Sündenfall hat vor zwölf Jahren stattgefunden

Christoph Stukenbrock ist Redakteur beim Sportinformationsdienst. Gerade ist er bei der WM in Katar im Einsatz. Im Podcast mit PRO ordnet er die Ereignisse vor Ort ein und erzählt, was seine Socken mit Protest zu tun haben.
Von Johannes Blöcher-Weil
Die Fußball-WM in Katar in wenigen Wochen erhitzt die Gemüter

Landauf und landab wird über einen Boykott der Weltmeisterschaft in Katar diskutiert. Soll man die Spiele im TV verfolgen? Sollte die Nationalmannschaft wegen des Streits um die One-Love-Binde ein Rückzug vom Turnier in Kauf nehmen? Bisher weitestgehend unter dem Radar läuft die Frage, wie Sportjournalisten selbst mit der Weltmeisterschaft umgehen.

Im PRO-Podcast „Reingegrätscht“ erklärt der Journalist Christoph Stukenbrock, dass er selbst über einen beruflichen Boykott nachgedacht habe. Aber er habe sich schlussendlich anders entschieden. Denn „der Sündenfall war die Vergabe vor 12 Jahren. Jetzt geht es darum, genau hinzuschauen und die Ereignisse kritisch zu begleiten“, sagt Stukenbrock.

Reingegrätscht Foto: René Graf
Reingegrätscht
#3 WM-Stimmung, Socken und die Kapitänsbinde
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Für den Sportinformationsdienst (SID) berichtet der dreifache Familienvater aktuell über das, was auf und abseits des Feldes passiert: „Wir sollten den Scheinwerfer darauf werfen, was hier alles nicht so gut glücklich läuft.“ Für seine Arbeit hat das ganz praktische Konsequenzen: „Normalerweise berichten wir zwischen 80 und 90 Prozent über Sport. Hier in Katar ist der Anteil teils deutlich geringer.“ Als Journalist vor Ort recherchiere er Themen und ordnen diese für die Menschen in der Heimat ein.

Binden-Debatte verdrängt wichtigere Themen

Sorge bereitet Stukenbrock, dass die großen Themen vor dem Turnier immer mehr in den Hintergrund gerückt seien: „Eine absurde Diskussion um eine Kapitänsbinde hat die Debatte um Menschenrechte und tote Gastarbeiter ersetzt.“ Iraner müssten zu Hause um ihre Familien fürchten: „Deswegen hätte ich mir natürlich ein deutliches Zeichen der Deutschen gewünscht.“ Vor dem Turnier sei beispielsweise von Entschädigungsfonds für die Familien der verstorbenen Gastarbeiter die Rede gewesen. Darüber lese er keine Zeile mehr.

Stukenbrock vermutet außerdem, dass die gesamte Debatte über Katar wenig nachhaltig sein wird. Das Turnier könne trotzdem helfen, auch vor der eigenen Haustür Probleme zu erkennen: „Auch in Deutschland gibt es bei den Arbeitsverhältnissen noch Luft nach oben.“ Hier lohne es sich, genauer hinzuschauen und Verbesserungen anzustreben. Als Beispiel nannte er die Arbeitsbedingungen in Schlachthäusern – auch wenn die Zustände in Katar nochmals ein ganz anderes Niveau erreichten.

Gewünschte Debatte über Vergaberichtlinien

Er selbst habe als Journalist in dem arabischen Land noch keine Einschränkungen erlebt: „Andere Kollegen können anderes berichten.“ Ihm sei klar, dass WM-Turniere immer „von der FIFA eingepflanzte Events“ seien. Die Art der Berichterstattung in einem nicht-demokratischen Land sei auf jeden Fall eine andere. Dies müsse auch Konsequenzen für die Ausbildung zukünftiger Journalisten haben: „Wir müssen sie für tiefergehende Themen sensibilisieren, um Missstände noch deutlicher zu transportieren. Wir haben eine Rolle als Gatekeeper.“

Stukenbrock hat 2015 bereits von der Handball-Weltmeisterschaft in Katar berichtet. Damals habe er am Flughafen hunderte Arbeitsmigranten gesehen: „Sie haben dort ausgeharrt und sich teilweise gestritten, um hier arbeiten zu dürfen.“ Es sei auch Teil der Wahrheit, dass es für viele von ihnen ein Interesse gebe, hier zu sein: „Das verdeutlicht natürlich die Not und das Leid in vielen Regionen der Erde.“

Anders als mache Kollegen trägt Stukenbrock im Stadion keine Regenbogenbinde. Das sei aber schlicht dem Fakt geschuldet, dass es in Katar keine zu kaufen gibt. Um dennoch ein politisches Statement zu setzen, trage er jedoch Regenbogen-Socken, die er über die Hosen zieht. Zudem versuche er über seine sozialen Kanäle Kritik zu üben. So habe er ein sein Bild mit ZDF-Reporterin Claudia Neumann im Regenbogen-T-Shirt geteilt: „Hier können wir Zeichen setzen und unser Weltbild vertreten.“

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6 Antworten

  1. Genau das ist es doch: Die (teils sehr jungen) deutschen Spieler wurden ja regelrecht gestalkt und genötigt, sich ständig gesinnungsmäßig zu positionieren – da hat man dann nicht mehr den Fußball im Kopf, sondern nur noch, ob die Medien und die Politik die rechte Haltung erkennen können.

    Ich selbst bin ja gänzlich gegen LGBTQ, Gender, Diversity und Wokeness, insofern ist es mir egal, daß zum Beispiel Manuel Neuer keine Regenbogen-Armbinde getragen hat bzw. keine tragen durfte. Ich habe es in diesen Tagen nur so beobachtet und verfolgt, weil beim Spiel gegen Ungarn (ich glaube, im letzten Jahr) dieses ganze Regenbogen-Tralala so dermaßen hysterisch wurde, daß sogar der Frankfurter Fernmeldeturm, heute „Europaturm“, vor meiner Haustür in Regenbogenfarben erstrahlte und Neuer diese Armbinde trug. Bei einem Spiel gegen einen demokratischen Staat der Europäischen Union zeigt man seinen billigen Gesinnungsmut, nur weil die Ungarn diese abstruse Durchsexualisierung und Durchideologisierung mit LGBTQ nicht mitmachen wollen, aber bei Katar, wo wir Homosexuelle tatsächlich um unser Wohl fürchten müssen, ist man feige.

    Wohlstandsverwahrloster Gratismut auf der einen Seite, kostet ja nichts, Feigheit auf der anderen Seite, denn es könnte ja unangenehm werden. Billig.

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    1. In der Tat, die Regenbogenbinde steht nicht etwa für „Menschenrechte“ sondern ausschließlich für LBTQXYZ-Ideologie.
      Damit mache ich mich nicht gemein.

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    2. „Ich selbst bin ja gänzlich gegen LGBTQ…“

      „Christliche Nächstenliebe“, live und in Farbe.

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  2. „Soll man die Spiele im TV verfolgen? Sollte die Nationalmannschaft wegen des Streits um die One-Love-Binde ein Rückzug vom Turnier in Kauf nehmen? “ Das hat sich doch jetzt weitgehend von selbst erledigt.
    Das ist doch jetzt Kaffeesatz-Leserei.

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  3. Das Hauptproblem sind nicht die Binden oder wie sich Spieler und Journalisten verhalten. Der Kern ist, dass die FIFA, die nationalen Verbände, die Fernsehsender und die Werbepartner den Hals nicht vollkriegen und das wohlwollend begleitet von Politik und Medien. Man muss nicht in Katar antreten! Und die Krokodilstränen wegen den Arbeitern, ich kann es nicht mehr hören. Denn warum begeben sich die Arbeiter in diesen Ländern in unmenschliche Bedingungen? Weil dies noch besser ist wie in ihrem Herkunftsland zu verhungern. Die Logik ist doch die Bedingungen in den Herkunftsländern anzuprangern und dass diese dort besser werden. Da würde dich das Geschäftsmodell für die Arbeiter in Katar nicht mehr geben, weil dann keiner mehr kommt

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  4. „Sündenfall hat vor 12 Jahren stattgefunden“. Ich kann dieses ganze Gejammere jetzt, beinahe im Nachhinein, nicht mehr hören bzw. lesen. Tatsache ist: Die WM 2022 ist schon vor 12 Jahren verschachert worden, gegen viel Geld. Und das wird auch nicht das letzte Mal gewesen sein.. Die FIFA-Vergabeverantwortlichen würden gegen jede Menge Geld die WM sogar an die Antarktis vergeben. Alles nur noch traurig!

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