Prantl: „Notbremse ist Idiotisierung der Bevölkerung“

Der Journalist Heribert Prantl hat eine gerechtere Verteilung der Solidarität in der Pandemie gefordert. Der FDP-Politiker Jörg-Uwe Hahn warnte davor, zur Bekämpfung der Klimaprobleme Grundrechtsbeschränkungen in Betracht zu ziehen.
Von Norbert Schäfer
Heribert Prantl ist Journalist und Katholik. Er leitete unter anderem mehrere Jahre das Meinungsressort bei der Süddeutschen Zeitung.

Am Montag hat das Corona-Kabinett einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der Erleichterungen für Geimpfte und Genesene in der Pandemie vorsieht. Was aber ist mit Menschen, denen bislang noch kein Impfangebot unterbreitet worden ist oder die sich nicht impfen lassen wollen? Die Aufhebung der Grundrechtsbeschränkungen ist mit schwierigen Abwägungen verbunden. Auf einer Online-Diskussionsveranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung unter dem Titel „Mit dem Impfpass in die Freiheit“ haben am Montag Juristen und eine Physikerin über die Lockerung von Corona-Maßnahmen und Solidarität mit Covid-Gefährdeten diskutiert.

„Grundrechte stehen mir voraussetzungslos zu“, sagte der Journalist und Jurist Heribert Prantl. Die Debatte um den Impfpass komme ihm vor, als würde über einen Abholschein für ein Paket diskutiert. „Der Impfpass als Grundrechtszugangsberechtigung löst bei mir ambivalente Gefühle aus“, sagte der Jurist. „Ich muss mir ein Grundrecht nicht verdienen.“ Die Haltung, etwas tun zu müssen, um Grundrechte zu erhalten, liegt Prantl nach eigener Aussage fern.

„Grundrechte sind ein Grundnahrungsmittel zum Leben“

Positiv bewertet könne man den Impfpass als „Grundrechtsschrankenbeseitiger“ ansehen. Er lehne Maßnahmen jedoch nicht pauschal ab in der Pandemie, betonte Prantl. Es bedürfe jedoch einer feinen Abwägung der Maßnahmen. „Der Mensch braucht Leben“, sagte Prantl. „Die Grundrechte sind ein Grundnahrungsmittel zum Leben.“ Auch in der Krise benötige jeder, was er zum Leben brauche. Solidarität beginne bei der Frage, wen die Grundrechtseinschränkungen besonders träfen. Belastungen und gesellschaftliche Solidarität müssten gerecht verteilt werden, erklärte Prantl. Das sei aber derzeit nicht der Fall.

„Wir muten besonders viel Solidarität – das heißt: Grundrechtseinschränkungen – den Einzelhändlern, den Kulturschaffenden, den Gastwirten, auch den Jugendlichen zu.“ Durch die Häufung der Pandemie-Maßnahmen werde die gegenwärtige Generation zur Kontaktlosigkeit verdammt. „Das ist eine ungerechte Verteilung von Solidarität.“ Die Maßnahmen der vergangenen Monate hätte einige Gruppen „massivst benachteiligt“. Prantl verurteilte, dass zur Abwehr der Pandemie jedwede Maßnahmen in Betracht gezogen würden. „So darf man mit Grundrechten nicht umgehen.“ Die Notbremse nannte Prantl eine „maßlose Überregulierung“ und „Idiotisierung der Bevölkerung“. Auf „Millimeterpapier“ werde vorgeschrieben, was erlaubt sei. Die Menschen würden die Regeln nicht mehr verstehen, daher nützten diese nichts. Prantl wünscht sich, dass die Menschen nach der Pandemie gelernt haben, dass Grundrechte „nichts Abstraktes“ sind und wieder als „Fixpunkte der Gesellschaft“ begriffen werden.

FDP-Politiker Hahn: „Grundrechte sind keine Privilegien“

„Die Diskussion ist so vergiftet, weil immer von Privilegien gesprochen worden ist“, sagte der FDP-Politiker und ehemalige hessische Justizminister Jörg-Uwe Hahn im Hinblick auf die Debatte um die Grundrechtsbeschränkungen in der Pandemie. Es sei kein Privileg, wenn Menschen ihre Grundrechte wahrnähmen. „Jetzt bekommen wir erzählt, dass uns der Staat ein Privileg gibt, wenn wir wieder das machen dürfen, was uns zusteht“, sagte Hahn.

Der Forderung, dass für Geimpfte und Ungeimpfte weiter Einschränkungen gelten sollen, erteilte Hahn eine Absage. „Was hat das mit Solidarität zu tun? Wir sind Grundrechtsträger. Unser Grundrecht ist eingeschränkt worden. Wenn ich keine Gefahr mehr bin, darf mein Grundrecht nicht mehr eingeschränkt werden. Das hat mit Solidarität nichts zu tun.“ Nur solange ein Mensch einen anderen gefährde, dürfe ein Grundrecht eingeschränkt werden. Die Fachleute sollten deshalb sagen, wann eine Gefährdung vorliege.

„Ich will mir nicht anhören, ich bin daran schuld, dass die Pandemie länger dauert, nur weil ich auf meine Freiheitsrechte wieder haben will.“ Die Menschen würden nicht mehr glauben, was ihnen aus Berlin zur Pandemie erklärt werde. Hahn sprach sich gegen eine Impfpflicht aus. Hahn verwies auf die Klimadebatte und warnte davor, in dem Zusammenhang in Debatten über mögliche Beschränkungen der Grundrechte zur Abwehr der Klimakrise zu verfallen. Hahn rechnet mit weniger sozialen Kontakten und gravierenden Veränderungen in vielen Bereichen nach der Pandemie.

Wissenschaftlerin rechnet mit sinkenden Covid-Zahlen, aber auch einer weiteren Covid-Welle

Nach Ansicht der Physikerin Viola Priesemann spielen Impfungen die wesentliche Rolle zur Senkung der Covid-Zahlen. Der Rückgang der Fallzahlen hänge sehr stark vom Verhalten der Menschen ab. Der Impffortschritt dürfe nicht durch verschiedene Regeln für Geimpfte und Nicht-Geimpfte verspielt verspielt werden. „Geimpfte Menschen nehmen für sich die Gefahr weniger wahr und stehen in der Gefahr, durch ihr Verhalten andere Menschen verstärkt in Gefahr zu bringen“, sagte die Leiterin der Max-Planck-Forschungsgruppe für „Theorie neuronaler Systeme“, die Modelle zur Covid-Ausbreitung erforscht. Ausnahmen für bestimmte Gruppen verzögerten, dass insgesamt schneller eine niedrige Inzidenz erreicht werde.

Einschränkungen für alle würden gewährleisten, dass alle zügig wieder in komfortablere Verhältnisse gelangen könnten. Zu sagen, man stelle als Geimpfter keine Gefahr dar, stimme nicht. „Der Impfstoff bestimmt, wie schnell wir lockern werden können.“ Das „Design der Notbremse“ habe fünf Monate gebraucht. Saisonalität und Impffortschritt begünstigen die Situation. Die Wissenschaftlerin rechnet mit sinkenden Covid-Zahlen, jedoch einer weiteren Covid-Welle wegen der Rücknahme von Grundrechtsbeschränkungen und steigenden Kontakten bei nicht perfektem Impfschutz.

Rechtswissenschaftler: „Menschen sollen sich wieder ihrer Freiheitsrechte bewusst werden“

Der Rechtswissenschaftler Markus Ogorek bezeichnete die bestehenden Grundrechtseinschränkungen als „dramatisch“. Seit Gründung der Bundesrepublik habe es flächendeckend keine so schwerwiegenden Einschränkungen der Grundrechte gegeben.  Allerdings befinde sich das Land in der Pandemie in einer außergewöhnlichen Situation. Viele Maßnahmen seien aber in sich nicht stimmig. „Regeln müssen so sein, dass Menschen die Regeln befolgen können“, sagte der Verfassungsrechtler. Auch Ausnahmen dürften Regeln nicht aushöhlen.

Die Frage, ob die Gefahr beseitigt sei, die Grundrechtseinschränkungen rechtfertige, müsse von Virologen beantwortet werden. Die Politik habe in der Frage lediglich Einschätzungsspielräume. „Man wird diesen Staat nicht mit der Bereitschaftspolizei regieren können“, erklärte Ogorek. Regeln könnten nur wirken, wenn sie auf Akzeptanz stießen in der Bevölkerung. Die Politik müsse bei den Abwägungen individuelle, gesellschaftliche und ökonomische Kollateralschäden durch die Maßnahmen mit ins Kalkül ziehen. Die Politik befinde sich rechtspolitisch in einem Dilemma, denn es werde keine absolute Sicherheit geben können. In vielen anderen Bereichen sei man „kurioser Weise bereit, Gefahren für Leib und Leben hinzunehmen“, sagte der Jurist für öffentliches Recht und verwies auf Krankenhauskeime und den Straßenverkehr. Ogorek führte einen Grundsatz des öffentlichen Rechts an. Demnach soll Gleiches gleich behandelt werden und Ungleiches ungleich. „Wenn jemand geimpft ist, dann kann es nicht sein, dass er genau so behandelt wird wie jemand, der nicht geimpft ist.“ Ogorek wünscht, dass die Menschen sich wieder ihrer Freiheitsrechte bewusster werden durch die Pandemie. Freiheit sei bis zur Pandemie als selbstverständlich vorausgesetzt worden. Die Menschen müssten wieder neu begreifen, dass die Grundrechte der „Dreh-und Angelpunkt“ der Staats- und Gesellschaftsordnung darstellen.

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4 Antworten

  1. Das tiefere Problem der „Grundrechtseinschränkungen“ liegt doch im Verständnis der Grundrechte an sich.

    Dank eines umsichgreifenden „rechtspositivistischen“ Ideologie, werden Grundrechte nicht mehr als dem Menschen an sich (dank seines Menschseins) zu Eigen verstanden. Sie werden auch nicht mehr als dem Menschen als Gottes Geschöpf unmittelbar zustehenden menschlichen und grundlegenden Rechte verstanden.
    Sondern es werden nun Grundrechte so verstanden als seien diese vom Menschen(!) per freiem Entschluss dem Menschen erst zugebilligt worden.
    Mit anderen Worten, Grundrechte gibt es nach dieser gefährlichen Vorstellung nur, weil man „beschlossen“ hat, sie dem Menschen zu verleihen. Alles was aber Parlamente, Mehrheiten oder Mächtige verleihen, könnten sie aber prinzipiell auch entziehen.
    Da zeigt sich, dass eine gottlose Gesellschaft geradezu zwangsläufig zu einer unmenschlichen Gesellschaft werden muss.
    So wie es heute geschieht. Sichtbar daran, dass ungeborenen, alten und kranken Menschen die Lebensrechte durch Abtreibung und assistierte Selbsttötung immer mehr entzogen werden.

    Die Voraussetzung für die Grundrechte steht aber schon in unserem Grundgesetz:
    „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, …“

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  2. Diese Diskussion zeigt erfeulich deutlich, dass in der Bundesrepublik durchaus sehr kontrovers diskutiert wird und werden kann, und das im sogenannten „Mainstream“ . Das widerspricht doch offensichtlich dem Narrativ aus der Verschwörungs- und Verleugnungsszene und derer „Zulieferern“ aus den „alternativen“ Medien , die eine Meinungsdiktatur unterstellen.
    Die Annahme jedoch, dass für Grundrechte, Demokratie und Menschenwürde das Christentum ursächlich verantwortlich zeichne, während die liberale Demokratie zunehemend haltlos in Richtung Dekadenz taumle – das ist ungefähr der Tenor der Erzählung von Mel -, ist historich – sagen wir es freundlich – wenig plausibel.
    Das Christentum als Abfolge geschichtlicher Formationen hat ein durchaus widersprüchliches Verhältnis zu Grund- und Menschenrechten sowie zur Demokratie. Auch in der Weimarer Republik war Karl Barth eher eine rühmliche Ausnahme!
    Grund-und Menschrechte können und müssen auf dem Hintergrund unterschiedlicher Weltanschauungen begründet werden, denn das ist für eine moderne pluralistische Gesellschaft unerlässlich. Der Traum von einem homogenen (christlichen) Staatsvolk wird heute vornehmlich in einer antidemokratischen und anti-liberalen Rechten geträumt. Ein solches zur Grundlage eines demokratischen Gemeinwesens machen zu wollen, war schon bei Böckernförde illusorisch.

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  3. All diejenigen, die so schrill nach ihren Grundrechtsanprüchen schreien ,wissen anscheinend unzureichend wie sie entstanden sind! Geschichte ist ein Entwicklungszustand, ein Prozeß, der es eigentlich notwendig macht sich damit zu beschäftigen, bevor man große Töne spuckt….
    In der jetzigen Zeit werden sehr schnell Begriffe aus der Kriegszeit (z. b.Judenstern) inflationär gebraucht ohne damit sich ausreichend befasst zu haben,was eigentlich damit verbunden ist! Es ist sowieso ein Wunder dass Deutschland nach der Nazizeit sich so positiv entwickelt hat. Der entscheidende Passus ist : Verantwortung vor Gott und den Menschen !! Wo bitte kommt Gott heute vor? Der Mensch hat sich selbst zum Gott gemacht, indem er vermeintlich über alles selbst bestimmen kann. Leider lehrt uns die jetzige Situation, dass dem nicht so ist.Wir sind die Geschöpfe, nicht die Schöpfer. Bedauerlicherweise ist diese Perspektive sehr vielen unbekannt. Und es geschieht nur das, was Gott zulässt. Vielleicht um wach zu werden?

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  4. Es ist und war nie die Aufgabe der Politik, die Menschen vor Krankheit und Tod zu bewahren. Die Politik hat lediglich die Rahmenbedingungen für ordentliche Lebensverhältnisse zu gewähren. Alles andere wäre vermessen und totalitär. Auch diese Krankheit ist nicht die Pest. Natürlich möchte sie niemand haben. Warum dieses Thema dermaßen gehypt wird, ist mir schleierhaft. Gestorben wird immer, in alternden Gesellschaften um so mehr.

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