Meinung

Raus aus der Filterblase, rein in die Debatte

Die Nachrichten-App „Buzzard“ stellt ihren Nutzern verschiedene Meinungen und Perspektiven zu wichtigen Themen aus Politik und Gesellschaft bereit, die sich in der Medienlandschaft finden. PRO hat sie getestet.
Von PRO
Jugendliche mit Smartphone

„In einer Zeit, in der Menschen immer mehr in ihren Denkmustern verharren und Verschwörungstheorien soziale Netzwerke überfluten, wird es wichtiger denn je, den Überblick zu behalten – und verschiedenste Perspektiven kritisch prüfen und einordnen zu können.“ Deswegen haben die beiden 29-jährigen ehemaligen Politikstudenten Dario Nassal und Felix Friedrich gemeinsam die App „Buzzard“ entwickelt, die ihre Nutzer täglich mit den wichtigsten Themen und Debatten aus Politik und Gesellschaft versorgt.

Besonders an der App ist ihr Ansatz, zu verschiedenen Nachrichtenthemen des jeweiligen Tages unterschiedliche Perspektiven zu präsentieren. Finden zum Beispiel Sondierungsgespräche nach der Wahl statt, werden in den vier bis sechs „Perspektiven zum Thema“ Vor- und und Nachteile der möglichen Bündnissen thematisiert, sowie Hintergründe geliefert oder bereits bestehende Länderkoalitionen analysiert. Das Buzzard-Team fasst die verschiedenen Perspektiven aus anderen Medien zusammen und verlinkt die Originalbeiträge, damit der Nutzer sich bei Bedarf weiter informieren kann. Zusätzlich dazu findet man Hintergrundinformationen zu Autoren und Medien, was besonders für ein junges Publikum hilfreich sein kann, um die Quellen einzuordnen.

Damit soll die Medienkompetenz der Nutzer gefördert werden, um sogenannten „Filterblasen“ entgegenzuwirken, in denen sich Menschen vorwiegend mit Gleichgesinnten über bestimmte Themen austauschen und dabei von ihrer Community immer wieder in ihrer Meinung bestätigt werden. Positionen, die nicht der eigenen entsprechen, können einfach „rausgefiltert“ werden – nicht zuletzt durch Algorithmen, die dem Nutzer nur das anzeigen, was er sehen will.

Zum Feierabend zwei Themen des Tages

Bei der Auswahl der Perspektiven wird in der App fast ausnahmslos darauf geachtet, verschiedene Sichtweisen in gleicher Anzahl zu berücksichtigen. Täglich durchforstet das zwölfköpfige Team dabei nach eigenen Abgaben etwa zehn Stunden lang einen Pool aus 1.800 deutschen und englischsprachigen Quellen, die gewisse journalistische Mindeststandards erfüllen müssen. Die „rote Flagge“ wird gehisst, wenn Medien beispielsweise als verfassungsfeindlich eingestuft werden, kein Impressum vorweisen können oder zu Gewalt gegen Menschen aufrufen. Trifft das zu, wird das Medium bei der Quellenauswahl folglich nicht berücksichtigt. Die Nutzer können unter dem Reiter „Methodik“ nachlesen und klar nachvollziehen, wie das Team bei der Auswahl seiner Themen und Perspektiven vorgeht. Ein Beirat, der mit Journalisten, Wissenschaftlern und anderen Medienschaffenden besetzt ist, unterstützt das Buzzard-Team zusätzlich bei der Auswahl seiner Quellen.

Die App stellt Perspektiven aus verscheidenen Medien einander gegenüber

So weit, so gut. Die App ist übersichtlich gestaltet, man findet sich leicht zurecht und das Design wirkt ebenso schlicht wie modern. Pünktlich zum Feierabend bekommt der Nutzer zwei Tagesthemen mit unterschiedlichen Perspektiven auf sein Smartphone geliefert sowie eine aktuelle Debatte, die in Pro- und Kontra-Statements erörtert wird. Die Debattenthemen werden immer als Fragen formuliert, die teils etwas suggestiv daherkommen: „Sollte die Presse im Wahlkampf mehr über Inhalte berichten – und weniger über Personen?“

Zwischen Pro und Kontra eingezwängt

Was der Übersichtlichkeit der App zugute kommt, ist mit Blick auf die Komplexität der allermeisten gesellschaftlichen und politischen Streitthemen aber problematisch: Um wirklich zu einer verbesserten Debattenkultur beizutragen, müsste es auch Raum für Perspektiven geben, die nicht in das doch recht einfache Pro-Kontra-Schema der App passen. Die Fragen, die in den Debatten gestellt werden, sind äußerst relevant und gut ausgewählt, trotzdem fehlt durch die geschlossene Fragestellung der Raum, die unzähligen Nuancen zwischen Gut und Schlecht, Dafür oder Dagegen auszuloten und in die Debatte einzubeziehen.

Die Plattform wirbt mit dem Versprechen: „Diskutiere mit Menschen, deren Ansichten neu für dich sind und die deinen Horizont erweitern.“ Diese Möglichkeit wird dem Nutzer in der App aber nicht gegeben. Allerdings hat Buzzard im Schuljahr 2020/21 ein Pilotprojekt an mehreren deutschen Schulen gestartet, in dem Schüler und Lehrer kostenlosen Zugang zur App bekommen und letztere mit Unterrichtsmaterial, beispielsweise zum Thema Debattentraining, unterstützt werden. In Fächern wie Politik oder Gemeinschafts- und Sozialkunde ist der Einsatz der App sicherlich sinnvoll, um durch die präsentierten Themen gute Grundlagen für die Diskussionen zu schaffen, die im Klassenzimmer stattfinden. In diesem Rahmen haben Buzzard-Nutzer dann auch die Chance, sich intensiver mit den Debattenthemen zu befassen.

Die von den Lehrern geleiteten Diskussionen im Klassenzimmer sind auch deswegen wichtig, um den Schülern eins klarzumachen: Die App kann zwar durchaus nützlich dabei sein, verschiedene Meinungen und Perspektiven aus der Medienlandschaft kennenzulernen und diese einzuordnen. Um aber zu verstehen und ein Gespür dafür zu entwickeln, welche Stimmen besonders gegenüber anderen ins Gewicht fallen und das Meinungsklima prägen, müssen die Schüler auch selbst lernen, ihren Blick auf wichtige gesellschaftliche und politische Themen außerhalb der App zu richten. Denn ein tatsächlicher „Medienspiegel“, wie die App einer sein will, ist sie eigentlich nicht.

Breites Meinungspektrum

Die lobenswerte Unparteilichkeit, die konträre, auch unpopuläre Perspektiven einander gegenüberstellt, macht Buzzard eher zu einem recht breit aufgestellten Meinungsspiegel. Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie das gesellschaftliche Stimmungsbild zu den Themen dieser Zeit ist und wie dieses medial aufgegriffen wird, reicht die App vermutlich aber nicht aus.

Unterm Strich liefert Buzzard einen guten Überblick über wichtige Themen und schafft durch die aufbereiteten Hintergrundinformationen zu Medien und Journalisten einen Mehrwert insbesondere für junge Nutzer. Für Schüler und Studenten ist das ermäßigte monatliche Abo zum Preis von 3,50 Euro durchaus erschwinglich. Durch das sehr breite Meinungsspektrum, das man in den Perspektiven wiederfindet, muss der Nutzer zwangsläufig seine eigene Filterblase verlassen und sich mit anderen Positionen auseinandersetzen.

Ob sich die Debattenkultur dadurch langfristig verändert, hängt aber im Wesentlichen davon ab, ob die Nutzer bereit sind, mit Andersdenkenden auch in einen echten Diskurs zu treten. Schließlich lebt die Debatte, die mehr ist, als das reine Erörtern der möglichen Pros und Kontras, vom persönlichen Gespräch.

Von: Ellen Fritsche

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