Meinung

Ob Tucker Carlson sich selber glaubt?

Der US-Journalist Tucker Carlson hat den russischen Präsidenten interviewt. Schon die Ankündigung begann mit einer Unwahrheit.
Von Nicolai Franz

Tucker Carlson hatte einst die erfolgreichste Politiksendung im US-Fernsehen. Bis sein Arbeitgeber „Fox News“ ihn im April 2023 vor die Tür setzte. Der Wahlmaschinenhersteller Dominion Systems hatte den Sender wegen Verbreitung von Falschinformationen verklagt. Das Unternehmen einigte sich schließlich mit „Fox News“ auf die Zahlung einer Schadenersatzsumme von 787 Millionen Dollar. Im Zentrum der Affäre stand Tucker Carlson, der erheblich an der Verbreitung der Fake News beteiligt war.

Nach seinem Rauswurf machte er sich selbstständig – und ist seither eher noch radikaler geworden. Seine Videos laufen auf „X“ (ehemals Twitter) und haben dort zig Millionen Aufrufe. Sein neuester Coup dürfte sämtliche Rekorde brechen: Ein Interview mit dem russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin, das in der Nacht von Donnerstag auf Freitag online ging.

In einer Ankündigung sagte Carlson, warum er Putin interviewe: Weil das nun mal sein Job als Journalist sei. Und weil die Menschen im Westen die Wahrheit nicht erführen. „Ihre Medien sind korrupt, sie belügen ihre Leser und Zuschauer. Und sie tun das meist durch Weglassen.“

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Mit „Weglassen“ meint er ein Interview mit Putin. „Kein einziger westlicher Journalist hat sich bequemt, den Präsidenten des anderen Landes zu interviewen, das in diesem Konflikt involviert ist, Wladimir Putin.“

Westliche Journalisten trauen sich nicht, Putin zu interviewen? Das ist nicht wahr. Tatsächlich haben sich westliche Journalisten mehrfach um Interviews mit Putin bemüht, um an seinem langen Tisch Platz zu nehmen – und auch einfach „ihren Job zu machen“ und ihm kritische Fragen zu stellen. Aber dazu ist es eben nicht gekommen.

Kreml widerspricht Carlson

Ironischerweise bestätigte der Kreml selbst, dass Carlson die Unwahrheit gesagt hatte. Sprecher Dimitri Peskow sagte: „Mister Carlson hat Unrecht. Tatsächlich hat er gar keine Möglichkeit, das in Erfahrung zu bringen.“ Putin bekomme zahlreiche Interviewanfragen. „Aber wenn westliche Länder involviert sind, sind das die Massenmedien: traditionelle TV-Sender und große Zeitungen, die gar nicht versuchen, unparteiisch in ihrer Berichterstattung zu sein.“ Natürlich könne man mit solchen Medien nicht reden. 

Ich schätze, Kreml-Sprecher Peskov musste arg an sich halten, bei diesen Worten nicht laut loszuprusten. Denn dass er den Präsidenten als jemanden darstellen will, der nur Interviews mit „unparteiischen“ Journalisten will, während dieser mit eiserner Hand jede abweichende Meinung unterdrückt, Menschen verschwinden und ermorden lässt, dafür muss man schon eine gehörige Portion Humor mitbringen. Immerhin: Mehrere Journalisten bestätigten, Putin mehrfach erfolglos um Interviews gebeten zu haben.

Damit stand Carlson noch vor der Ausstrahlung des mit Spannung erwarteten Interviews als Journalist da, der die Unwahrheit sagt. Erneut.

Das Ergebnis war ein zweistündiges Interview weitgehend ohne kritische Fragen, in dem Tucker Carlson den russischen Präsidenten bis ins Mittelalter abschweifen ließ. Das „Interview“ wurde in Teilen zu einer Geschichtsstunde, oder besser „Geschichtsklitterungsstunde“.

Experten werteten das Interview als Propagandashow eines verirrten Präsidenten, der auf einen schlecht vorbereiteten Journalisten traf, der ihn kaum mit Fakten konfrontierte, während es in der Blase der MAGA-Fans („Make America Great Again“) und Verschwörungstheoretiker („deep state“) gefeiert wurde. Was für eine Überraschung.

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