Schwarzer schwärzt!

Alice Schwarzers konstruierte Synthese Islamisten – Evangelikale ist daneben, so daneben, dass es schon wieder nachdenklich macht. Eine Kolumne von Jürgen Mette
Von Jürgen Mette
Der Theologe Jürgen Mette leitete viele Jahre die Stiftung Marburger Medien. 2013 veröffentlichte er das Buch „Alles außer Mikado – Leben trotz Parkinson“, das es auf die Spiegel-Bestsellerliste schaffte.

Von welchen Evangelikalen spricht Alice Schwarzer, wenn sie in einem Beitrag für die Welt einen direkten Zusammenhang zwischen Islamisten und Evangelikalen herstellt? Schwärzt Schwarzer bewusst in schwarz/weiß?

„Auch ihr Credo ist der fundamentale Unterschied zwischen den Geschlechtern und die Unterwerfung von Gesellschaft und Staat unter ihre ‚Gottesgesetze‘“, heißt es in dem Text, und weiter: „Die Evangelikalen sind heute unter anderem in Schwarzafrika und Osteuropa in der Offensive. Sie werden auch in Westeuropa nicht mehr lange auf sich warten lassen.“

Ich hätte der sympathischen und streitbaren Frauenrechtlerin mehr Sachkenntnis und Unterscheidungsvermögen zugetraut. Wer sich für solch ignorante Pauschalurteile nicht zu schade ist, der pfeift offenbar auf den unvoreingenommenen religionswissenschaftlichen und theologischen Vergleich. Der würde nämlich Frau Schwarzers These ad absurdum führen.

Auf sich warten lassen, Frau Schwarzer? Die Evangelikalen sind schon längst da. Schon über 150 Jahre. Überwiegend nicht-fundamentalistische, theologisch aufgeklärte und ethisch differenzierte Evangelikale. Rund eine Million Christinnen und Christen, die ihren Glauben in Kirchen und Freikirchen überzeugend leben, zum Beispiel diakonisch-seelsorgerlich in der Flüchtlingshilfe, sich kulturell und politisch einmischen und die ohne Ihren dogmatisch-ideologischen Feminismus frei und selbstbewusst leben. Diese Evangelikalen werden von demokratischen Politikern für ihr „hohes bürgerschaftliches Engagement“ gelobt und von AfD-Politikern als „Gutmenschengesäusel“ verhöhnt. Diese Evangelikalen haben mit Islamismus so wenig am Hut, wie Sie, Frau Schwarzer, mit Burschenschaften und dem Ostpreußischen Frauengebetsbund.

Wir sollten uns fragen, wie das Zerrbild zustande kommt

Man könnte sich über solch eine Fehleinschätzung ärgern. Man könnte Frau Schwarzer in Leserbriefen konservativer Gazetten und Internet-Foren schlechte Arbeit, ideologische Verbohrtheit oder Christenhass bescheinigen.

Wir Evangelikalen sollten lieber uns selbst fragen, wie ein solches Zerrbild zustande kommen konnte. Vielleicht durch einige verblüffende Ähnlichkeiten.

Der Islam schützt seine Heilige Schrift, den Koran, vor dem Zugriff der säkularen Wissenschaft. Was heilig ist, so wird argumentiert, darf nicht in Hände gottloser Kritiker geraten. Die Bibel hat die Konfrontation mit der Aufklärung und der historischen Literaturkritik bestanden. Der Koran nicht. Aber es gibt konservative Christen, denen ein solches Schriftverständnis nicht fremd ist.

Der Islam tritt politisch auf. Die in Deutschland lebenden Türken sind nicht auf die Straße gegangen, als ihr Sultan vom Bosporus Kanzlerin Merkel mit den Nazis verglichen hat. Dieses Schweigen ist hochpolitisch. Und manche Muslime fühlen sich mehr der Scharia als der Verfassung ihrer neuen Heimat verpflichtet. Das ist in Deutschland dank der Aufklärung nicht möglich, aber in den Köpfen einiger evangelikaler Christen nährt sich immer mal wieder der Wunsch nach einer radikal-christlichen Politik.

Der Islam hat ein Gewaltproblem. Wenn Muslime gegen Andersgläubige Gewalt anwenden, dann können sie sich auf den Koran beziehen. Die Bibel hat auch ein Gewaltproblem, aber Jesus Christus hat dieses Problem theologisch gelöst (Matthäus 5,38 ff). Christen können nie Andersgläubigen im Namen Gottes Gewalt antun, denn das Neue Testament fordert genau das Gegenteil.

Bevor wir uns über Frau Schwarzers undifferenzierte und ignorante Meinung empören, könnten wir uns fragen, ob wir selbst ihr am Ende das Futter dazu geliefert haben.

Dennoch, Schwarzers konstruierte Synthese Islamisten – Evangelikale ist daneben, so daneben, dass es schon wieder nachdenklich macht.

Von: Jürgen Mette

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