„Unverzeihlich“: Merkel-Äußerung verletzte Rechte der AfD

„Unverzeihlich“ nannte es Angela Merkel 2020, als ihre CDU in Thüringen gemeinsam mit FDP und AfD den Liberalen Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten wählte. Damit verletzte die damalige Bundeskanzlerin das Neutralitätsgebot, urteilte das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch.
Von Nicolai Franz
Angela Merkel

Die AfD hat im Streit um eine Äußerung von Angela Merkel (CDU) vor dem Bundesverfassungsgericht Recht bekommen. Dabei ging es um eine Aussage vom 6. Februar 2020 der damaligen Bundeskanzlerin, die die Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum Thüringer Ministerpräsidenten als „unverzeihlich“ kritisiert hatte. Für ihn hatten Abgeordnete von CDU und FDP offenkundig zusammen mit der AFD gestimmt.

Dieser Vorgang hatte für viel Aufsehen gesorgt, da die CDU eine Zusammenarbeit mit der AfD (und der Linkspartei) per Parteitagsbeschluss 2018 ausgeschlossen hatte: 

„Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab.“

Die Bundeskanzlerin war zum Zeitpunkt der Thüringer Ministerpräsidentenwahl gerade auf Staatsbesuch in Südafrika. Auf einer Pressekonferenz äußerte sie sich kritisch über das Abstimmungsverhalten ihrer Parteifreunde:

„Meine Damen und Herren, ich hatte dem Präsidenten schon gesagt, dass ich aus innenpolitischen Gründen eine Vorbemerkung machen möchte, und zwar bezogen auf den gestrigen Tag, an dem ein Ministerpräsident in Thüringen gewählt wurde. Die Wahl dieses Ministerpräsidenten war ein einzigartiger Vorgang, der mit einer Grundüberzeugung für die CDU und auch für mich gebrochen hat, dass nämlich keine Mehrheiten mit Hilfe der AfD gewonnen werden sollen. Da dies in der Konstellation, in der im dritten Wahlgang gewählt wurde, absehbar war, muss man sagen, dass dieser Vorgang unverzeihlich ist und deshalb das Ergebnis rückgängig gemacht werden muss. Zumindest gilt für die CDU, dass sich die CDU nicht an einer Regierung unter dem gewählten Ministerpräsidenten beteiligen darf. Es war ein schlechter Tag für die Demokratie.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel am 6. Februar 2020 in Südafrika

Insbesondere die Forderung, dass das Ergebnis „rückgängig“ gemacht werden müsse, sorgte bei der AfD für Unmut. Sie sah sich in ihrer grundgesetzlich geforderten Chancengleichheit beschnitten.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgericht gab der AfD nun Recht. Regierungsmitglieder seien zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet. Zwar dürften sie sich durchaus zu Parteithemen äußern, erklärte die Vorsitzende des Zweiten Senats, Doris König, am Mittwoch in Karlsruhe. In diesem Fall müssten sie aber deutlich machen, dass sie sich nicht „in amtlicher Funktion“ äußern. Dies habe Angela Merkel auf der Pressekonferenz allerdings nicht getan. Ihre Äußerungen waren anschließend zudem auf der Website der Bundeskanzlerin und der Bundeskanzlerin veröffentlicht worden.

Die Bundesregierung hatte Argumente vorgebracht, warum die Kanzlerin aus ihrer Sicht die parteipolitische Neutralität nicht verletzt habe. Sie habe sowohl die Stabilität der Regierung als auch das außenpolitische Ansehen der Bundesrepublik schützen müssen. Die Bundesregierung habe diese Gründe allerdings nicht ausreichend dargelegt, urteilten die Karlsruher Richter: „Dass die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen das Ansehen der oder das Vertrauen in die Bundesrepublik Deutschland in relevantem, die außenpolitische Handlungsfähigkeit einschränkendem Umfang zu erschüttern geeignet war, ist nicht ersichtlich.“

Die Entscheidung war mit fünf zu drei Stimmen gefällt worden. In einem Sondervotum widersprach Richterin Astrid Wallrabenstein der Senatsmehrheit. Das Neutralitätsgebot von Regierungsmitgliedern solle sich auf die Nutzung wirtschaftlicher Ressourcen beschränken: „Dies und nicht der Inhalt der – selbstdarstellenden – Öffentlichkeitsarbeit kann den Parteienwettbewerb verzerren.“

Eine Sprecherin Angela Merkels teilte auf dpa-Anfrage am Mittwoch mit, dass sie die Entscheidung des Gerichts „selbstverständlich“ respektiere.

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8 Antworten

  1. Die Entscheidung kommt knapp zweieinhalb Jahre nach Merkels Verfassungsbruch zu spät. Die Ex-Kanzlerin ist längst nicht mehr im Amt. Der Verfassungsbruch bleibt für sie folgenlos. Die formelhafte Erklärung, dass Merkel die Entscheidung des Gerichts „selbstverständlich“ respektiere, lässt vor allem erkennen, dass ihr der Verstoß gegen das Grundgesetz und ihre Amtspflichten egal ist, denn ein Bedauern hat sie damit gerade nicht ausgedrückt.

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  2. Bisher haben sich die Aktivitäten der AFD überwiegend darauf konzentriert, Verwirrung und Destabilisierung im Land zu schaffen. Ich finde an der Äußerung der damaligen Kanzlerin nichts Verwerfliches.

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    1. Wird ein Verfassungsbruch dadurch weniger schlimm, dass er sich gegen eine unsympathische Partei richtet? Die Kanzlerin hätte sich an die Regeln halten müssen. Das ist der Punkt.

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      1. Die höchstrichterliche Entscheidung hat hier zunächst die Funktion einer Rechtsbelehrung und diese hat Frau Dr. Merkel – wie von einer guten Demokratin zu erwarten – selbstverständlich respektiert. Ihre überspannte Rhetorik versucht zu evozieren, dass Frau Dr. Merkel durch ihr Verhalten die Verfassung geradezu infrage gestellt und nahezu geschleift hätte, das ist natürlich absichtsvoller Nonsense. Sie hatte mit ihrer Aussage inhaltlich vollkommen recht, hat es aber versäumt diese Äußerung von ihrer Funktion als Kanzlerin zu trennen. Dass diese Pflicht zu Trennung übrigens verfassungsrechtlich in diesem Fall notwendig gewesen sei, wird durch das Minderheitenvotum der Richterin Wallrabenstein infrage gestellt, die Mehrheit hat anders geurteilt, Frau Dr. Merkel respektiert das selbstverständlich und nimmt die Rechtsbelehrung an!
        Ihre hochgespannte Rede vom Verassungsbruch und Ihre beschönigende Rede von der unsympathischen Partei zeigt, aus welcher Richtung Sie schießen!
        Diese Partei hat übrigens demokratische Spielregeln schäbig missbraucht. Denn sie ist mit einem eigenen Kandidaten in den letzten Wahlgang gegangen, wohlwissend, dass ihre Abgeordneten diesen Kandidaten NICHT wählen werden, sondern konspirativ verabredet einen anderen Kandidaten, nur um die demokratischen Parteien vorzuführen. Das ist das Demokratieverständnis der Demokratieverächter von der AfD, einer Partei, die im Mark demokratiefeindlich und faschistisch ist. Dagegen hat Frau Dr. Merkel inhaltlich zurecht Position bezogen.

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        1. 1. Zum Thema selbst: Die Kanzlerin ist, wie jede Staatsgewalt, an das Grundgesetz gebunden. Die Rechtsprechung des BVerfG zu dieser Frage war gefestigt, diese Entscheidung ist inhaltlich deshalb nicht überraschend. Die Kanzlerin wusste, was sie tat, und hatte eine „Belehrung“, wie Sie schreiben, nicht nötig. Dass sie es trotzdem getan hat, kann man nur als kühle politische Machtkalkulation sehen. Das macht ihren Verstoß ja gerade schlimm, weil er zeigt, dass hier keine gute Demokratin unterwegs war. Wenn das eine Richterin trotzdem als zulässig sieht, ist das vielleicht eine wissenschaftlich interessante Fußnote, mehr nicht.
          2. Zu Ihrem Ton: Sie sprechen von „überspannter Rhetorik, „schießen“ und von „absichtsvollem Nonsense“ – damit versuchen Sie, meine Kritik polemisch zu delegitimieren. Schade, dass Sie nicht sachlich bleiben können, sondern persönlich werden.

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          1. Die Abstimmung erfolgte 5:3 und eine Richterin nahm das Minderheitenvotum in Anspruch. Das Presseecho auf dieses Urteil können Sie ebenfalls ganz leicht recherchieren und zwar durch alle Lager hindurch, vom PRO-Kommentar bis zur SZ… Ihre Unterstellung gegenüber Frau Dr. Merkel ist ebenso spekulativ wie bösartig. Sie machen hier Politik einer ganz bestimmten Richtung und das mit absichtvollem Nonsense und überspannter Rhetorik… das ist eine sachliche Feststellung (nebst notwendiger Einordnung)…
            MfG Carvalho
            Und in der Sache: Beanstandet wurde lediglich, dass Frau Dr. Merkel nicht in ihrer Funktion als Bundeskanzlerin hätte sprechen und anschließend veröffentlichen dürfen. Was sie inhaltlich gesagt hat, war nicht Gegenstand…. Sie betreiben hier die trübe Sache der AfD!

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          2. PS Wer die Demokratie durch schäbige Abstimmungsspiele bei der Wahl des MP missbraucht und verächtlich gemacht hat, war die AfD. Darüber können Ihre rhetorischen Ablenkungsspielchen nicht hinwegtäuschen…

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      2. PS Dass die AfD – etwa in Person von Tino Chrupalla oder Stefan Möller u.a.m. – das Urteil in einem ganz anderen Sinne deutet, nämlich dahingegend, dass damit der Inhalt der Äußerungen von Frau Dr. Merkel verfassungsrechtlich zu monieren sei, ist aus propagansistischer Sicht vielleicht verständlich, aber es zeigt neuerlich, dass es dieser Partei um die Aushöhlung der Demokratie geht und dass dabei alle noch so schäbigen Tricks aufgerufen werden!

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