Protestantische Politiker nicht mehrheitlich links

Forscher des Exzellenzclusters Religion und Politik der Universität Münster haben die politische Ausrichtung protestantischer Parlamentarier untersucht. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass diese ein breiteres politisches Spektrum abdecken als viele vermuten. Mit der Datenbank „TheoParl“ wollen sie zudem eine Bestandsaufnahme von Landes- und Bundespolitikern ermöglichen.
Von Johannes Blöcher-Weil
Joachim Gauck wurde am 24. Januar 1940 in Rostock geboren

Protestantische Politiker waren über die Epochen hinweg im gesamten Spektrum der Parteien vertreten. Zu diesem Ergebnis kommen zwei Wissenschaftler des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ an der Universität Münster. Verschoben hätten sich lediglich die Schwerpunkte. Seien die Theologen im Kaiserreich mehrheitlich liberal und in der Weimarer Republik eher christlich-konservativ gewesen, gebe es in der jüngeren Vergangenheit Schwerpunkte im sozialdemokratisch-grünen Spektrum.

Die Forscher, der Sozialethiker Arnulf von Scheliha und die Theologin Uta Elisabeth Hohmann, betonen aber, dass die evangelischen Politiker insgesamt entgegen weit verbreiteter Klischees nicht mehrheitlich links engagiert seien. Auch von „einer oft unterstellten Rot-Grün-Werdung im Geiste der 1968er zu sprechen“, ginge zu weit. Die Forscher untersuchen aktuell die parlamentarische Tätigkeit evangelischer Theologen vom 19. Jahrhundert bis heute.

Stark vertreten in Umbruchzeiten

Protestanten seien zunächst Monarchie-orientiert gewesen, hätten aber früh Denkmodelle ausgebildet, um ihre Überzeugungen mit der demokratischen Idee zu verbinden, erklären die Wissenschaftler in ihrem Podcast „Religion und Politik“. In politischen Umbruchzeiten, etwa am Ende des 19. Jahrhunderts, seien protestantische Theologen besonders stark im Parlament vertreten gewesen – ohne eindeutige fachpolitische Spezialisierung.

Es habe auch etwa sozialdemokratische Protestanten im Kaiserreich gegeben. Aktuell seien Mandatsträger mit theologischem Hintergrund in einigen Länderparlamenten auch in der AfD vertreten: „In der Konstante ist aber das gesamte Spektrum abgedeckt“, erläutert Hohmann. Auch der überdurchschnittlich hohe Frauenanteil auf Reichs- und Bundesebene falle bei den ersten Ergebnissen auf, erklären die Wissenschaftler.

Während der Frauenanteil unter „theologischen“ Parlamentariern bei 44 Prozent liege, gebe es im gesamten Bundestag lediglich 30 Prozent Frauen. In den Länderparlamenten dominierten dagegen die männlichen Theologen. Als prominente Vertreter der jüngeren Vergangenheit bezeichnen die Forscher unter anderem die Pastorin und Grünen-Politikerin Antje Vollmer, Susanne Kastner von der SPD, den CDU-Politiker Peter Hinze sowie Joachim Gauck, der 1990 für einige Monate Abgeordneter in der DDR-Volkskammer war und später parteiloser Bundespräsident wurde.

Datenbank von Parlamentariern im Aufbau

Die beiden Wissenschaftler bauen zudem die Datenbank „TheoParl“ (Theologische Parlamentarier) auf. Sie soll eine umfassende statistische Bestandsaufnahme von Parlamentariern auf Landes- und Bundesebene seit 1848 ermöglichen. Die Ergebnisse speisen sich aus unterschiedlichen Quellen wie Parlamentshandbüchern, Parteiakten und Nachlässen. Aktuell gibt es rund 560 Einträge.

Als relevant für die Datenbank gelten Abgeordnete mit einem abgeschlossenen Studium der evangelischen Theologie und einem demokratisch erlangten Mandat. Die erste frei gewählte Volkskammer der DDR 1990 wies mit acht Prozent einen hohen „TheoParl“-Anteil auf. Dies führen die Forscher darauf zurück, dass viele Theologen bereits in ihrer kirchlichen Arbeit demokratische Verfahren kennengelernt hatten und durch ihre Ausbildung besonders sprachfähig für die Arbeit im Parlament waren.

Mehr als die Hälfte von ihnen war zuvor im Pfarramt tätig. Am zweithäufigsten ist das Berufsfeld Schule vertreten. Andere Abgeordnete waren zuvor in Hochschulen oder im Journalismus tätig. „Mit diesem weiten Theologiebegriff können wir in unserer Studie schon früh Frauen als Parlamentarierinnen berücksichtigen, denen zwar seit Ende des Kaiserreiches der Weg zum Theologiestudium offenstand, nicht aber das kirchliche Amt“, erläutert von Scheliha.

„Politische Pastoren sind ein Unding“

Ausgespart haben sie in ihren Forschungen die Zeit des Nationalsozialismus und der DDR bis 1990, wo es keine freien Wahlen gab. In ihrem Podcast gehen die Forscher noch auf einige Details ein. Kaiser Wilhelm habe politische Pastoren als „Unding“ bezeichnet. Sie sollten sich lieber um die Gemeinde kümmern. Willy Brandt habe bei der Berufung des Pastoren Heinrich Albertz für einen politischen Posten betont, dass „hier einer wisse, was Gut und Böse“ sei. Albertz selbst habe im Nachgang erklärt, dass mit solchen Aussagen die Messlatte für politisches Handeln besonders hoch gelegt sei.

Das Exzellenzcluster untersucht seit 2007 das komplexe Verhältnis von Religion und Politik quer durch die Epochen und Kulturen. Zum Cluster gehören 140 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 20 geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern und 10 Ländern. Die Forscher konzentrieren sich auf die monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam und ihre polytheistischen Vorläufer.

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