Pastor sucht Sinn

Der amerikanische Regisseur Paul Schrader hat in seinen Filmen immer wieder das Thema Religion anklingen lassen. Mit seinem letzten Film „First Reformed“ porträtiert er einen calvinistischen Pfarrer, der in eine Glaubens- und Lebenskrise gerät, die fatal endet. Das Drehbuch zum Film wurde nun für einen Oscar nominiert. Eine Filmkritik von Jörn Schumacher
Von Jörn Schumacher
Der bereits zuvor vier Mal für einen Oscar nominierte Schauspieler Ethan Hawke spielt im Film „First Reformed“ einen Pastor, der in einer Glaubens- und Lebenskrise steckt

Am Anfang scheint Ernst Toller (Ethan Hawke) noch ein ganz sympathischer Pastor zu sein. Fürsorglich, diszipliniert und in vollster Überzeugung, den richtigen Job zu haben. Doch mehr und mehr wird aus dem ehemaligen Militärpfarrer, der nun eine kleine Gemeinde auf dem Land im Staat New York leitet, ein Miesepeter, der dem Alkohol verfallen ist, mit seinem Leben eigentlich nichts anzufangen weiß und der immer mehr Rätsel aufgibt. Toller leidet unter dem Verlust seines Sohnes, der im Irakkrieg fiel, und dem Ende seiner Ehe. Bleibt eigentlich nur noch eine Gemeinde, die jedoch frustrierend wenig Mitglieder hat.

Es ist die Begegnung mit Mary und Michael, einem jungen Pärchen aus der Nachbarschaft, die Toller eine Wendung gibt, allerdings in die falsche Richtung. Michael konfrontiert den jungen Geistlichen mit seinem drängenden Fragen an die Welt; die Umweltprobleme scheinen immer furchterregender zu werden, Sinn kann ein Leben eigentlich nur haben, wenn man es für eine wichtige politische Sache opfert. Das beeindruckt Toller. Denn sein eigenes Leben erscheint ihm angesichts einer wenig einladenden Zukunft immer schwieriger.

Pastor mit explosiver Botschaft

Toller lässt sich von Michaels destruktiver Lebenseinstellung anstecken. Ebenso von dessen Verlobter Mary. Als der Umweltaktivist Michael sich schließlich im Wald das Leben nimmt, fühlt sich Toller immer mehr von ihr angezogen. Die aufkeimende – zunächst rein platonische – Liebe ist dann auch der Grund dafür, dass auch Toller seinen Sinn im Leben zu finden meint. Die Kirche, für die er tätig ist, scheint hingegen eine große, von Bürokratie überlastete Institution zu sein, aus der das Leben ebenso gesaugt wurde wie aus Toller selbst. Warum nicht dem Ganzen Elend ein Ende setzen? Aber wenn, dann mit einem ausdrucksstarken Abgang, der für alle ein deutliches Zeichen setzt! Aber ein Zeichen wofür?

Die zunehmend düstere, fast depressive Stimmung in „First Reformed“ spiegelt das Innenleben eines Pastors wieder, der im Glauben keinen Trost mehr findet – auch wenn er es, mithilfe frommer Literatur, versucht. Einzig die Hoffnung, mit dem eigenen Tod zumindest eine Spur von einem Sinn zu erzeugen, lässt die Hauptperson noch einmal aktiv werden. Und so plant der Geistliche seinen fulminanten Abgang am Tage des 250. Jubiläums seiner Kirche, zu dem alle wichtigen Kirchenvertreter erscheinen. Mit Stacheldraht und Sprengstoffgürtel.

Ethan Hawke, der für seine aktuelle Rolle zu Recht als Oscar-Kandidat als bester Hauptdarsteller im Gespräch war, aber schließlich doch keine Nominierung erhielt, sagte in einem Interview: „Ein Grund, warum ‚First Reformed‘ beim Publikum ankommt, ist, dass es um eine Leere in geistlicher und politischer Leiterschaft geht, insbesondere aber um unsere Beziehung zur Umwelt.“ Und weiter: „Für viele Menschen ist es hart, wenn sie versuchen, wirklich gute Menschen zu sein, und dann versagen. Die Wut und der Selbsthass ziehen einen nieder, und der Versuch, gut zu werden, führt in tiefe Dunkelheit.“

Für Drehbuch und Regie ist Paul Schrader verantwortlich. Er selbst sei christlich erzogen und auf eine christliche Schule geschickt worden, sagte er in einem Interview. Das Medium Film habe ihm eine Flucht in „ein anderes Leben“ geboten, dabei kehre er jedoch immer wieder zu seinen Wurzeln zurück.

In einem anderen Interview sagte er, er habe die Kirche nie ganz verlassen. „Als ich in Los Angeles lebte, ging ich nicht zur Kirche. Als dann die Kinder kamen, gingen wir in die Episkopalkirche. Als sie erwachsen wurden, verließ ich die Kirche wieder. Aber vor etwa drei Jahren wechselte ich zur Presbyterianischen Kirche, und dahin gehe ich heute noch.“

Nichts Ermutigendes im Film

Bekannt wurde Schrader durch seine Drehbücher für die Klassiker „Taxi Driver“ (1976) und „Raging Bull“ (1980) von Großmeister Martin Scorsese. Der Film „Die letzte Versuchung Christi“ sorgte sogar noch im Jahr 1988 mit dem gar nicht jesusgemäßen Willem Defoe in der Hauptrolle für einen Skandal. Auch im Film „Hardcore“ (1979) kommen Bezüge zur christlichen Kirche zum Vorschein, er enthält viele autobiographische Elemente und spielt im Milieu der Calvinisten. Ein Vater vermisst darin seine Tochter, und es stellt sich heraus, dass sie in der Pornoindustrie gelandet ist. Angeblich zeigt jener Vater Parallelen zu Schraders eigenem Vater.

In „First Reformed“ fällt die liebevolle Inszenierung des jahrhundertealten Kirchengebäudes auf. Das Gotteshaus aus weißem Holz ist klein, aber einladend. Und voller Inbrunst kümmert sich Toller darum, führt die wenigen Touristen herum und steckt Schulklassen mit seiner Begeisterung für das alte Gebäude an, das zur Dutch Reformed Church gehört. Allein es fehlt der Glaube. Denn inhaltlich hat der Film nichts Ermutigendes, geschweige denn die christliche Botschaft für den Zuschauer übrig. Es bleibt bei einer leisen Sehnsucht nach einem Ort, an dem einst der Glaube lebendiger war.

Die Oscars werden am 24. Februar 2019 im Dolby Theatre in Los Angeles vergeben. In der Kategorie Bestes Originaldrehbuch sind neben „First Reformed“ die Filme „The Favourite – Intrigen und Irrsinn“, „Green Book – Eine besondere Freundschaft“, „Roma“ und „Vice – Der zweite Mann“ nominiert.

Von: Jörn Schumacher

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