Ich sitze vor meinem Laptop und runzle leicht frustriert die Stirn. Wenn ich eine Dienstreise ins Ausland tätige, muss ich in der Vorbereitung einem gewissen Protokoll folgen, damit mein Arbeitgeber seiner Fürsorgepflicht nachkommen kann. Der Aufwand hängt vom Zielland ab. EU-Land: easy. Tropengebiete: okay, die notwendigen Impfungen hole ich mir zusätzlich ab. Krisengebiet: Haftungsausschluss, Sicherheitsschulung, Notfallplan erstellen – stöhn. Als ich vor zwei Jahren die Programmleitung für die Zusammenarbeit von „Gain“ mit einem lokalen Partner in Nigeria übernahm, war mir nicht bewusst, dass wir ein Land im Krisenmodus unterstützen. Wie bei so manchem Europäer hielt sich mein Wissen über das bevölkerungsreichste Land Afrikas in Grenzen.
Heute muss ich schmunzeln, wenn es Nigeria endlich mal wieder in die Nachrichten schafft und meine Freunde beteuern, dass sie für mich beten, wenn ich einen Besuch bei unseren Projektpartnern plane. Ihre Sorge erinnert mich an mein anfängliches Halbwissen und ist oft in Nachrichten-Schlagzeilen und Statements von US-Präsidenten begründet, die nur einen Bruchteil des Ganzen widerspiegeln.
Reale Gefahr
Dennoch weiß ich das Gebetsangebot zu schätzen. Schließlich verorten wir als global vernetzte Organisation das westafrikanische Land nicht umsonst in die Krisen-Kategorie. Auch 68 Prozent der Nigerianer fühlen sich laut einer nationalen Umfrage aus dem Jahr 2022 in ihrer Heimat „nicht sicher“.
Das deckt sich mit den Empfindungen und Beobachtungen von Elijah Ochoje, dem Leiter unseres Partnerprojekts. Ihm zufolge werden ethnische und religiöse Konflikte in Nigeria seit ein paar Jahren dadurch verschärft, dass sich die Menschen an bewaffnete Bürgerwehren und Milizen wenden, wenn sie Hilfe benötigen. Zu oft haben Polizei und Militär aus Überforderung, erzählt er, Banditen walten lassen und durch Korruption Vertrauen verspielt.
Schmerzlich real wird seine Erzählung, wenn er berichtet, wie sich die Jugend seines Heimatdorfs vor nicht allzu langer Zeit mit Macheten in Bäumen versteckt hat, um einem drohenden Überfall durch militante Muslime etwas entgegenzusetzen. Das Dorf haben sie zwar verteidigen können, die Todesbilanz auf beiden Seiten macht jedoch zutiefst betroffen.
Simon Hainbach lebt in Berlin, wo er für „Global Aid Network“ („GAiN“) arbeitet. Als Programmleiter für Nigeria steht er in regelmäßigem Austausch mit Christen vor Ort und konnte zuletzt im November 2025 das Partnerprojekt der „Baobab Initiative for Life Development“ besuchen. Die Organisation hat es sich zur Aufgabe gemacht, benachteiligten Menschen im ländlichen Zentrum Nigerias den Weg aus der Armutsspirale zu ebnen. Neben einer Schule und Bildungsangeboten für Erwachsene gehören Landwirtschaft und eine Agrarkooperative zu ihrem ganzheitlichen Ansatz. Mehr Infos zu „Baobab“ und „Gain“ sowie Spendenmöglichkeiten finden Sie hier.
Dem gegenüber steht Ochojes eigener Alltag ein paar Bundesstaaten weiter westlich, im Zentrum des Landes: Seit knapp sieben Jahren leitet er „Baobab“, eine Organisation, die ein Bildungszentrum in einer ländlichen Gegend aufbaut und Einkommens-steigernde Maßnahmen für die lokale Bevölkerung anbietet. Das Gebiet wird zu einem Großteil von Fulanis bewohnt – einem nomadischen Stamm, der einen konservativen Islam praktiziert und oft mit gewaltsamen Überfällen in Nigeria in Verbindung steht. 20 Prozent der „Baobab“-Schülerschaft kommen aus diesem Stamm und teilen sich Tag für Tag Klassenzimmer und Kindergartengruppen mit Kindern aus anderen Stämmen und christlichen Familien. Das Gebäude fungiert inzwischen sogar als Treffpunkt für Muslime, die zum Christentum konvertiert sind. Ein Ort des Friedens und der Verständigung also, der er auch sein will.
Dennoch spielt das Thema Sicherheit auch hier eine Rolle. Aktuell wird das 50 Hektar große Gelände mit einer Mauer umzogen. Außerdem ist ein Wachdienst zum Schutz von Veranstaltungen und aller Schüler angestellt. Ganz aktuell beschäftigt unsere Partner die Frage, wann die Herbstferien eingeleitet werden sollen. Denn nach den Entführungen von über 300 Schülern in einem benachbarten Bundesstaat haben viele Schulen der Region den Unterricht gänzlich eingestellt oder die Winter-Prüfungen vorverlegt. Es ist ein stetiges Abwägen von Möglichkeiten und Unwägbarkeiten.
Ein Weckruf
Vor diesem angespannten Hintergrund tut es gut, gemeinsam zu lachen – auch über Politik. Anlass bot bei meinem letzten Projektbesuch unter anderem das Statement des US-Präsidenten, militärisch gegen die Christenverfolgung in Nigeria vorzugehen. Es gibt die einen, die in Donald Trump den starken Mann sehen, der für Recht und Ordnung sorgt, und sich helfend und unterstützend mit den nigerianischen Christen solidarisiert. Genauso gibt es aber auch diejenigen, die über den größenwahnsinnigen Retterkomplex Trumps witzeln und darüber, dass er auf einmal viel Zuwendung für ein Land zeigt, das er vor ein paar Jahren noch als „Drecksloch“ bezeichnet hat.
Beeindruckt hat mich im Gespräch mit Menschen vor Ort darüber das scharfsinnige Statement einer Mitarbeiterin unserer Partnerorganisation: Ganz unabhängig von den Motiven des US-Präsidenten sieht sie in seinen klaren Worten und der Berichterstattung einen ermutigenden Weckruf für nigerianische Christen, sich nicht zu verstecken, sondern für ihren Glauben und ihre Religionsfreiheit einzustehen. Es ist eine Botschaft, die das Land braucht. Genauso wie das Zeugnis von Organisationen wie „Baobab“, die unterstreichen, dass dafür keine Waffen und Macheten notwendig sind.