paares war 2021 der experimentelle schwedischsprachige Film „Syndafloden“ (Die Sintflut), es folgte ein Werk mit dem Titel „Kevätteologia“ (Die Theologie des Frühlings). Jenny Luhta schloss 2012 ihr Studium an der Finnischen Akademie der Schönen Künste ab, ihr Mann Lauri Luhta war ursprünglich Klangkünstler und organisiert und kuratiert seitdem Veranstaltungen und Festivals der Performance- und Medienkunst. Als Kunstfilm ist der Film „Moses“ durchaus interessant, wenn auch nur für hartgesottene Performance-Kunst-Liebhaber. So seltsam die religionsgeschichtlichen Theorien des Nicht-Religionswissenschaftlers Freud auch gewesen sein mögen, der Tatsache, dass sich der bekannte Psychoanalytiker mit den Wurzeln des Judentums und damit auch mit seinen eigenen Wurzeln befasste, verhilft dieser Film zu einer größeren Aufmerksamkeit.

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen