Selfiekultur als moderner Ablass

Wie können Christen ihren Glauben im Internet leben? Darum ging es bei einer Veranstaltung im Rahmen des Dynamissio-Kongresses in Berlin. Der Medienethiker Thomas Zeilinger kritisierte den Zwang zur Selbstdarstellung in den sozialen Medien.
Von Nicolai Franz
Thomas Zeilinger ist Privatdozent an der Universität Erlangen-Nürnberg

Das Internet und die sozialen Medien gehören für viele Menschen selbstverständlich zum Leben dazu. Auf Gefahren in der Onlinekommunikation wies Thomas Zeilinger, Medienethiker an der Universität Erlangen-Nürnberg, beim Kongress Dynamissio in Berlin hin. Die Möglichkeiten im Netz trügen dazu bei, dass Menschen sich mehr selbstverwirklichen und -optimieren wollten. Zeilinger verglich diesen Trend mit der mittelalterlichen Ablasspraxis, in der sich Christen von ihren Sünden angeblich loskaufen konnten.

Der Protest Luthers gegen den Ablass sei ein Protest gegen die Selbstvergewisserung durch Taten gewesen. „Der Trend zur Selbstoptimierung ist ein Scheinversprechen, in dem intime Überwachung exerziert wird und nicht die versprochene Freiheit.“ Der Forscher plädierte für eine „Zivilisierung des digitalen Raums“.

Christen forderte er dazu auf, nicht zu resignieren, sondern sich positiv in Online-Debatten einzubringen. Positive Beiträge könnten zusätzlich zu notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen zu einer konstruktiven Netzatmosphäre beitragen.

Gemeinde wird virtuell

Der Schriftsteller Gofi Müller forderte ein Umdenken in Bezug darauf, wie Gemeinden auszusehen haben. Klassische, analoge Gemeindeformen würden nicht mehr alle Menschen erreichen. Müller machte dafür den Anpassungsdruck in christlichen Gemeinden verantwortlich. Für Autisten, Burnout-Betroffene, Manager, Schichtarbeiter und andere Gruppen sei eine geistliche Internetgemeinschaft eine gute Alternative zu traditionellen Gemeindeformen mit Kirchengebäude und festen Gottesdienstzeiten. Beispielhaft machte er dabei auf den Podcast „Hossa-Talk“ aufmerksam, den er zusammen mit einem Kollegen veröffentlicht.

Rolf Krüger, Gründer von jesus.de und der Gebetsplattform amen.de, plädierte dafür, Gottes Liebe im Internet zu leben. Der Auftrag der Christen sei nicht, zu sagen, was richtig und falsch ist, sondern „die Menschen mit der Quelle der Liebe bekannt zu machen“, nämlich Gott. Das sei ein besserer Ansatz „als sich immer darüber zu streiten, wer denn nun recht hat“.

Der Kongress hat das Ziel, Gemeinden und Gemeindemitarbeiter in ihrer missionarischen Arbeit zu stärken, insbesondere mit Blick auf das Reformationsjubiläumsjahr 2017. An der Organisation beteiligt sind landes- und freikirchliche Akteure, unter anderem die Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste, die Deutsche Evangelische Allianz, der Evangelische Gnadauer Gemeinschaftsverband und der Bund freikirchlicher Pfingstgemeinden. Dazu sind laut Veranstaltern rund 2.300 Teilnehmer angereist. (pro)

Von: nf

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