Theologe: „Missbrauchskatastrophe müsste Ende einer evangelischen Kirche sein“

Der Professor für Systematische Theologie Ralf Frisch kritisiert nach der Erklärung zum Missbrauchsskandal die Haltung der evangelischen Kirche. Frisch fordert vor der Wiedergutmachung eine tiefgreifende theologische und moralische Neuausrichtung.
Von Norbert Schäfer
Schatten-Missbrauch

In einem Gastbeitrag in der „Welt“ vom Donnerstag kritisiert Ralf Frisch, Professor für Systematische Theologie und Philosophie an der Evangelischen Hochschule Nürnberg, die evangelische Kirche für ihre moralisierende Haltung vor dem Hintergrund des Missbrauchsskandals. Der Kirche fehle eine echte theologische Grundlage.

„Eigentlich müsste die Missbrauchskatastrophe das Ende einer evangelischen Kirche sein, deren einziges Erkennungsmerkmal es ist, moralisches Heldentum zu verkündigen“, schreibt Frisch und spricht in dem Artikel von einer „Monstranz des Moralisierens“, an der die Kirche sich messen lassen müsse.

Mit einer gemeinsamen Stellungnahme hatten sich am Dienstag die 20 Landeskirchen, der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Bundesvorstand der Diakonie Deutschland zu den Ergebnissen der „ForuM“-Studie zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie geäußert. Die Erklärung betont ein „jahrzehntelanges Versagen“ im Umgang mit Betroffenen und die Notwendigkeit von Prävention, Transparenz und einheitlichen Verfahren zur weiteren Aufarbeitung.

Kirche soll in „Sack und Asche“ gehen

„Die evangelische Kirche sitzt in der Moralfalle“ konstatiert Frisch nun. Der Fokus der Kirche liege auf dem Glauben an den guten Menschen und moralischen Imperativen, ohne dabei Gott in den Mittelpunkt zu stellen. Frisch argumentiert, dass die Kirche ihre theologische und moralische Glaubwürdigkeit verloren hat. Dass nun durch die „ForuM“-Studie auch die moralische Erosion der Kirche „erbarmungslos zutage tritt, könnte sie ideell und empirisch zum Einsturz bringen“, schreibt Frisch, und weiter: „Umso mehr wäre die Erinnerung an den ausgeschlossenen Gott für die evangelische Kirche jetzt an der Zeit – gerade auch aus moralischen Gründen.“

In der Erklärung zur Missbrauchsstudie fehle etwas, an dem erkennbar werde, dass es sich nicht um irgendeine verzweifelte moralische Akteurin, sondern um Kirche handele. „Es fehlt etwas oder vielmehr jemand, dessen Namen man sich offenbar nicht auszusprechen traut. Gott nämlich“, stellt Frisch fest. Der Theologe fordert eine Rückbesinnung auf Gott und echte Buße.

Der Theologe fürchtet, Gott fehle in der Erklärung deshalb, weil er für die öffentliche Präsenz, für das Selbstverständnis und für das Handeln der Evangelischen Kirche in Deutschland nicht mehr systemrelevant und daher letztlich kein Thema mehr sei. „Nur eine Kirche, die angesichts ihres moralischen und theologischen Versagens vor ihrem Herrn in Sack und Asche geht, ehe sie sich in Wiedergutmachungs- und Wiedergutwerdungsprogramme flüchtet, ist für mich glaubwürdig.“

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