„Unterscheidung zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben darf es nicht geben“

Führen vorgeburtliche Bluttests zu mehr Abtreibungen? Eine fraktionsübergreifende Gruppe im Bundestag will unter anderem das in Erfahrung bringen – und macht Druck auf das Gesundheitsministerium. Hubert Hüppe (CDU) erklärt, worum es ihm geht.
Von Nicolai Franz
Porträtfoto von Hubert Hüppe (CDU)

PRO: Mit einem nicht-invasiven Pränataltest (NIPT) können Ärzte einen Embryo auf Trisomien untersuchen, ohne dass er bei dem Eingriff geschädigt wird, weil nur das Blut der Schwangeren untersucht wird. Das ist doch eigentlich eine gute Sache, oder? 

Hubert Hüppe: Naja, wenn man für Selektion ist, ja. Denn in vielen Fällen entscheidet dieser Test über Leben und Tod eines ungeborenen Kindes. Das ist einer der Punkte, die wir mit unserem Antrag im Bundestag aufgreifen. Denn sehr oft ist die Konsequenz dieses Testes, wenn Trisomie 13, 18 oder 21 vorliegt, eine Abtreibung. Nach Paragraf 15 Gendiagnostikgesetz darf man nur dann einen vorgeburtlichen Gentest machen, wenn dieser einem medizinischen Zweck dient. Dieser NIPT hat aber keinerlei therapeutischen Nutzen – es sei denn, man hält die Abtreibung für einen therapeutischen Zweck. Eines unserer größten Bedenken ist, dass es vor dem Test keine adäquate Beratung gibt, wie es vorgeschrieben ist. Natürlich kann die Schwangere auch darauf verzichten. Aber mittlerweile wird mehr als jede dritte Schwangerschaft getestet– und nicht mehr nur Risikoschwangerschaften, wie es früher einmal hieß. Dass auch junge Frauen getestet werden, spricht nicht dafür, dass es wirklich eine qualitative und ergebnisoffene Beratung gegeben hat.

Bisher müssen Arzt oder Ärztin mit der Schwangeren zusammen zur Überzeugung gelangen, dass dieser Test notwendig ist.

Ich glaube, dass der Arzt gegenüber der Schwangeren in einer stärkeren Position ist. Er könnte sagen: Wir machen ohnehin eine Blutuntersuchung, da können wir den Test gleich mitmachen, Sie müssen hier nur unterschreiben, dass Sie auf eine Beratung verzichten. Es gab vor fünf Jahren eine Grundsatzdebatte im Deutschen Bundestag dazu. Für eine solche Beratung, wie ich sie gerade skizziert habe, war niemand. Die Bluttests sollten vielmehr nur bei Risikoschwangerschaften gemacht werden und auf keinen Fall zu einer Rasterfahndung nach Kindern mit Behinderungen ausarten. Und natürlich sollte es sowohl vorher als auch nacheinem positiven Ergebnis eine gute Beratung geben. Dass das erreicht wurde, halte ich schon angesichts der Zahlen für völlig unmöglich. Laut Gendiagnostikgesetz soll der Arzt eine Zusatzausbildung mit humangenetischem Hintergrund haben, damit er kompetent beraten kann. Das wollen wir untersuchen. Es gibt ganz unterschiedliche Abgeordnete, die unseren Antrag unterschrieben haben. Manche davon finden NIPT nicht schlecht, wollen aber auch nicht, dass alles ohne ordentliche Beratung durchgeht. Und es gibt Abgeordnete wie mich, die finden, dass NIPT gar nicht angewandt, geschweige denn von den Krankenkassen finanziert werden dürfte.

Der Test ist 300.000 Mal in Anspruch genommen worden. Wieviele Schwangerschaften wurden nach einem solchen positiven Test abgebrochen?

Es gibt weder eine Statistik in Deutschland, wie viele Abtreibungen es aufgrund eines positiven Tests gab, noch wie viele Kinder mit Downsyndrom in Deutschland geboren werden. In Dänemark hat der Test dazu geführt, dass fast gar keine Kinder mehr mit Downsyndrom geboren werden. Das ist schon eine schwierige Entwicklung. Carina Kühne, eine Aktivistin mit Downsyndrom, hat bei der Vorstellung unseres Antrags öffentlich gesagt: Sie können sich gar nicht vorstellen, was es für Menschen wie mich bedeutet, durch diese Diskussion zu erfahren, dass man eigentlich gar nicht gewollt ist. Das sagte sie unter Tränen. Und alle, die zugehört haben, waren auch ziemlich betroffen, weil das spontan und glaubwürdig war.

Die zweite Gefahr ist die hohe Anzahl von falsch-positiven Tests. Der Test schlägt also an, obwohl keine Trisomie vorliegt, gerade bei Trisomie 13 oder 18, wo es oft eine geringe Lebenserwartung gibt. Es kann dann sein, dass Eltern ein Kind abtreiben, weil sie fürchten, dass das Kind ohnehin kurz nach der Geburt außerhalb des Mutterleibs sterben würde. Deswegen wollen wir ein Monitoring: Gibt es überhaupt diese Beratung, und zwar vor und nach der Durchführung des Tests? Müssen das wirklich Ärzte sein oder zum Beispiel auch Verbände, die zeigen können, wie das Leben mit Downsyndrom wirklich ist: Ist das wirklich so furchtbar, wie alle sagen? 

Bis 2021 ist die Zahl der Abtreibungen gesunken, auf dann 94.000. 2023 sind sie wieder auf 106.000 gestiegen, das sind 12 Prozent mehr als zwei Jahre zuvor. Der nicht-invasive Pränataltest ist 2022  Kassenleistung geworden.

Man könnte auch sagen, dass die nun erlaubte Werbung für Abtreibung wirkt. Interessant ist aber auch, dass die Spätabtreibungen nicht zurückgehen. Man könnte ja denken, wenn der Bluttest schon im frühen Stadium eine Auskunft gibt, dann wird es weniger Abtreibungen nach der 22. Woche geben. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein, es gibt eher mehr als vorher. Vielleicht weil Eltern sich sich in falscher Sicherheit wiegen, dass sie durch den Bluttest alles abgeklärt hätten und dann plötzlich andere Indikationen auftreten, die damit nicht erfasst werden. Die neue Statistik ist schon ziemlich erschreckend. Es sind mehrere hundert Kinder abgetrieben worden, bei denen wir in ethisch hochbrisante Situationen kommen. Es kann sein, dass in derselben Klinik Ärzte um das Leben eines zu früh geborenen Kindes kämpfen, während nebenan ein weiterentwickeltes Kind abgetrieben wird. Und dem man Kaliumchlorid ins Herz spritzen muss, damit es auch sicher nicht lebend geboren wird. Da spielen sich Dramen ab. Auch wenn es „nur“ einige Hundert sind. Aber jeder Einzelfall ist ein Drama. Ob die neuen Regelungen wirklich die Gründe für die höheren Zahlen sind, weiß man aber nicht. Es kann auch andere Gründe geben: die wirtschaftliche Lage oder auch die Berichterstattung in den Medien. Sie werden im öffentlich-rechtlichen Rundfunk keinen abtreibungskritischen Bericht finden. Es geht immer um Selbstbestimmung und sogenannte reproduktive Rechte.

Ihr Antrag hat eine breite Unterstützung, im vergangenen Jahr hat sich auch der Bundesrat – sogar einstimmig – für ein solches Monitoring ausgesprochen. Das Bundesgesundheitsministerium scheint aber nichts zu tun. Warum?

Eigentlich hätte der – übrigens einstimmige – Bundesratsbeschluss gereicht, der Antrag kommt aus dem SPD-geführten Bremen. Das Ministerium hat aber seit fast einem Jahr nichts getan, auch auf unsere Kleine Anfrage nach den Zahlen kannte man nur die Zahlen der kassenfinanzierten Tests. Kürzlich hat sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach für eine kritische wissenschaftliche Untersuchung der Kassenzulassung ausgesprochen.

Wir wollen, dass noch in dieser Wahlperiode eine Kommission gebildet wird, die Richtlinien entwickelt. Wir brauchen diese kritische Überprüfung unbedingt – und ein Problembewusstsein für diese Tests. 

Schauen Sie mal auf die Website des Medizinisch-Genetischen Zentrums München, das Werbung für diese Tests macht. Bereits jetzt gibt es Zusatzangebote: Für 20 Euro mehr erfährt man das Geschlecht. Obwohl es nach dem Gendiagnostikgesetz verboten ist, das Geschlecht vor der zwölften Woche mitzuteilen, auch wenn der Arzt die Info hat. Auch weitere Tests sind schon jetzt möglich: Auf das  Triple-X-Syndrom, auf das Turner-Syndrom und andere Dinge. Wir wissen aber nicht, was danach passiert, ob es dann zum Beispiel eher zu einer Abtreibung kommt. Was passiert, wenn Tests auf dem Markt sind, die eine höhere Wahrscheinlichkeit für Brustkrebs oder Alzheimer anzeigen? Und wie teilt man das dann später den geborenen Kindern mit, wenn sie ein erhöhtes Risiko für bestimmte Krankheiten haben? Was ist, wenn das Kind das später beim Abschluss einer privaten Krankenversicherung angeben muss?

Was bedeutet das Thema für Sie als Christ?

Für mich als Christ ist die Tötung eines ungeborenen Kindes nicht akzeptabel. Eine Unterscheidung zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben darf es nicht geben. Und darum kann es bei diesen Tests gehen. Denn dann liebt man das Kind nicht völlig ohne Vorbedingungen, sondern es muss bestimmte genetische Grundvoraussetzungen erfüllen. Wir müssen als Christen aber auch sehen, dass man die betroffenen Menschen nicht sich selbst überlässt, sondern ihnen hilft. Dazu gehört, dass sie nicht gleich in Sonderschulen, Sonderwerkstätten und Sonderwohnheime gesteckt werden. Da wünsche ich mir von Caritas und Diakonie auch viel mehr Offenheit für Inklusion. Wenn ich mal ganz fromm sprechen darf: Bei den Wundern im Neuen Testament ging es nicht in erster Linie darum, dass Menschen gesund werden. Sondern dass sie in die Gemeinschaft kommen. Die Aussätzigen sollten nicht ausgeschlossen, sondern integriert werden. Darum geht es.

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