Meinung

Unvollkommenheit ist das neue Schönheitsideal

Der „Barbie“-Film ist angelaufen. Regisseurin Greta Gerwig erweckt darin die Barbiepuppe ins Leben. Wer nur die Glitzerparty seiner Kindheit erwartet, wird überrascht sein. Denn es geht um mehr als Traum-Villen, pinke Autos und stilvolle Kleidung.
Von PRO
Margot Robbie, „Barbie“, Film

Ob traumhaft schöne Barbie-Villen, Rutschen und Autos in der Farbe Pink oder statische Strände, die stets schön aussehen: Barbieland ist die perfekte Parallelwelt. In dieser Welt sind Frauen selbstbestimmt, arbeiten in verschiedenen Positionen und sind erfolgreich. Zusammen mit den Kens leben sie friedlich miteinander.

Für Barbie beginnt jeder Tag auf Zehenspitzen – bereit, ihre stilvollen High Heels in Szene zu setzen. Die Klamotten stehen zum Anziehen bereit, das Zähneputzen und Frühstücken verläuft, mit der sich täglich wiederholenden Bewegung, innerhalb von Sekunden. Barbie schwebt von ihrer Traum-Villa in ihr pinkes Cabrio und wird von allen anderen Barbies und Kens herzlich begrüßt.

Für Barbie ist es der perfekte Tag: „Das ist der beste Tag ever. Genau wie gestern, genau wie morgen und an jedem anderen Tag – und das für immer.“ Doch dann scheint die perfekte Welt Barbies zu zerbrechen: „Denkt ihr manchmal ans Sterben?“

Barbie beginnt ein Bewusstsein für Gedanken abseits Perfektion zu entwickeln. Dadurch wird sie von Barbieland verbannt und zur Wahl gestellt: High Heels oder Birkenstock? Das ist die Ausgangssituation des Spielfilms „Barbie“ mit Margot Robbie und Ryan Gosling als Barbie und Ken. Seit dieser Woche läuft er in den Kinos.

„Wir haben es doch geschafft, dass alle Frauen in der Welt glücklich sein können“

Mit der Barbiepuppe ging ein Kindheitstraum für viele Mädchen in Erfüllung. Barbie ist eine Puppe, die einst mit ihren wandelbaren Outfits und stetigem Lächeln Mädchen auf der ganzen Welt beeindruckte. Doch Barbie ist längst nicht mehr nur ein Modestatement. Es gibt sie auch als Ärztin, Astronautin, Präsidentin und anderen Berufen.

Obwohl es die Barbiepuppe mittlerweile in dutzenden verschiedenen Modellen gibt, hat die klassische Barbie aus den Neunzigern Millionen von Mädchen ein unerreichbares Schönheitsideal und problematisches Rollenbild vermittelt.

Im Barbie-Film begibt sich Barbie zusammen mit Ken in ein Abenteuer. Barbie sucht das Mädchen, das nicht mehr mit ihr spielt, denn sie sei der Grund, weshalb Barbie nicht mehr perfekt ist. In der realen Welt wird Barbie bewusst, dass diese alles andere als perfekt ist.

Ryan Gosling als Ken im „Barbie“-Film

Das Mädchen, das einst mit ihr spielte, stellt Barbie vor unangenehme Tatsachen: „Seit man dich erschaffen hat, geht es Mädchen schlecht.“ Anschließend beschreibt das Mädchen konkret, welchen Einfluss die Barbiepuppe auf Mädchen hat:

Ihr Selbstwertgefühl sei zerstört, Barbies Konsumverhalten passe sich nicht dem aktuellen Klimaproblem an und das Streben nach Idealen sei für Mädchen in der heutigen Gesellschaft gefährlich. Obwohl im Film ernste und wichtige Themen behandelt werden, schafft es die Regisseurin, diese mit Humor und Satire darzustellen.

Barbie wählt Birkenstock

Greta Gerwig möchte Barbie im Film neu interpretieren. In der realen Welt wird Barbie plötzlich bewusst: „Ich bin nicht mehr hübsch. Ich bin nicht klug genug. Ich bin nicht gut genug.“ Barbie spürt den Druck nach Perfektionismus, den Schönheitsideale aus der Gesellschaft kreieren.

Auf dem Boden liegend, mit trauriger Stimme und Tränen im Gesicht, wird Barbie klar, dass sie dem Druck von außen, immer perfekt sein zu müssen, nicht standhalten kann. Ein Verweis auf aktuelle Schönheitsideale, die durch zum Beispiel soziale Plattformen oder Trends aus der Modewelt bestimmte Erscheinungsbilder als schön definieren. Dass das Streben nach unerreichbaren Idealen und Perfektionismus negative Folgen wie psychische Störungen haben kann, beweisen vielerlei Studien.

Der Barbie-Film erreicht seinen Höhepunkt mit der Sinnkrise von Barbie. Die sogenannte „Depressionen-Barbie“ ist nicht mehr schön, fröhlich, ohne Makel und perfekt. Mittlerweile droht Barbieland die Zerstörung. Denn Ken schafft eine Welt, die nur von Männern regiert wird.

Zur Rettung kommen das Mädchen, das mit der klassischen Barbie spielte, und ihre Mutter. Sie erklären den Barbies, dass das Leben nicht perfekt sei. Die Welt ändere sich stetig und dennoch sei der Mensch mit seinen komplizierten Gefühlen und Makeln genug. Zusätzlich erinnern sie die Barbies daran, wer sie als Frauen sind.

Zusammen mit den Barbies erobern sie Barbieland und die Frauen können sein, was sie wollen. Doch diesmal mit einem gewaltigen Unterschied: Barbie möchte nicht mehr die klassische Barbie sein. Sie legt ihr stereotypisches Denken ab und beginnt zu verstehen, dass Perfektion nicht möglich ist.

Ihre Gedanken teilt sie mit Ken, der durch die Eroberung von Barbieland selbst eine Identitätskrise erlebt: „Vielleicht sind all die Dinge, von denen du denkst, sie machen dich aus, nicht du.“

Foto: Courtesy Warner Bros. Pictures
Barbieland – schöne, heile Welt?

Ideale, Wettbewerb- und Leistungsdruck, definierte Rollen – die Erwartungen der Gesellschaft kann der Mensch nicht erfüllen. Die Identität findet ein Mensch nicht im Außen, sondern viel mehr im Inneren. So auch Barbie, die Ken versucht zu erklären, dass ihr Wert nicht von ihrem Aussehen oder der Existenz von Ken abhängig ist. Es sei Zeit, dass auch Ken herausfinde, wer er unabhängig von Barbie sei.

Am Ende des Films verlässt Barbie ihre perfekte Parallelwelt. Sie entscheidet sich erneut für den Birkenstock und lebt nun in der realen Welt.

Eine Hommage an alle Frauen

Der Film spricht wichtige Themen an. Er versucht, Frauen zu ehren, die gesellschaftlichen Anforderungen nicht gerecht werden können. Die Barbiepuppe hat in den Köpfen vieler Mädchen die Vorstellungen davon geprägt, welche Rolle Frauen in der Gesellschaft haben. Der Regisseurin Greta Gerwig, die mit ihrem Mann Noah Baumbach auch das Drehbuch schrieb, ist es gelungen, dies darzustellen: unerreichbare Schönheitsideale, problematische Rollenbilder und eine von größtenteils Männer regierten Gesellschaft.

Allerdings setzt sich Barbie im Film mit diesen Themen nur oberflächlich auseinander. Barbies Aufenthalt in der realen Welt ist kurz. Sie erhält wenig Einblick darin, inwiefern unerreichbare Schönheitsideale, problematische Rollenbilder und patriarchische Strukturen Frauen beeinflussen. Zurück im Barbieland sind plötzlich die Kens an der Macht. Die anderen Barbies wissen nicht mehr, wer sie sind: Es gibt keine Barbies mehr, die in höheren Positionen arbeiten. Eher solche, die alles tun, was die Kens ihnen befehlen.

Barbie und ihr Mutter-Tochter-Team aus der realen Welt verändern die Denkweise der Frauen, indem sie ihnen mit ein bis zwei Sätzen erklären, wer sie als Frauen wirklich sind. Wenn es so einfach wäre! Das Umdenken von festen Glaubenssätzen, wie zum Beispiel „Ich bin nicht gut genug“ ist nicht mit ein paar Sätzen zu bewältigen. Es gehört viel mehr dazu.

Dennoch vermittelt der Film eine wichtige und positive Botschaft, nämlich dass Frauen mit Makeln, Cellulite, individuellen Gesichtszügen und vielen anderen Merkmalen genug und wunderschön sind. Die Identität einer Frau liegt nicht im Außen – in der Anerkennung und Bestätigung von Männern, perfekten Schönheitsvorstellungen und weiteren Anforderungen –, sondern im Inneren der Frau.

Diese Botschaft gilt für alle Menschen. Zugleich ist der Film ein riesiger Kino-Spaß sowohl für alle Barbie-Fans als auch alle anderen, die die pinke Barbie-Welt auf eine neue Art und Weise kennenlernen wollen.

Von: Petra Görner

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