Ukraine: „Christen haben die Aufgabe, Hoffnung zu schenken“

Wie geht es den Christen in der Ostukraine? Wie leben Sie? Und was macht ihnen Hoffnung? Albert Giesbrecht, Bereichsleiter der Allianz-Mission, schildert die Situation der Menschen vor Ort.
Von Johannes Schwarz
Menschen im Krieg feiern in der Ukraine Gottesdienst

Heute vor einem Jahr griffen Putins Streitkräfte die Ukraine großflächig an. Im Februar 2022 waren die Christen zunächst überfordert, dann aber organisierten sie sich, zeigt die Recherche von PRO. 365 Tage Krieg und Leid gehen nicht ohne Wirkung an den Menschen vor Ort vorbei. Viele sind voller Leid, Wut und Frust. Doch auch Hoffnung ist in den dunkelsten Stunden in der Ukraine zu finden – und gerade Christen haben es sich zur Aufgabe gemacht, diese zu teilen.

Solidarität hilft beim Durchhalten

Der Bereichsleiter für Südosteuropa der Allianz-Mission, Albert Giesbrecht, war vor wenigen Tagen erst in der Ukraine – zum dritten Mal in diesem Krieg. Diesmal war er in den umkämpften Gebieten der Ukraine unterwegs, etwa in Charkiw, Dnipro und Kramatorsk. Er hat dort freikirchliche Gemeinden besucht, die teilweise nur 30 bis 40 Kilometer von der Kriegsfront entfernt liegen.

„In manchen Teilen der Bevölkerung ist eine depressive Stimmung zu beobachten“, sagt Giesbrecht gegenüber PRO. „Viele kämpfen mit ihren Ängsten und ihrem Frust“. Kriegsmüdigkeit hat sich breit gemacht. Die Stimmung sei angespannt. Schließlich können jederzeit russische Raketen, Bomben und Drohnen einschlagen. In manchen Regionen der Ostukraine vergehen vom Abschuss bis zum Einschlag oftmals nur 40 Sekunden.

Gerade wegen der Kriegsmüdigkeit hat sich Giesbrecht mit einem Team aus Deutschland und der Ukraine in die umkämpften Gebiete aufgemacht. Es ist für die Christen wichtig, zu wissen: „Wir stehen an eurer Seite – Wir stehen an der Seite der Ukraine“. Dieses Symbol und das Signal zu setzen, sei enorm wertvoll. Er ist sich sicher, durch solche Besuche und die Solidarität, sowie das immerwährende Gebet, könnten die Christen in der Ukraine Kraft bekommen, weiterzumachen und ihren Alltag zu leben. Giesbrecht selbst bekam Zuspruch von einem Pastor vor Ort, berichtet er: „Euer Besuch war für unsere Herzen und Seelen wie ein Leopard 2.“ In Anspielung auf die deutschen Panzerlieferungen.

Gemeindealltag hat sich verändert

Haben freikirchliche Gemeinden in der Ukraine vor dem Krieg einiges an Programm geboten wie Gottesdienste, Jugendkreise oder Seniorenkreise, so hat sich das Leben auch dort verändert. Im Osten sind aus manchen Gemeinden fast alle Mitglieder vollständig geflohen, und im Westen kamen Kriegsflüchtlinge an. Die christliche Welt versucht sich zu helfen, wo es geht: Räume wurden zu Schlafsälen umfunktioniert, Küchen zu Essensausgaben und Keller zu Gottesdienstsälen. Gemeinden sind in der Ukraine zu „echten Zufluchtsorten“ für die Flüchtlinge geworden – und so für die Gesellschaft im Land extrem relevant. Oftmals ging die Hilfe noch weiter. Eine Gemeinde habe sogar Erdbohrungen durchgeführt, um die Stadt mit Trinkwasser zu versorgen.

Gab es in den ersten Kriegswochen Austausch mit Christen anderer Konfessionen, etwa der großen Orthodoxen Kirche in der Ukraine, sind diese Kontakte nun selten. Freikirchen haben untereinander mehr Austausch, bis heute. Dies ist zumindest der Eindruck von Giesbrecht.

Viele Pastoren zeigten schnell Verantwortung für ihre Gemeinden, so das Empfinden der Allianz Mission. Einige evakuierten ihre Gemeinden selbstständig, andere blieben und halfen den Zurückgebliebenen. Auch der Umgang mit Leid und Tod hat sich geändert. Beerdigungen sind nun Alltag und Seelsorge umso wichtiger, dies berichten die Pastoren der freikirchlichen Gemeinden vor Ort. Für Hauptamtliche, sowie für Gemeinde, eine riesige Herausforderung.

Und dennoch: „Christen haben die besondere Aufgabe, Hoffnung zu schenken“, da ist sich Bereichsleiter von der Allianz-Mission sicher. Denn diese Hoffnung werde gebraucht. Dies sieht beispielsweise auch der Pastor der Freien evangelischen Gemeinde in Kramatorsk – unweit der umkämpften Stadt Bachmut. Er ist vor Ort geblieben und bietet mittlerweile vier Gottesdienste an Wochenenden an. In den provisorischen Saal quetschen sich dann rund 300 Leute, aktuell auch bei Innentemperaturen, die um den Gefrierpunkt liegen.

Sie bekommen dort kleine Lebensmittelpakete, doch „noch viel wichtiger, sie hören die Hoffnungsbotschaft“. Mehr als 1.000 Menschen kommen an einem Wochenende dorthin. Die Gottesdienste werden so gestaltet, dass sie fröhlich sind, Christen wie Nicht-Christen können sich aufbauen lassen und auch mal lachen. „Der Halt im Glauben ist für die Christen vor Ort besonders relevant, weil der Tod ganz nah ist.“

Beziehungen zu Russland sind gekappt

„Viele Ukrainer haben Verwandtschaft in Russland. Und umgekehrt. Doch: Viele Beziehungen sind durch den Krieg abgebrochen worden“, berichtet Giesbrecht. Teilweise haben Familien, auch Eltern zu ihren Kindern, wegen des Krieges keinen Kontakt mehr.  „Die russische Propaganda ist so massiv.“ Nach wie vor glauben viele Russen nicht, dass die russische Armee in der Ukraine Krieg betreibt. Das verletze die Ukraine tief, daher seien viele Beziehungen kaputtgegangen.

Giesbrecht pflegt auch einige Beziehungen zu Christen in Russland. Leider haben auch von ihnen viele ein einseitiges Bild von dem Kriegsgeschehen in der Ukraine. Der Mitarbeiter des Missionswerks versucht die russischen Kollegen mit den Ukrainischen zusammenzubringen, um gemeinsamen in Austausch zu treten, Einheit zu fördern und für den Frieden zu beten. Gerade jetzt sei die Zeit, über die politischen Grenzen hinweg, Zeugnis als Gemeinde Jesu zu sein.

Die Christen in der Ukraine beteten unentwegt für Frieden und ein Ende des Krieges. Dennoch nimmt Giesbrecht eine starke Zustimmung für Waffenlieferungen an die Ukraine unter Christen wahr. Das Land und die Leute wollten sich verteidigen. Auch Christen scheuten sich nicht, Kriegsdienst zu leisten. Doch eher in der zweiten Reihe. Also nicht direkt an der Front, sondern wenige Kilometer dahinter. Sie übernehmen häufig Organisationsaufgaben. Das Schießen auf einen Feind sei, nach Schätzung von Herrn Giesbrecht, doch für die meisten Christen eine rote Linie.

Zukunft ungewiss

Niemand weiß, wann der Krieg zu Ende ist. Auch für die Christen in der Ukraine, besonders im Osten, ist die Situation ungewiss. Pastoren, Gemeinden und Ehrenamtlichen stellen sich die Frage: Bleiben und wiederaufbauen oder Flüchten vor einem weiteren Einmarsch der russischen Truppen?

494 Kirchen, Gemeinden und sakrale Bauten sind laut dem Institut für Religionsfreiheit (IRF) seit Kriegsbeginn in der Ukraine zerstört worden. Dennoch haben besonders freikirchliche Gemeinden Zulauf. Orthodoxe Kirchen gibt es in der Ostukraine nur noch wenige.

Die Allianz-Mission, sowie andere christliche Werke – etwa Global Aid Network (GAiN), unterstützen die ukrainischen Christen finanziell und materiell. Neben dem Gebet für Frieden und Hoffnung seien Spenden und weitere Unterstützungen für die Christen in der Ukraine wertvoll, sagen sie.

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