Rassisten sind immer die anderen

Der ägyptisch-deutsche Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad hat ein sehr kluges Buch über Rassismus geschrieben. Es geht weit über die übliche - gerechtfertigte - Verurteilung hinaus. Er berichtet von eigenen Erfahrungen mit Rassismus. Solchen, die ihn trafen, und solchen, derer er sich selbst schuldig machte.
Von Jörn Schumacher

Was Rassismus ist, und wo er auftritt, ist bei weitem nicht immer so leicht zu erkennen wie gemeinhin anzunehmen. Zu dieser Erkenntnis muss der Leser des Buches „Schlacht der Identitäten: 20 Thesen zum Rassismus“ von Hamed Abdel-Samad kommen. Abdel-Samad stellt jedem Kapitel seines Buches Thesen voran, die erhellend sind, manchmal auch provozierend. „Die Haltung verändert die Sprache, nicht umgekehrt“ lautet etwa eine These. Oder die These, es gebe geradezu eine „Rassismus-Industrie“, die davon profitiert, dass wir ein Rassismusproblem haben. Die Rassismusdebatte werde von einer Elite dominiert und instrumentalisiert, die einen konstruktiven Diskurs unmöglich mache.

Abdel-Samad wurde in Ägypten geboren. Er ist vor allem bekannt als Autor islamkritischer Bücher, er war zehn Jahre lang Mitglied der Deutschen Islamkonferenz. Der Muslimbruderschaft wirft er „islamischen Faschismus“ vor. Es gab mehrere Mordaufrufe gegen ihn.

Er selbst könne nicht behaupten, anderen Menschen immer vorurteilsfrei zu begegnen. Rassismus beginne damit, „dass ich mein Gegenüber nicht als Individuum betrachte, sondern als Teil einer Masse, die genauso aussieht, denkt und handelt wie er oder sie. Aus irgendwelchen Gründen lehne ich ab, wie mein Gegenüber aussieht, denkt und handelt. Ich lade diese Ablehnung mit Emotionen auf, steigere mich immer in meinen Hass hinein und unterstelle ihm, mich schädigen oder gar vernichten zu wollen.“

Samad spricht aber auch schonungslos das Problem von „Antirassisten“ an, die sich der gleichen Mittel wie die Rassisten bedienten. „Sie polarisieren, indem sie die Gesellschaft in Gut und Böse einteilen. Sie überhöhen die eine Gruppe und verachten die andere, sie grenzen Andersdenkende aus und sind im Namen der Toleranz vor allem eines: intolerant.“ Auch wer sich weigere, mit AfD-Wählern zu reden, aber sich mit rechtsradikalen Migrantenverbänden verbünde, Lesungen von Thilo Sarrazin, Vorlesungen von Bernd Lucke oder Jörg Baberowski sabotiere, handele nicht viel besser.

Er selbst wurde als Faschist bezeichnet, berichtet Abdel-Samad, der die Josef-Neuberger-Medaille für seinen Kampf gegen Rassismus erhielt. Er sei von Mitgliedern der Antifa vor einer Lesung in München mit brennenden Kerzen beworfen worden. Die Aktivisten merkten offenbar nicht, dass sie sich „einer Form der Einschüchterungstaktik bedienten, die auch die Faschisten und Nationalsozialisten genutzt hatten“, so Abdel-Samad anklagend. „Jemanden verbal oder sogar tätlich daran zu hindern, eine Meinung zu äußern, trägt nicht zur Lösung eines Problems bei.“

Anti-Rassisten mit rassistischen Methoden

Antirassismusaktivisten, die Denkmäler vom Sockel stoßen, meinten, begangenes Unrecht rückwirkend wiedergutmachen zu können. Ihn erinnere das an die militanten Islamisten, die 2001 die Buddha-Statuen im afghanischen Bamiyan in die Luft jagten, und 2015 den sumerischen Bēl-Tempel im Irak – mit der Begründung, sie seien nicht islamisch.

Abdel-Samad: „Viele Linksliberale neigen dazu, alle Probleme in Migrantenmilieus nur aus sozio-ökonomischer Sicht zu betrachten. Ob Terrorismus, Kriminalität oder Desintegration – die Gründe dafür liegen für sie in Armut, gesellschaftlicher Marginalisierung und fehlender Teilhabe. Wenn man kulturelle, religiöse und strukturelle Faktoren anspricht, die solche Probleme wenigstens begünstigen können, gilt das schon als Rassismus.“

Immer wieder spricht Abdel-Samad eigene Erfahrungen an, bei denen er sich bei rassistischen Gedanken ertappte. „Was ich im Kleinen während meiner Kindheit erlebt habe, bringt im Großen ganze Länder an den Rand des Ruins“, etwa im Libanon, wo es 18 unterschiedliche religiöse und ethnische Gruppen gebe, die sich zwischen 1975 und 1990 in einem brutalen Bürgerkrieg bekämpften.

Im Kapitel mit der Überschrift „Rassisten sind immer nur die anderen“ mahnt er: „Wir alle tragen schwere Koffer mit uns, deren Inhalte wir uns zunächst nicht selbst ausgesucht haben.“ Seine eigenen Vorurteile gegenüber Juden seien auf uralten Traditionen seines Landes gewachsen, die er übernommen habe. Doch er sei irgendwann in der Lage gewesen, diese als falsch zu erkennen. „Und dennoch kann ich nicht behaupten, dass ich heute anderen Menschen immer vorurteilsfrei begegne. Wir alle tappen fast täglich in die Falle der Konditionierung.“

Ein wertvolles Buch, gerade in der aktuellen teilweise hitzigen Debatte um Rassismus. Das Thema wird hier aus der Perspektive von jemandem betrachtet, der sich nicht nur professionell seit langem damit auseinandersetzt, sondern auch subjektiv von beiden Seiten des Rassismus-Vorwurfes zu berichten weiß.

Hamed Abdel-Samad: „Schlacht der Identitäten: 20 Thesen zum Rassismus – und wie wir ihm die Macht nehmen“, dtv Verlagsgesellschaft, 144 Seiten, 14 Euro, ISBN-13 978-3423282758

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

2 Antworten

  1. Offensichtlich ein sehr lesenswertes, weil differenziertes und auch selbstkritisches, ehrliches Buch.
    Vielen Dank für diesen Buchtipp.

    Die scheinbar immer größer werdenden gesellschaftlichen Spaltungen auf Basis von Rasse und Geschlecht haben ihren Grund auch darin, dass viele das Pauluswort nicht kennen: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“

    Deshalb, besinnen wir uns auf christliche Vorbilder wie William Wilberforce, Dietrich Bonhoeffer, Petrus Claver, Jozef de Veuster (Father Damien), …

    0
    0
  2. An die von Mel genannten Vorbilder sollten wir uns in der Tat orientieren. Doch leider hat auch der Evangelikalismus eine dunkle und rassistische Seite. Zum Beispiel verlor Billy Graham – der eng mit Martin Luther King zusammengearbeitet hat – schon Ende der 1950er viele Geldgeber, nach dem er öffentlich angekündigt hatte, nie mehr auf einer Veranstaltung zu sprechen, bei der Rassentrennung praktiziert wird. Die Nachwirkungen eines solchen „frommen“ Rassismus reichen leider bis in die heutige Zeit.

    0
    0

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen