„Ukraine-Krieg könnte zu Konflikt zwischen Europa und Asien werden“

Was hat Putin mit seinem Krieg in der Ukraine vor? Und warum empfängt er kurz nach der Invasion Pakistans Premierminister? Der Journalist Shams Ul Haq meint: Putin hat nicht nur Europa im Blick.
Von Jonathan Steinert
Shams Ul Haq

PRO: Der pakistanische Premierminister Imran Khan war am Donnerstag bei Wladimir Putin zu Gast. Haben sie über den Ukraine-Konflikt gesprochen?

Shams Ul Haq: Ja, nach offiziellen Informationen Pakistans haben sie über die aktuelle Lage in der Ukraine gesprochen. Aber es ging auch um andere Themen, unter anderem Zusammenarbeit im Energiebereich. Beide haben großes Interesse an einer Gaspipeline durch Pakistan. Es ist auch strategisch ein wichtiges Land für den Transport von Erdgas in der Region. Auch die Lage in Afghanistan war ein Thema bei dem Treffen.

Das Treffen soll schon länger festgestanden haben. Aber dass es nun unmittelbar nach der Eskalation in der Ukraine stattfindet, ist schon ein besonderer Zeitpunkt. Welches Signal geht davon aus?

Darüber rätseln auch die Journalisten in Pakistan, dazu gibt es ein lautes Rauschen. Sie müssen wissen, in Pakistan gibt es mehr als 30 private Nachrichtensender, die den ganzen Tag und in dieser Wochen nur über diesen Besuch bei Putin berichten. Es ist ja das erste Mal seit 23 Jahren, dass ein pakistanischer Ministerpräsident auf Einladung des Kremls nach Russland gereist ist. Da stellt sich natürlich die Frage, warum gerade jetzt. Wenige Tage vorher war schon der aserbaidschanische Präsident bei Putin. Putin hat offenbar vor, sich auch mit anderen asiatischen Staatschefs zu treffen. Journalistenkollegen in Pakistan sagen, Putin ist sehr schlau, denn er denkt schon zehn Schritte weiter und versucht in Asien an Einfluss zu gewinnen. Falls doch die NATO in den Ukraine-Konflikt eingreift oder Europa sehr harte Sanktionen gegen Putin verhängt, dass er dann Staaten wie Pakistan, China, Iran, Indonesien, Indien auf seiner Seite hat und Asien eine Macht gegen Europa und den Westen darstellt.

Könnte Khan auch militärische Unterstützung angeboten haben?

Dafür gibt es derzeit keine zuverlässigen Quellen. Offiziell hat er für eine friedliche Lösung geworben. Auf der anderen Seite haben die USA, bevor Khan nach Moskau gereist ist, gegenüber Pakistan ihre Position im Ukraine-Konflikt erklärt und deutlich gemacht, verantwortliche Länder müssten ihre Bedenken gegenüber Russlands Verhalten äußern. Auch der iranische Außenminister meldete sich zu Wort, als Khan in Moskau war. Das zeigt: Es ist durchaus möglich, dass es zwischen Khan und Putin auch um militärische oder anderweitige Unterstützung ging. Und nicht zu vergessen: Pakistan ist eine Atommacht. Wir erwarten nicht, dass es zu einem großen Krieg, gar einem Dritten Weltkrieg kommt. Aber Putin denkt schon ein paar Schritte weiter und versucht asiatische Mächte, auch China, für sich zu gewinnen.

Khan hat im Vorfeld seines Besuches und auch danach gesagt, dass er auf eine friedliche Lösung im Ukraine-Konflikt hofft. Könnte er auch auf Putin einwirken, den Vormarsch zu stoppen?

Nein, das glaube ich nicht. Der einzige, der auf Putin einwirken kann, ist das russische Volk. Denn das möchte den Krieg nicht. Nur wenn das russische Volk mit einer starken Stimme gegen den Krieg spricht, kann das Putin aufhalten. Verhandlungen können ihn nicht stoppen, denn er hat das lang vorgeplant. Das hat er sich ja nicht von heut auf morgen überlegt. Er weiß ganz genau, was er will.

Asien wartet im Konflikt Europas Reaktion ab

Der Westen hat Putins Vormarsch einhellig verurteilt. Welche Reaktion gab es von den asiatischen Großmächten wie China oder Indien?

Ob Iran, China, alle großen Mächte und Präsidenten sagen natürlich, dass sie eine friedliche Lösung wollen. Aber das ist nicht unbedingt auch das, was sie meinen. Was man dagegen öfter in Medien und von den Menschen in islamischen Ländern hört, ist das: Wenn der Westen und die USA in ein Land wie Afghanistan oder in den Irak einmarschiert sind, dann mit der Begründung, dass dort ein Völkermord geschieht oder Terroristen da agieren. Warum wird das jetzt nicht gegenüber Russland gesagt und eingegriffen? Solche Vergleiche sind oft zu hören und die Menschen haben das Gefühl, dass der Westen da mit zweierlei Maß misst, wo er militärisch aktiv wird und wo nicht.

Russland liegt zu einem sehr kleinen Teil nur in Europa und einem sehr viel größeren Teil in Asien. Welche Rolle spielt dieser Konflikt für das Machtgefüge in Asien und die Rolle und den Einfluss von Russland dort?

Es ist möglich, dass es Russlands Ziel ist, mit den anderen asiatischen Mächten ein Gegengewicht zu Europa zu bilden. Vom Einfluss her kommen nach Russland und China Indien und Pakistan. Die EU besteht aus 27 Ländern, das ist schon eine Macht, die dem gegenübersteht. Sollte sich der Krieg ausweiten, könnte es zu einem Konflikt zwischen Europa und Asien werden. Die asiatischen Länder warten jetzt ab und beobachten genau, wie Europa, wie die NATO reagieren wird. Werden sie eingreifen, Waffen liefern, Sanktionen verhängen? Davon werden sie es abhängig machen, wie sie Position beziehen.

Wäre es auch denkbar, dass der Westen Länder wie China oder Indien als Partner aussucht, um Druck auf Russland auszuüben?

Ich denke eher, dass es umgekehrt laufen wird: Wenn es so weit kommt, wird Russland sich China, Indien und Pakistan als Partner suchen, um Druck auf die USA und Europa auszuüben. Stellen Sie sich vor, diese Länder würden sich verbünden und kein Öl mehr nach Europa exportieren. Dann hätte Europa ein größeres Problem als Asien. Ein ganz einfaches Beispiel verdeutlicht das: Menschen in Pakistan sind es gewohnt, mit sehr wenig auszukommen. Ein einfacher Bürger, der einen Tageslohn verdient, kann davon relativ normal leben. In Deutschland sind wir einen viel höheren Wohlstand gewohnt und erwarten ihn auch. Deshalb würde es uns deutlich mehr treffen, wenn sich an den Verhältnissen etwa ändert.

Sie hatten vorhin die Lage in Afghanistan angesprochen, sie war auch Thema bei dem Gespräch. Welche Interessen hat Russland in Bezug auf dieses Land?

Afghanistan hat sehr wertvolle Bodenschätze, verschiedene Erze, Gas und anderes. Das Land ist in den vergangenen Jahrzehnten nicht zur Ruhe gekommen, es gab also gar keine Möglichkeit, diese Schätze zu heben. Russland hat daran großes Interesse. Und es hat auch großes Interesse, mit den Taliban, die jetzt wieder an die Macht gekommen sind, zusammenzuarbeiten. Damit will er natürlich verhindern, dass die Taliban einen Grund finden, um in Moskau Bomben hochgehen zu lassen. Deshalb hat er Interesse, dass in der Region Frieden und Stabilität einkehrt. Und Pakistan will das auch. Der pakistanische Ministerpräsident wird auch nicht der letzte gewesen sein, den Putin eingeladen hat. Er wird auch andere asiatische Länder einladen, um seine Lobby auf dem Kontinent zu stärken.

Vielen Dank für das Gespräch!

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

4 Antworten

  1. Sehr interessant! Die erwähnte Gasleitung durch Pakistan kann nur in das energiehungrige Indien führen. Die geringere Emissionen, die Gas anstelle von Kohle hat, würden Indien sehr helfen. Zudem sind Pakistan und Iran wichtige Partner für die Südroute der neuen Seidenstraße und deshalb ist es wichtig für Russland hier auch nicht nur einen Fuß in der Türe zu haben. Spannend ist dies auch deshalb weil Russland und China sich annähern. China wird in wenigen Jahren die Wirtschaftskraft von den USA erreichen und mit Russland u.a. zu noch größerer Macht kommen. Für viele asiatische Forscher ist deshalb das 21. Jahrhundert das Jahrhundert Asiens und der gleichzeitige Bedeutungsverlust von Europa und den USA. Die aktuelle Krise um die Ukraine war eventuell die letzte Chance Russland vor dem vollständigen Überschwenken nach Asien abzuhalten. Ob das gelungen wäre wird sich wahrscheinlich nie klären lassen. Und genauso ob es nicht ein Fehler war Russland nach der Wende nicht eng an die NATO heranzuführen. Aber vielleicht wird sich dies leider irgendwann rächen, dies nicht intensiver versucht zu haben. Auf jeden Fall brechen für Europa und die USA keine einfachen Zeiten an

    1
    0
  2. Russland hat den Dritten Weltkrieg begonnen. Die Welt muss diesen Dschungel stoppen, sonst könnte er sich versehentlich über ganz Europa ausbreiten

    0
    1

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen