In Filmen und Romanen hat er seinen festen Platz, aus dem Alltag wurde er aber immer mehr verbannt: Der Tod spielt als Faktor der „kontrollierten Angst“ in Filmen und Krimis eine Rolle. „Doch wie gehen wir mit unserem eigenen Tod um, der uns irgendwann einholt?“, fragt der Dokumentarfilm „Sterben ohne Gott“, der am Donnerstag in die Kinos kommt. „Wie reagiert der moderne Mensch, dem Gott längst als veraltetes Konzept erscheint, auf die unaufhaltsame Realität seines eigenen Todes und den Verlust seiner Liebsten?“
Der Filmemacher Moritz Terwesten hat Interviewpartner vor die Kamera gesetzt, um das Thema Tod zu beleuchten. Allerdings vertreten die Gesprächspartner eine atheistische Weltanschauung. Der Tod ist die ultimative existentielle Grenze – und damit ein Eingangstor für entsprechende Fragen, die den Menschen über seine alltäglichen Probleme hinaus beschäftigen. Für viele läuft dies auch auf die Frage hinaus, ob es eine Leben nach dem Tod und einen Gott gibt. Für andere spielt der Glaube hier indes keine oder eine untergeordnete Rolle. Eben diesen gott-losen Blick auf den Tod hat der Filmemacher ins Zentrum seiner Dokumentation gestellt.
Der amerikanische Sozialpsychologe Sheldon Solomon definiert den Menschen als „Homo mortalis“, als einziges Lebewesen, das um seine Sterblichkeit weiß. Solomon extrahiert aus seinen Forschungsergebnissen eine Religionskritik. Die geht etwa so: „Gedanken an den Tod führen dazu, dass Menschen andere Menschen mehr mögen, wenn diese so ähnlich wie er selbst denkt. Sie führen dazu, dass wir andere Menschen mehr hassen, die anders sind.“ Anders formuliert: „Wenn mein Glaube meine Todesangst reduziert, dann stellt die bloße Tatsache, dass es Menschen gibt, die anders sind, ein Problem dar.“ Das ist logisch nicht ganz nachvollziehbar, man kann ja auch an ein Leben nach dem Tod glauben, wenn der Nachbar es nicht tut. Und würde das wirklich gelten, könnte man es auch umdrehen: Ein Gläubiger wäre dann ein Hindernis für jeden Atheisten in dessen Glauben an die Nichtexistenz eines Gottes.
Ohne Tod würde Evolution nicht funktionieren
Der Theoretische Physiker Lawrence Krauss, der für einen offensiven Atheismus bekannt ist, vertieft den Gedanken Solomons: „Einer der Gründe, warum Fundamentalisten Evolution und Wissenschaft leugnen, ist: Wenn ihre heiligen Bücher in einer Sache falsch liegen, liegen sie vielleicht in allen anderen Punkten auch falsch. Also eben auch in Sachen Leben nach dem Tod.“
Damit wäre die Frage, warum Menschen gläubig sind, abgehakt. Die Interviewpartner machen zwar recht früh im Film den Unterschied zwischen der Angst zu Sterben und der Angst vor dem Tod klar. Der Philosoph und Atheist Franz Josef Wetz etwa erläutert: Das eine sei die Angst vor dem Zustand im Leben – vor den medizinischen Behandlungen und den möglichen Schmerzen; das andere sei die existentielle Angst, nicht mehr zu sein. „Ins Nichts fallen“, wie Wetz sagt. Dennoch macht der Film ab der ersten Viertelstunde diesen Unterschied selbst nicht mehr und fokussiert sich auf das Sterben.
Wetz stellt fest: Der stärkste Beweis für die Todesangst seien „die Religionen“, und er verweist auf das „kühne Versprechen auf Unsterblichkeit“, an das sich Milliarden von Menschen auf der Welt „klammerten“. (Wetz erklärt dies später im Film zu „Hirngespinsten“.) Der Mensch könne sich den Tod nicht vorstellen, und „dieser blinde Fleck, gepaart mit dem Bedürfnis nach Unsterblichkeit ist ein fruchtbarer Nährboden für die wildesten Spekulationen religiöser Art“, so Wetz. „Es haben nur wenige Menschen wirklich die Kraft, das Leben so zu nehmen, wie es ist, nämlich als einen endlichen Prozess, bei dem am Ende eine Banalität steht.“
Diesen interessanten Aspekt wäre ein Christ in einem Interview vielleicht sogar mitgegangen: Auch aus einer religiösen Perspektive steht am Ende des Lebens eine Banalität; ja: das irdische Leben selbst wird dann zur Banalität. Und genau deswegen ist der Tod bedeutsam, als Übertritt in das Nicht-Banale.
Der Biologe und Forensiker Mark Benecke (der ebenfalls explizit nicht gläubig ist), vertritt eine rein biologistische Sicht auf den Tod und hat eine erstaunliche Wortneuschöpfung parat: „Der Grund, dass Menschen sterben, ist eingebaut worden, um neue mögliche Erbsubstanzzusammensetzungen – in Form von Kindern – auf den Markt zu werfen.“ Ja, er spricht von einem „Markt“ in Bezug auf Kindern, und, ja, er verwendet die Passivkonstruktion „ist eingebaut worden“.
In Kurzform heißt das: Ohne Tod würde die Evolution nicht funktionieren. Denn die Umwelt ändert sich ständig, und deswegen „hat sich die Mischung von Erbsubstanz bewährt“, wie Benecke sagt. Fazit: „Sex und Tod dienen also nur dazu, künftige neue Umweltbedingungen überstehen zu können oder eine Wette zu machen, dass das möglicherweise klappen könnte.“ Das Individuum ist hier nebensächlich, nur das Kollektiv, die biologische Art zählt.
„Der Tod steht im Film immer noch einmal auf“
Im Kapitel „Der Tod in den Medien“ stellt unter anderem der Kulturkritiker Wolfgang M. Schmitt fest: Der Tod komme in den Medien vor allem durch Unfälle oder Verbrechen, eben als Gruselfaktor vor. Das „normale“, statistisch häufigere Sterben komme indes kaum vor. In vielen Filmen sei der Tod dabei nicht wirklich endgültig, stellt der Filmkenner fest. „Viele erfolgreiche Filmreihen leben davon, dass der Tod nicht besiegbar ist. Der Tod steht immer noch einmal auf. Michael Myers ist nicht tot, genau so Freddy, und all die anderen.“
Ungewöhnlich: Regisseur Moritz Terwesten hat sich für seinen Film selbst interviewt. Terwesten konstatiert dann – eher überflüssig, leider etwas unbeholfen und ohne irgendeine Quellenangabe Dinge wie: „Wenn man Menschen was von Gott und Religion und so weiter erzählt, und sie danach testet, danach befragt, hat das keinen Einfluss auf ihre Religiosität. Aber wenn man Menschen erzählt und aufzeigt, dass sie bald sterben müssen, dann glauben sie viel eher, dass es ein höheres Wesen gibt, oder dass da vielleicht noch irgendwas ist.“
Die Atheisten im Film betonen, dass eine religiöse Sicht auf Tod und Sterben nicht in Frage kommt, und stellen dann fest: Man sollte das eigene Ende mit Leichtigkeit nehmen und jeden Tag genießen. Wetz: Dass jeder sterben muss, sei „ein Konflikt, den man nicht lösen kann. (…) Man arrangiert sich irgendwie.“ Er fügt hinzu: „Wir müssen mit dem Tod auch nicht fertig werden, um unseren Leben ein Gelingen zu attestieren.“ Dieses Attestieren funktioniert hier eben ohne Gott, nach eigenem Maßstab.
Das häufige, immer etwas nervige Element, dass Atheisten Gläubigen den Glauben absprechen wollen, tritt auch hier leider zutage. Den Vorwurf, Gläubige wollten andere nur deswegen von ihrem Glauben überzeugen, um sich ihres eigenen Glaubens gewisser zu sein, kann man verlässlich in umgedrehter Form auf Atheisten anwenden. Aber besonders beim Thema Tod und eigenes Sterben sollte es doch am Ende vielleicht jedem selbst überlassen sein: Sterben mit Gott oder ohne Gott?
Trauer für die Angehörigen blendet der Film aus
Für Religionen, insbesondere das Christentum, ist der Tod eines der Kernthemen. Jesus sprach sehr viel über den Tod und darüber, was danach kommt. Den Aspekt Glaube aus dem Thema auszublenden, mag legitim sein, dass der Film aber auch Trost beim Verlust anderer vollständig ausblendet, ist schade. Traurig ist der Tod ja nicht für die, die sterben, sondern für die Angehörigen. Der Tod ist für Christen genuin nicht die dunkelste Sache der Welt, sondern wohl eher: ohne Gott zu sein. (Ein Blick ins Kirchengesangbuch – das tatsächlich einmal kurz im Film auftaucht – zeigt: fast alle Lieder, die vom Tod handeln, sind mit Trost und Hoffnungserwartung verbunden.)
Ob nun gläubig oder nicht – sich mit der Frage nach dem Tod und dem, ob etwas danach kommen könnte, zu befassen, ist für jeden Menschen wichtig, und dazu lädt der Film erfolgreich ein. Der in Schwarz-Weiß gehaltene Dokumentarfilm kommt allerdings nicht nur optisch eher dunkel daher, auch inhaltlich geht es um das Sterben als Prozess sowie Verwesung. Es ist nicht ganz ausgeschlossen, dass der Zuschauer danach irgendwie das Bedürfnis verspürt, als Kontrast eine bunte französische Liebeskomödie oder eine Tierdokumentation anzusehen, oder einen Spaziergang in der Natur zu machen. „Sterben ohne Gott“ ist am Ende eben doch eine sehr düstere Angelegenheit.
„Sterben ohne Gott“, Dokumentation, 80 Minuten, Regie: Moritz Terwesten, Kinostart: 13. März 2025, FSK: ab 12 Jahre