Der Islam ist ein „verfallenes Haus“, das dringend renoviert werden muss. Diese These vertrtitt der niederländische Sozialwissenschaftler Ruud Koopmans in seinem Buch „Das verfallene Haus des Islam“, das im Februar auf Deutsch erschien. Im Interview der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom Samstag erklärt er dazu, der Islam müsse sich vom Fundamentalismus befreien, sonst werde er „weitere Häuser“ beschädigen.
Der Islam sei nicht an sich fundamentalistisch, seine religiösen Quellen seien mehrdeutig und könnten auf verschiedene Weise interpretiert werden. Das zeige sich etwa daran, dass in früheren Jahrhunderten die Wissenschaft im Islam geblüht habe. Diese Religion habe „in Sachen Toleranz, Wirtschaftsentwicklung und Innovationen bessere Zeiten gekannt“ als im Moment. Heute werde die Moderne von vielen Muslimen als Fremdkörper gesehen und mit „dem historischen Konkurrenten, dem Christentum, assoziiert“. Deshalb gälten Reformer oft als „Verräter an der eigenen Tradition und Handlanger des Westens“, sagte Koopmans der Zeitung.
Christentum war auch nicht immer friedlich und tolerant
Im Vergleich zum Christentum habe die Verbindung von Staat und Religion im Islam eine deutlich stärkere historische Basis. Außerdem gebe es im Christentum keine Entsprechung zur Scharia, also der Idee, dass das religiöse Gesetz die Grundlage für die staatliche Rechtsordnung ist. Koopmans verweist aber auch auf die Geschichte der christlich geprägten Länder: Zur Zeit der Religionskriege und der Inquisition sei das Christentum ebenfalls nicht besonders friedlich und tolerant gewesen. „Auch das Christentum oder jede andere Ideologie oder jedes andere politische System wurde und wird nie in jeder Hinsicht unbeschmutzt sein.“
Mit Blick auf die Wertvorstellugen muslimischer Migranten in Europa sagte Koopmans, dass das Ausmaß an einer ablehnenden Haltung gegenüber Homosexuellen, an Antisemitismus, religiösem Fundamentalismus und traditionellen Auffassungen von Geschlechterrollen unter ihnen deutlich höher sei als in der Mehrheitsgesellschaft und in anderen Migrantengruppen – jedoch geringer als im Herkunftsland. Koopmans beobachtet langfristig eine Annäherung der Werte an die der Einwanderungsgesellschaft.
Koopmans ist Professor für Soziologie und Migrationsforschung an der Humboldt-Universität in Berlin.
Von: Jonathan Steinert