Menschenwürde im Fernsehen: Die stetige Erosion

Die Medienaufsicht in Deutschland geht einer Konfrontation mit den Fernsehsendern zu oft aus dem Weg, auch wenn deutliche Rügen bei Verstößen gegen die Menschenwürde angebracht wären. Diese Meinung vertrat der Direktor der Landesanstalt für Medien (LfM) in Nordrhein-Westfalen, Norbert Schneider, bei der Klausurtagung der Medienkommission der LfM am Wochenende. Und er stand damit nicht allein.
Von PRO

Die Medienanstalten seien sehr zurückhaltend bei der Ahndung von Verstößen gegen die Menschenwürde, so Schneider. Dabei verlange der Rundfunkstaatsvertrag, dass das Fernsehprogramm die Würde des Menschen zu achten und zu schützen habe.

Schneider erklärte, dass es etwa unzulässig sei, wenn Krieg verherrlicht werde oder auf unwürdige Weise Menschen gezeigt würden, die sterben oder schweren körperlichen oder seelischen Leiden ausgesetzt seien. Derartige Verstöße seien jedoch kaum zu beobachten, gab der LfM-Direktor zu verstehen. "Mir ist in meiner Praxis von nun bald 17 Jahren Rundfunkaufsicht nicht ein einziger Fall in Erinnerung, bei dem die Würde eines Menschen auf eine Weise verletzt worden wäre, die dann eine Programmbeschwerde nach sich gezogen hätte."

Allerdings habe es "immer wieder" Fälle gegeben, "in denen gewissermaßen fast eine solche Verletzung zu beobachten war", fügte er hinzu und sprach von einer "Grauzone". Als Beispiel nennt er "Real Doku Shows". Schneider  erinnerte an Jade Goody, einer jungen Teilnehmerin des britischen "Celebrity Big Brother", die im Frühjahr 2009 in aller Öffentlichkeit verstarb.

Dem Argument, die Teilnehmer derartiger Shows täten dies ja freiwillig, hält er entgegen: "Dieses Pochen auf eine durch populistische Neigungen vergiftete Lehre vom freien Willen bedeutet konsequent zu Ende gedacht, dass die Menschenwürde als etwas, was man interpersonal zu definieren hat, keine Rolle mehr spielt." Wenn Menschenwürde in die Selbstbestimmung des Menschen falle, werde sie überflüssig gemacht.

"Das Problem sind die grenzwertigen Kleinigkeiten, die Würdeerosion"

Die Medienaufsicht gehe oftmals einer Konfrontation aus dem Weg. So habe sie etwa nicht reagiert, als der Bundesverfassungsrichter Udo di Fabio die Dschungelshow von RTL als Verletzung der Menschenwürde anprangerte. Di Fabio nannte in diesem Kontext die Szene, in der eine Akteurin mit Tierfutter auf der Haut in einen Straußenkäfig gehen musste.

Die Vorstellung vom Menschen mit seiner unverletzten Würde bestimme das Menschenbild der Verfassung, sagte Schneider. Er wünscht sich, der Regulierer hätte ein paar mehr Möglichkeiten, gegen den "steten Tropfen der Würdeerosion" vorzugehen. "Der mögliche Einfluss des Fernsehens auf die Werte einer Gesellschaft wird nicht durch einige wenige spektakuläre, skandalöse Fälle zum Problem, durch irgendwelche Tabubrüche, die wenig mit Tabu und viel mit schlechtem Benehmen zu haben, die sich im Dreieck von Sexualität, Gewalt und religiösen Gefühlen abspielen und die einmal in einer Dekade durch eine Verletzung der Menschenwürde noch überboten werden. Das Problem entsteht aus den alltäglichen grenzwertigen Kleinigkeiten, die sich einer juristischen Betrachtung von vornherein entziehen."

Freiwilligkeit ist kein Freischein

Auch der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichtes, Ernst-Gottfried Mahrenholz, ermutigte die Medienaufsicht, beherzter gegen Sender vorzugehen, in deren Programm die Menschenwürde verletzt wird. "Wenn ein Mensch in einer Sendung nur als Objekt gezeigt wird, um ein Programm reißerisch zu machen, dann liegt ein Verstoß gegen den staatsvertraglichen Programmgrundsatz vor, dass Veranstalter in ihren Sendungen die Würde des Menschen achten und schützen müssen", sagte Mahrenholz auf der Tagung.

Mahrenholz betonte, dass der Schutz der Menschenwürde schon im Grundgesetz ganz am Anfang stehe und andere Bestimmungen dominiere: "Der Rundfunk ist hiervon betroffen, weil wegen der Öffentlichkeit nirgendwo eine Verletzung der Menschenwürde greifbarer wäre. Deshalb sind die Sender verpflichtet, in den Programmen den Respekt vor der Subjekthaftigkeit und Integrität eines jeden Menschen zu wahren." Diese Integrität lasse sich vom Individuum auch nicht etwa durch freiwillige Verabredungen zwischen einem Teilnehmer einer Show und einem Sender auflösen.

"Gott machte den Menschen ’sehr gut‘ und nicht ‚dumm und hässlich’"

Die Klausurtagung unter dem Vorsitz von Frauke Gerlach hatte als Schwerpunktthema "Menschenwürde im Fernsehen". Gerlach bedauerte, dass es in der Vergangenheit zu keiner höchstrichterlichen Klärung in den Fällen gekommen sei, bei denen Menschenwürdeverstöße in Rede standen. Ein solches Verfahren sehe sie vor allem als notwendigen gesellschaftlichen "Selbstvergewisserungsprozess" in der Frage der Menschenwürde in den Medien.

Tobias Schmid vom Privatsender RTL sagte in der Diskussion, dass in der RTL-Mediengruppe über fragwürdige Sequenzen lange und intensiv vor einer Ausstrahlung diskutiert werde. "Die Schärfe in der Präsentation, zum Beispiel bei dem Unterhaltungsformat ‚Deutschland sucht den Superstar‘ (DSDS), ist insgesamt rückläufig." Richtig sei aber auch, dass sich die Sender bei Formaten wie DSDS oder auch "Erwachsen auf Probe" an einer Grenze bewegten.

Johanna Haberer, Professorin für Christliche Publizistik an der Universität Erlangen, meinte: "Keine der modernen Gesellschaften, die sich ja immer stärker als mediale Kommunikation- und Informationsgesellschaften verstehen, kann es sich leisten, letztlich mit zweierlei Maß zu messen, was den Anspruch auf gesellschaftliche Verantwortung für Rundfunkanbieter betrifft."

Im Hinblick auf einige Reality-Sendungen, in denen "Armut, Schwäche und Dummheit" ausgestellt würden, sagte Haberer: "Egal wie unbegabt und hässlich, man kann sich auch in einer Schlammschlacht oder pupsend qualifizieren." Als Theologin erinnerte sie an das Menschenbild, das Gott hat: "Nach Auskunft der Schöpfungsgeschichte urteilte Gott über den Menschen und die Welt: siehe, es war sehr gut…" Das könne man als Richtungshinweis auch für die heutigen Medien sehen. "Nicht: siehe es war sehr hässlich, sehr dumm…" (pro)

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