Neue Friedensethik: So steht die evangelische Kirche zur Aufrüstung

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine diskutiert die evangelische Kirche, ob ihre Position zum Umgang mit kriegerischen Konflikten zeitgemäß ist. Jetzt hat sie ein Papier vorgelegt, in dem sich die reale Bedrohung spiegelt.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat am Montag in Dresden eine erneuerte Position zur Friedensethik vorgestellt. In der Denkschrift mit dem Titel „Welt in Unordnung – Gerechter Friede im Blick“ formuliert sie ihre Haltung zu den aktuellen Diskussionen um Aufrüstung, Wehrdienst, Atomwaffen und hybride Kriegsführung. In zentralen Punkten gibt es dabei Akzentverschiebungen:

Investitionen in Verteidigung

Die EKD hält in ihrer Denkschrift am Leitbild des „gerechten Friedens“ fest, der vier Voraussetzungen habe: Schutz vor Gewalt, Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Anerkennung von Pluralität. Sie verschiebt aber in dem neuen Papier den Akzent, indem sie dem Schutz vor Gewalt und damit der Verteidigungsfähigkeit einen Vorrang gibt. „In Verteidigung muss investiert werden, denn sie dient dem Schutz von Menschen, Rechten und öffentlicher Ordnung“, heißt es in der Denkschrift. Sie fordert zugleich ein „rechtes Augenmaß“ beim Ausbau militärischer Kapazitäten einschließlich parlamentarischer Legitimation und Rüstungskontrolle.

Einzelfallabwägung bei Rüstungsexporten

Mit unterschiedlichen Auffassungen zu den Waffenlieferungen an die Ukraine hatte 2022 die Diskussion um die Friedensethik der evangelischen Kirche begonnen. Zu diesem Punkt positioniert sie sich nun so: Es gebe zwar keine Pflicht, mit Rüstungsexporten angegriffenen Ländern beizustehen. Es gelte aber, Opfern von Gewalt zu helfen und – im Fall eines Angriffs – den Rechtsbruch zu sanktionieren. Im Ergebnis empfiehlt die EKD eine Einzelfallabwägung, was der deutschen Rechtslage entspricht. In die Abwägung gehört nach ihrer Überzeugung auch, welche Auswirkungen Waffenlieferungen für die eigene Bevölkerung haben können und ob die gelieferten Waffen ausschließlich dem Schutz der Bevölkerung dienen oder zur Eskalation beitragen.

Prävention als Antwort auf hybride Bedrohungen

Die evangelische Kirche wirbt vor dem Hintergrund von Desinformation und Sabotage als Mittel sogenannter hybrider Kriegsführung in ihrer Denkschrift für ein breites Verständnis von Sicherheit, das nicht nur militärische Verteidigungsfähigkeit umfasst. Demokratien seien angewiesen auf mündige Bürgerinnen und Bürger, formuliert das Papier und verweist dabei unter anderem auf Bildung und den Schutz demokratischer Diskurse. An dieser Stelle sieht sie sich als auch selbst in der Pflicht, aufzuklären und Polarisierung entgegenzuwirken.

Atomare Abschreckung

Das Nein zu nuklearer Abschreckung in der Friedensdenkschrift aus dem Jahr 2007 wird in der Neuauflage abgeschwächt: Die Ächtung von Atomwaffen sei zwar geboten, heißt es in der Neupositionierung der evangelischen Kirche. Der Besitz könne aber „trotzdem politisch notwendig sein, weil der Verzicht eine schwerwiegende Bedrohungslage für einzelne Staaten bedeuten könnte“. Die EKD bezeichnet dies als „Dilemma“, das im Moment nicht aufgelöst werden könne.

Wehrdienst und Dienstpflicht

In der Debatte um den neuen Wehrdienst rät die evangelische Kirche zum jetzigen Zeitpunkt zum Ausbau der Freiwilligendienste, lehnt eine Dienstpflicht aber auch nicht ab. „Aus der Tradition der evangelischen Ethik heraus ist gut begründbar, dass sich Einzelne für die Sicherheit des Gemeinwesens in die Pflicht nehmen lassen“, heißt es in der Denkschrift, die aber vor Einführung einer solchen Pflicht eine breite gesellschaftliche Debatte als zwingend ansieht. Die Forderung nur nach einer Wehrpflicht sieht sie als Verengung und plädiert stattdessen eher für eine allgemeine Dienstpflicht, die auch für Frauen gelten könnte. „Nur im Verbund verschiedener Formen des Engagements für Sicherheit und Frieden lässt sich bürgerschaftliche Widerstandsfähigkeit erreichen, die die freiheitliche Ordnung schützt“, heißt es in der Denkschrift.

epd
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