„Psychische Folgen der Pandemie gleichen einem Atomangriff auf unsere Seelen“

Neun Krimis an einem Tag sendete das ZDF – David Kadel platzte darauf der Kragen. Im Interview erklärt er, was er sich stattdessen von öffentlich-rechtlichen Sendern wünscht.
Von Nicolai Franz
David Kadel

Auf Facebook haben Sie neulich mit der Programmplanung des ZDF abgerechnet. Insbesondere die vielen Krimis stören Sie. Warum?

Ich habe nichts gegen Krimis – aber in meinem offenen Brief an den ZDF-Intendanten Himmler geht es um die fehlende Ausgewogenheit. Am Tag meines Schreibens, am 11. Oktober, liefen neun Krimis im ZDF! In diesen heftigen Krisenzeiten, die wir gerade erleben, brauchen wir nicht neun Morde, sondern ermutigende Formate. Das ZDF hatte ja in seinem Gründungsvertrag einen Bildungsauftrag unterschrieben und sich damit verpflichtet, die gewaltige Wirkung des Massenmediums Fernsehen nicht zu unterschätzen oder zu missbrauchen, sondern zum „Wohl der Gesellschaft“ einzusetzen. Apropos glückliche Gesellschaft: Die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg erleben wir in Deutschland seit Beginn der Pandemie, gefolgt von Ukraine-Krieg und der aktuellen Energie-Krise. Millionen von Menschen wachen in unserem Land morgens mit Sorgen auf und gehen mit ihren Ängsten abends schlafen. In Ängsten gefangen zu sein, ist kein Spaß. Alleine die psychischen Folgen der Pandemie gleichen einem Atomangriff auf unsere Seelen. Soziologen sprechen von Massen-Depression unserer Gesellschaft.

Jugendliche, die in ihrer Verzweiflung heftige psychische Erkrankungen erleiden, müssen bis zu 9 Monate warten, um einen Termin zu bekommen in der Jugendpsychiatrie.
Und wie lautet die Antwort auf das ZDF, mit seinen Tausenden von Mitarbeitern? Neun Morde servieren Sie uns in diversen Krimis an nur einem Tag! Menschen werden erwürgt, erstochen, erschossen, brutal erstickt, vergiftet, vergewaltigt, zu Tode gefoltert.

Was wollen Sie stattdessen im Fernsehen sehen?

Spätestens als sich die Corona-Krise zuspitzte, hätte das ZDF eine große Möglichkeit gehabt – und hat sie auch noch heute – Millionen Menschen Mut zu machen.

Zwischen all den Sondersendungen, die uns fast täglich Angst machen, könnten Sie ganz bewusst Mutmach-Sendungen ausstrahlen, die uns helfen, besser mit dem ganzen Wahnsinn umzugehen. Man hätte Eckart von Hirschhausen, Samuel Koch, Johannes Warth, Rainer Wälde und anderen Ermutigern ein Mutmach-Format geben können, in dem sie uns machen und auch die schönen Seiten des Lebens zeigen, um etwas Lebensfreude in unsere krisengeschundenen Seelen zu bringen. 

Fernsehmacher der Öffentlich-Rechtlichen geben immer wieder an, dass die Zuschauer nun mal Krimis sehen wollen – das würden schon die Einschaltquoten zeigen. Haben Sie dafür Verständnis? 

Klar habe ich Verständnis dafür, ich mag gut gemachte Krimis ja auch – aber diese Maßlosigkeit mit neun Krimis am Tag zeigt uns doch, wie wenig denen auf dem Lerchenberg noch einfällt, um Menschen gut zu unterhalten – ich möchte beinahe sagen: Ihnen fehlt jegliche Empathie, was Menschen in Krisenzeiten wirklich brauchen. Wir wollen inspiriert werden, durch Geschichten, die uns berühren, um hier und da eine gute Message mitzunehmen in unseren fordernden Alltag. Zumindest ist das meine Vorstellung von gutem Fernsehen. Klar braucht es hier und da einen stupiden Actionfilm und Popcorn-Comedy, aber mit meiner Kritik möchte ich ja bewusst anregen, darüber nachzudenken, wie man Menschen in einer „Massendepression“, wie Soziologen sagen, wieder aufrichten und stärken kann.

Haben Sie konkrete Formate im Auge, die die Öffentlich-Rechtlichen bringen sollten?

Das ZDF könnte in diversen Formaten sicher jede Menge mutmachender Geschichten erzählen – wenn sie nur wollten. Denn es gibt sie an jeder Ecke, Geschichten von Menschen, die füreinander da sind, die kreativ werden, um anderen zu helfen, die Initiativen starten, um Menschen zu zeigen „Ihr seid uns nicht egal“. Michael Stahl, Andi Weiss, Deborah Rosenkranz, Rainer Zilly, Stefan Lepp, Tim Niedernolte, Torsten Hebel, Daniel Höly, Josef Müller: Dutzende meiner Freunde haben Mutmach-Projekte geschaffen, über die man erzählen könnte. 

Ich selber darf seit zwei Jahren das Mutmach-Projekt „Wie man Riesen bekämpft“ leiten, in dem wir krebskranke Kinder, aber auch Jugendliche in Jugendpsychiatrien besuchen. Das machen wir zusammen mit Fußballprofis in ganz Deutschland und es fließen bei all den Mutmach-Events, die wir auf den Kinderkrebsstationen erleben, immer wieder Tränen der Freude, weil uns Menschen sagen: „Danke, dass Sie das tun, das hilft uns in dieser schweren Zeit den Glauben an das Gute nicht zu verlieren“ Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum die Programmgestalter immer noch an dem uralten Mist festhalten: „Nur schlechte Nachrichten und Morde lassen sich verkaufen.“ So zu denken und zu senden, ist ewig vorgestrig, zynisch und menschenverachtend. Sorry, dass ich das so deutlich sage, aber es macht mich wirklich wütend zu sehen, wie gleichgültig hochbezahlte und hochgebildete Redakteure sein können. 

Finden Sie, dass die Privaten es besser machen?

Ich bin echt kein Freund der Privaten, aber von RTL II und Co. erwarte ich auch nichts, da sie ja keinen Bildungsauftrag unterschrieben haben, sondern lediglich Geld machen wollen durch Unterhaltung, was auch völlig legitim ist. Aber von ARD und ZDF dürfen wir zurecht – auch weil wir die Gebühren bezahlen – einen gewissen Anspruch erwarten und vor allem ein Gefühl für das, was Menschen guttun könnte. All die tausenden Sondersendungen über Corona, über zerbombte Kinder in der Ukraine, über die unbezahlbare Energie im Winter, spüren die bei ARD/ZDF nicht, dass das etwas mit uns macht? Ich kenne extrem viele Leute, die mir erzählen, dass sie diese Sendungen bewusst nicht mehr schauen, weil sie gemerkt haben, wie es mehr und mehr Ängste und Depressionen auslöst. Ist ja auch klar, wir sind keine Roboter, sondern Menschen mit Mitgefühl. Und in Mainz denken die wirklich, dass man verunsicherte, verängstigte Menschen mit schlecht gemachten Krimis zuschüttet? Das ist deren Antwort auf die größte Krise, die unsere Generation je erlebt hat?! Sicher hat das ZDF auch viele gute Sendungen im Programm, und jeder kann ja heute sein eigenes Programm zusammen stellen, aber darum geht es mir in meiner Kritik nicht. Mir geht es ganz deutlich um Verantwortung und Empathie gegenüber von Millionen Menschen, die abends müde die Glotze anschalten und – jetzt kommt ein Konjunktiv – die man mit einem Mutmach-Programm stärken und ermutigen könnte, für all ihre Herausforderungen und Nöte. Das ist eine Riesenchance für ARD/ZDF, die sie aber seit Beginn der Pandemie leider nicht nutzen – bisher – die Hoffnung stirbt zuletzt. Ich habe Dr. Himmler mein Mutmach-Buch „Wie man Riesen bekämpft“ geschickt, mit 35 wahren Mutmach-Geschichten, und ihm Mut gewünscht das Programm einmal zu hinterfragen. Mal sehen wie er reagiert. Für einige mag meine Kritik anstößig sein, aber ich liebe das Zitat von Johannes Rau: „Nur wer anstößig ist, kann auch etwas anstoßen!“

Krimis sind nicht zwingend negativ – je nachdem, wie die Geschichte aufgezogen ist, kann ein Krimi sogar Mut machen. Sehen Sie das anders?

Ich bin ein echter Cineast, habe gefühlt 1000 Filme in meinem Leben gesehen, aber an einen ermutigenden Krimi kann ich mich wirklich nicht erinnern. Vielleicht dann, wenn die Kommissare, zum Beispiel Liefers und Prahl im Münster-Tatort, sehr empathisch auftreten und zeigen, dass man Menschen in schwierigen Situationen auch Mut machen kann, anstatt nur kalt seinen Job auszuüben. Aber ich denke, das ist eher die Ausnahme. Der Trend geht eher in die Richtung, dass man Wert darauf legt, dass die Morde noch perfider oder grausamer sein müssen, damit es beim Zuschauer – der in seinem TV-Leben schon viel gesehen hat – überhaupt noch einen Kick auslöst.

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4 Antworten

  1. “ Alleine die psychischen Folgen der Pandemie gleichen einem Atomangriff auf unsere Seelen.“ – Also allein durch die Schlagzeile sollen die clickbaites generiert werden, soweit, so bedauerlich bei PRO, aber wir wollen sauber trennen: das durch den polit-medialen Komplex erzeugte „Pandemie-Narrativ“, bislang über zwei Jahre mit all den fürchterlichen Folgen am Leben erhalten, das ist der „atomare Angriff“, dem wir alle ausgesetzt sind. Was das jetzt mit ZDF-Krimis zu tun hat, nun ja, Münster-Tatort läuft ja bei den anderen, aber da ist’s auch um keinen Deut besser.

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  2. „Zwischen all den Sondersendungen, die uns fast täglich Angst machen, könnten Sie ganz bewusst Mutmach-Sendungen ausstrahlen, die uns helfen, besser mit dem ganzen Wahnsinn umzugehen.“

    Das war doch gar nicht gewünscht. Wer Angst hat ist eher bereit zum Verzicht und zur Akzeptanz von Freiheitseinschränkungen. Im Strategiepapier des Innenministeriums stand ja z.B: „Um die gewünschte Schockwirkung zu erzielen…“. Und weiter: „..Akzeptanz und Sinnhaftigkeit von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen erhöht“. Selbst Kindern sollte Angst gemacht werden: „Wenn sie dann ihre Eltern anstecken, und einer davon qualvoll zu Hause stirbt und sie das Gefühl haben, Schuld daran zu sein“.

    https://www.abgeordnetenwatch.de/recherchen/informationsfreiheit/das-interne-strategiepapier-des-innenministeriums-zur-corona-pandemie

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  3. Die Verschwörungsschwurbler kommen wieder aus dem Kaninchenbau:
    „das durch den politisch-medialen Komplex erzeugte ‚Pandemie-Narrativ'“, ein anderer Umgang war „doch gar nicht gewünscht“. Was ist das für ein tröger Unfug!

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  4. „Die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg erleben wir in Deutschland seit Beginn der Pandemie, gefolgt von Ukraine-Krieg und der aktuellen Energie-Krise.“ Prinzipiell teile ich die Einschätzung, nur, bitte mal „verbal etwas abrüsten“, außerdem stimmt die Reihenfolge so nicht. Denn die Pandemie ist lt. Vorsitzendem der StIKo vorbei. Der Ukraine-Krieg meines Wissens noch nicht, könnte sein, dass wir da erst noch im Vorgeplänkel sind. Die Energie-Krise ist auch nicht vorbei, obwohl fieberhaft an deren Ende gearbeitet wird. Tote soll es da wohl noch keine gegeben haben….

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