„Suizid soll nicht normal werden“

Wenn ein Mensch sein Leben beenden will, soll er im Extremfall tödliche Medikamente bekommen dürfen. So hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden – entgegen der bisherigen Rechtsprechung. Das widerspreche grundlegenden ethischen Maßstäben, kritisiert ein Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, und macht Vorschläge, wie Suizid im Alter verhindert werden kann.
Von Jonathan Steinert
Wohltuende Gemeinschaft könne dem Suizid im Alter vorbeugen, meinen der Jurist Steffen Augsberg und der Theologe Peter Dabrock

Suizid soll nicht zu einer normalen Form des Sterbens werden. Dafür machen sich der Jurist Steffen Augsberg und der Theologe und Vorsitzende des Deutschen Ethikrats Peter Dabrock in einem Beitrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) stark. Hintergrund ist ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig vom März: Demnach müsse der Staat „im extremen Einzelfall“ den Zugang zu einem Betäubungsmittel zur Selbsttötung erlauben.

Diesem Urteil war die Klage einer querschnittsgelähmten Frau vorausgegangen, die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ein solches Mittel in einer tödlichen Dosis ohne ärztliches Rezept haben wollte, um ihr Leben zu beenden. Das hatte das Institut damals abgelehnt. Zum Zeitpunkt des Gerichtsurteils war die Frau schon verstorben, ihr Mann setzte den Prozess fort. Das Gericht musste daher darüber entscheiden, ob das Institut ihr das Mittel vorenthalten durfte. Und kam zu einem Urteil, das der bisherigen Rechtsprechung – und auch der der früheren Instanzen in diesem Fall – widerspricht.

Dem Leben auch im Alter Sinn geben

Der Jurist Augsberg und der Ethiker Dabrock kritisieren das in ihrem FAZ-Beitrag. Das Urteil sei „abwegig“. Es verdrehe die Bestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes, wenn es im Kern zu der Auffassung kommt, dass Suizid eine Form von Therapie sein und der medizinischen Versorgung dienen könne. Außerdem sei nicht geklärt, wann genau ein „extremer Einzelfall“ vorliege. Wenn eine staatliche Einrichtung also in Ausnahmefällen tödliche Medikamente zur Verfügung stellen soll, müsse sie bewerten, ob das Leben unter bestimmten Umständen – etwa mit Schmerzen und Lähmungen – zumutbar ist. Das spricht aus Sicht der Autoren gegen den ethischen Grundsatz, menschliches Leben nicht zu bewerten. „Jedes menschliche Leben ist als gleich wertvoll zu behandeln“, erklären Augsberg und Dabrock. „Eine derartige staatliche Bewertung des menschlichen Lebens ist mit grundlegenden ethischen und verfassungsrechtlichen Vorgaben unvereinbar.“

Die Autoren fordern, Pflege, lindernde Therapien und Hospize auszubauen und besser auszustatten, damit möglichst wenige Menschen wegen einer Krankheit oder im Alter ihr Leben vorzeitig beenden. Außerdem müsse die Suizidprävention insgesamt gestärkt werden. Schließlich weisen Augsberg und Dabrock noch auf einen sozialen Aspekt hin: Vor allem alleinstehende, alte Männer hätten sich in den vergangenen Jahren häufiger das Leben genommen. Daher sei es wichtig, „die Zeit des nicht mehr agilen Alters“ mit „Sinn und Begegnung“ zu füllen – durch „wohltuende Gemeinschaft“.

Die beste Versicherung für ein selbstbestimmtes Leben bis ans Ende sei ein Ansatz, der Palliativversorgung, Altersmedizin und solidarische Lebenspraxis verbinde. Zugleich sei es notwendig, den Stimmen entgegenzutreten, die Suizid idealisierten und zu einer normalen Form des Sterbens machten.

Von: Jonathan Steinert

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